„Verlass dein Land und geh!“

"Geh fort in ein Land, das ich dir zeigen werde" - das haben wir gerade gemacht. Wir sind über unseren Jordanfluss, den Donaukanal, rübergegangen und sind hier in einem neuen Land angekommen.

von | 25. September 2025

Wie wir als Gemeinde in einem neuen Land angekommen sind

Am Tag vor der Kapellen- und Altarsegnung sind wir als Gemeinde im Rahmen einer Prozession von unserem alten Standort in der Marxergasse in die Praterstraße umgezogen. In einem Gebetsabend hat P. George darüber gesprochen, wie wir nun als Gemeinde „in einem neuen Land“ angekommen sind.

Natürlich fragt man sich in einem solchen Moment, was man gerne mit der Gemeinde teilen würde. An diesem ersten gemeinsamen Abend hier. Diese Woche habe ich den Herrn um irgendein Wort oder irgendeine Idee gebeten. Ich könnte natürlich jetzt meine alten Geschichten wieder runterrattern, warum wir hier das machen. Mir kam nochmals dieses Zitat in den Sinn, das heute David (Schwarzbauer) in der Marxergasse vorgelesen hat –Genesis 12,1, eine wunderschöne Stelle mit einer wunderschönen Verheißung: Der HERR sprach zu Abram: Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. […] Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen (Gen 12,1-3).

Geh fort in ein Land, das ich dir zeigen werde

Und es war diese Verheißung an den Abram, dass die Israeliten eine prophetische Aufgabe für die ganze Welt haben würden. Nicht nur für sich selbst. Und dieser Auszug, geh fort in ein Land, das ich dir zeigen werde, das haben wir gerade gemacht. Wir sind über unseren Jordanfluss, den Donaukanal, rübergegangen und sind hier in einem neuen Land angekommen.

Wofür steht das Land? Mir kamen in dieser Woche drei Gedanken, wofür dieses Land wohl stehen würde. Einerseits dieses Haus an sich, aber darüber hinaus, was uns dieses Land sagen will.

Der erste Gedanke ist mir vergangenen Mittwoch gekommen, als ich in der Nachtanbetung war, um das Ganze hier im Gebet einzubetten. Ich habe im ersten Korintherbrief folgenden Satz des guten Paulus gelesen: Vielmehr verkünden wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. (1. Kor 2,7-8) Und dann kommt dieser Satz, der mich getroffen hat: Nein, wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. (1. Kor 2,9) Das heißt: Natürlich ist das Land oder dieser Auszug an erster Stelle für Abraham eine Metapher für das eigentliche gelobte Land. Die Herrlichkeit, die für den Menschen bestimmt ist, ist letztendlich der Himmel. Es ist die ewige Gemeinschaft mit Gott. Nichts anderes wird den Menschen zufriedenstellen. Nicht Ehre, nicht Geld, nicht Macht,nicht Anerkennung, nicht Ruhm, nicht Genuss. Im Letzten ist dieses Loch, das wir in unserem Herzen haben, nur durch einen ausfüllbar. Das Ziel des Menschen ist der Himmel. Und der Himmel ist Gott. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Der Horizont des Menschen ist kein kleiner Horizont. Das menschliche Wesen ist nicht jemand, der in die Welt geboren wird, aufwächst, irgendwann heiratet, ein Haus baut, einen guten Job hat, endlich seine Schulden abbezahlt, ein paar Jahre in die Rente geht und dann stirbt – und das war’s. Der Mensch ist geschaffen für das ewige Leben. Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10,10).

Wenn wir uns fragen, warum wir das Ganze hier machen? Weil wir davon überzeugt sind, dass das das Ziel des Menschen ist und es sich lohnt, darum zu ringen und dafür zu kämpfen undalles einzusetzen für letztendlich einen einzigen Menschen. Es geht nicht um Zahlen, es geht um jeden einzelnen Menschen. Weil jeder einzelne Mensch ein Abbild Gottes ist, eine unendliche Bestimmung hat, eine unfassbare Würde hat. Ob er klein oder groß oder krank oder gesund oder alt oder jung oder welche Hautfarbe auch immer hat: Wir glauben an die Größe des Menschen, weil wir an die Größe Gottes glauben. Christsein ist der größte Humanismus aller Zeiten. Weil er dem Menschen eine unendliche Würde zuspricht. Mit einem unendlichen Ziel, nicht wie ein bisschen Materie, die man wegwerfen kann, wenn man sie nicht mehr braucht. Und deswegen lohnt es sich, sogar für den Menschen zu leiden, etwas auf sich zu nehmen, dem Menschen zu dienen, seine Füße zu waschen. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele (Mk 10,45).

Wenn wir uns fragen, warum wir das machen? Weil wir den Menschen dienen wollen. Weil das Maß der Gottesliebe auch das Maß der Liebe für unsere Mitmenschen ist. Weil er den Menschen unendlich geliebt hat und wir immer mehr mit dieser Liebe konform gehen wollen. Das ist es, was uns im Letzten bewegt. Es ist diese Vision aus 10.000 m Höhe, warum wir das machen – und das bringt auch die anderen zwei Bedeutungen von Land, seiner Sinnhaftigkeit.

Die Stimme, die mich nach oben beruft

Die zweite Bedeutung für das Land – Adam soll weggehen von dort, wo er gerade ist – ist natürlich auch eine Metapher dafür, wozu der Mensch persönlich eingeladen ist, das hört sich jetzt ein bisschen altmodisch an: um heilig zu werden. Der Mensch ist geschaffen für die großen Höhen und die tiefen Gewässer, nicht für den seichten Strand, nicht für die Pfütze am Land. Er ist geschaffen für das Meer. Für die Größe und für die Weite Gottes. Und wir glauben an diese Fähigkeit des Menschen zum Großen, weil wir an die Größe Gottes glauben. Wir sprechen dem Menschen viel zu, das heißt: Der Mensch ist berufen zur Heiligkeit. Wir wollen hier kein fades Christsein in unserer Gemeinde leben. Einer unserer Core Values ist der Eifer, hört sich auch ein bisschen altmodisch an. Aber es geht um das Feuer im Herzen, das wir haben. Und diese Helligkeit hat nur dann Sinn, wenn wir wirklich eine Entscheidung für Jesus getroffen haben. Wenn Jesus Christus das Kriterium ist, anhand dessen ich alle meine anderen Entscheidungen treffe. Das heißt, dass Gott dann wirklich an erster Stelle steht. Wir werden morgen, Sonntag, ein hartes Evangelium hören. (Lk 14,25-33) Jesus sagt, wer Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern nicht hasst, ist meiner nicht würdig. Das ist ein hartes Wort. Will er damit promoten, dass wir unsere Eltern hassen sollen? Sicherlich nicht! Aber wir sollen das hassen, was uns davon abhält, Gott an die erste Stelle zu setzen. Was falsch ist in meinem Herzen. Aus anderen Sachen Götzen zu machen. Aus Macht, Reichtum, Ehre, Hochmut und Genuss – das ist einfach zu erkennen. Aber auch mein Kind, mein Ehemann, meine Arbeit, alles kann zum Götzen werden, auch wenn es nicht so einfach zuerkennen ist. Und wir zerstören die Dinge, wenn es nicht eine richtige Ordnung dieser Dinge gibt. Das heißt: Der Heilige ist erst mal jemand, der innerlich frei ist. Weil er nein zu allem sagt, was ihm diese wahre Freiheit wegnimmt, die letztendlich in Gott zu finden ist. Wenn Gott an erster Stelle ist, bin ich wirklich frei, weil ich mich nicht vor etwas anderem niederknien werde. Und die Helligkeit heißt aber auch zugleich, ein Leben nach dem Wort Gottes zu führen, der zu mir sagt: Geh heraus aus dir selbst. Du bist zu Größerem und Höherem berufen. Sei nicht zufrieden mit Mittelmäßigkeit! Wenn ich frage, was die Stimme Gottes von anderen Stimmen unterscheidet, dann ist es die Stimme, die mich nach oben beruft. Die mich zu einer größeren Liebe, zu einer größeren Hingabe ruft.

Wenn wir das verstanden und in dem Maß verstanden haben, dann hat auch die dritte Art und Weise, wie wir das Land verstehen, auch wirklich Sinn.

Einen Ort schaffen, der etwas vom Geschmack des Himmels widerspiegelt

Es heißt: Das neue Land. Gestern, Freitag, hatten wir das Evangelium mit dem Wein in alten Schläuchen. (Lk 5,33-39). Manchmal muss man aufhören, das Alte zu reparieren und etwas Neues machen. Zum Beispiel, wenn man lange in der Marxergasse ist, merkt man, dass es gut ist, dass wir einmal etwas Neues machen. Es geht nicht nur darum, dass ein jeder von uns persönlich durch die Gnade des Herrn eine radikale Erneuerung zulässt, sondern dass wir das auch als Gemeinde tun. Der Christ ist nie allein. Es geht darum, wie wir als Volk Gottes unterwegs sind, ein neues Land einzunehmen, um eine neue Art und Weise, wie wir Kirche denken. Ich habe vergangene Woche versucht, ein bisschen mein Herz auszuschütten und die Geschichte erzählt, wie ich genau vor zehn Jahren extrem frustriert war. Wir hatten Ende August 2015 das Zentrum Johannes Paul II. gegründet und ich war frustriert, weil ich schon zehn Jahre in Österreich war und wir als Gemeinschaft schon 20 Jahre – und wir nach 20 Jahren Arbeit drei dysfunktionale Kleingruppen hatten. Das ist ein wenig überspitzt, denn es gab auch schöne pastorale Erfahrungen. Aber wir hatten nicht wirklich etwas aufgebaut. Eines Nachts im Sommer 2015 habe ich ein Buch eines amerikanischen Priesters gelesen. Er meinte: „Das Problem der Kirche ist ein Problem der Kultur.“ Und er begann zu erklären, was er meinte. Er hat mir so aus dem Herzen gesprochen und auf einmal merkte ich: Ich brauche eine Bekehrung, ich muss mich bekehren – nicht aus schlechtem Willen, ich hatte ja keine schlechten Absichten, aber ich war total falsch unterwegs in meinem Verständnis, was Kirche eigentlich sein sollte. Ich habe mich als Dienstleister verstanden. Ich biete meine Predigt, ich biete einen Segen, ich biete die Beichte, ich biete irgendwelche Lehre – und ihr dürft konsumieren. Und ich habe das auch noch gefördert durch meine Art und Weise, so ein bisschen: hier die Priester da vorne, sie sind die Profis, da wir, die passiven Laien, die zuschauen. Und ich will nicht den Menschen, die mit mir unterwegs waren, die Schuld in die Schuhe schieben. Es war meine Schuld, ich habe eine falsche Art und Weise gefördert, wie Kirche zu verstehen ist. Damals hörte man so typisch: Wir helfen mal dem Pater bei seinen Sachen. Aber es geht nicht darum, dem Pater oder den Patres bei deren Sachen zu helfen, sondern darum, dass wir gemeinsam als Kirche unterwegs sind, diese Stadt zu Jesus zurückzuführen. Dabei kommt jedem eine unterschiedliche Rolle zu, aber wir alle sind im selben Boot. Wir haben eine gemeinschaftliche Verantwortung.

Das war ein beeindruckender Moment, als ich merkte, dass ich dafür geradestehen, aufstehen und das predigen muss. Ende August 2015, es waren ungefähr zehn Leute in der Marxergasse. Ich habe einen Protestanten zitiert, um es für mich nicht ganz so peinlich werden zu lassen, ein bisschen die Schuld abzuschieben und auf Katholisch gemacht und super provokativ gesagt: Wenn ihr jetzt von anderen Kirchengemeinden oder anderen kirchlichen Gemeinschaften in Wien hier seid, dann solltet ihr wissen: Von jetzt an ist dieser Ort nicht mehr für euch, sondern für Menschen, die den Herrn nicht kennen. Es gibt 100 Sonntagsmessen innerhalb einer halben Stunde Gehzeit von diesem Ort. Unser Problem in Wien ist nicht der Mangel an Messen. Es gibt eine wunderbare Lehre und es gibt wunderbare Vorträge und es gibt eine wunderbare Art und Weise, seinen Glauben zu vertiefen. Wenn ihr bereit seid, den Menschen zu dienen, die den Herrn nicht kennen, dann seid ihr hier mehr als willkommen. Aber wenn nicht … Das war so mein ?-Moment am Strand von Mexiko, verbrenne die Schiffe, burn the ships. Ich dachte, entweder ich gehe zurück nach Kanada und füttere meine Kühe oder ich weiß nicht … irgendwas muss sich ändern. Damals dachte ich, es würden mich jetzt alle mit faulen Tomaten bewerfen oder gleich rausgehen. Ich wollte natürlich nicht verletzend sein, aber es war ein Heiliger-Geist-Moment, weil jeder nach der Messe zu mir gekommen ist und gesagt hat: Pater George, das stimmt! Wir sind mal dort, mal da, aber es gibt kein Commitment, keine Ownership für eine gemeinsame Vision, diese Stadt zum Herrn zurückzuführen.

Wenn wir überlegen, was wir hier in der Praterstraße machen: Wir wollen es uns nicht schön einrichten. Ja, wir richten das Haus schön ein, aber nicht für uns, sondern weil wir einen Ort schaffen wollen, der etwas vom Geschmack des Himmels widerspiegelt. Nicht das Äußerliche steht an erster Stelle, sondern hoffentlich die Art und Weise, wie wir sind, wie wir auftreten und wie wir miteinander umgehen. Wie wir die Liebe unter uns leben. Wie wir den Menschen dieser Stadt dienen.

Und ich würde mich sehr freuen, wenn ihr weiterhin dabei seid. Und wer weiß, wo uns die Reise hinführt.