Heute ist Gründonnerstag. Was soll das bitte mit dem Zölibat zu tun haben? Der Gründonnerstag ist nicht nur aber eben auch „Fest der Priester“ – so nannte benannte der Hl. Johannes Paul II. diesen Tag in seinen traditionellen Gründonnerstag „Briefe an die Priester„. Vielleicht nichts wie der Abendmahlsaal, nichts wie das „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben ist“ kann besser erklären, was ein Priester ist und ausmacht, lässt tiefer begründen, warum er lebt wie er lebt. Hier meine Gedanken dazu:

 

Ehelos. Um des Himmelreiches willen. (Vgl. Mt 19,12) Das Himmelreich, das ist Jesus Christus selbst. Für ihn entscheidet sich jeder Priester. Er steht im Vordergrund. Seine Hingabe, seine Freundschaft ist die kostbare Perle, für die alles andere verkauft wird. Für ihn ist man bereit, alles aufs Spiel zu setzen, das ganze Leben in die Waagschale zu werfen. Nicht weil man nicht anders konnte, sondern weil man nicht anders wollte. Zölibat kann letztlich nur der Liebende begreifen. Hier ist eine andere Logik im Spiel, die ein verzweifelter Versuch, das Leben an sich zu reißen, niemals erfassen kann. Voll lebendig ist der, der sich verschenkt. Leben wächst, indem man es verliert. (Vgl. Mt 10,39) Sich selbst verlassen, um sich im anderen zu finden. Das ist mein Leib, der für dich hingegeben ist, wie kann es anders für den Jünger sein? Leib eben, nicht nur Geist. Das ganze Ich, nicht nur ein Teil von ihm. Nicht nur ein Teil der Zeit, ein Teil der Talente, ein Teil des Lebens. Wer sich stückweise verschenkt, hat gar nichts gegeben. Die Logik des Geschenks ist eine andere. Geschenk sein, das ist wie Gott ist, so muss jemand leben, der immer mehr sein Abbild werden will. Die höchste Gabe hieß Karsamstag und lag im Grab. Am Kreuz konnte er wenigstens noch für den Geliebten leiden, jetzt konnte er gar nichts mehr geben – und gerade darin liegt das Leben. In dieser Erde konnte das Weizenkorn keimen. (Vgl. Joh 12,24) Deswegen liebte ein hl. Johannes vom Kreuz die dunkle Nacht, weil er dort sicher sein konnte, sich im Lieben nicht selbst zu suchen, sondern nur den Geliebten. Radikaler ist Hingabe kaum vorstellbar, wenn sie dem Geber nichts, aber den Geliebten das Leben gibt. Stark wie der Tod ist die Liebe. (Hl. 8,6) Egal, was ich gebe, es ist immer zu wenig. Mehr noch, der Tod setzt der Liebe ihre Grenze. Mehr kann ich in diesem Leben nicht geben als das eigene Leben. Auf der anderen Seite dieser Grenze in Hingabe zu leben, das tut im Diesseits nur einer. Und wer sich mit ihm radikal verbindet, der wird auch schon im Diesseits ehelos leben, aber für das Himmelreich. Dieser Auftrag ist prophetisch, denn dort im Jenseits, dort wird keiner anders leben wollen. Auf der anderen Seite der Grenze eben.

 

Im Über-sich-selbst-Heraustreten, um ein höheres Dasein im anderen zu leben, darin besteht die Ekstase. Überwältigt von der Gabe dieses Riesen kann man, oder besser, will man nicht mehr anders außer ihm alles, sich selbst zu übergeben. Die Selbsthingabe eines ganzen Gottes nimmt die Freiheit seines Geschöpfes zutiefst in Anspruch. Wer hier vom Zwang und Gesetz und Du-musst-was-werden redet, der hat gar nichts verstanden. Die Liebe des Riesen kratzt an keiner Oberfläche, sie dringt zuvor in die Tiefen des eigenen Ichs und erobert allmählich die verborgensten Gemächer. Diese Eroberung aber ist merkwürdig. Sie heißt Freiheit, denn eigentlich, nur wenn ER im Innersten ankommt, wenn das eigene Ich nackt vor IHM steht, wenn Masken und Mauern niedergerissen werden, wenn sich Auge in Auge begegnen, erst dann kann man überhaupt von Freiheit reden. Er, der Riese, will einem dort begegnen, im Innersten. Dort, wo man frei über sich selbst verfügen kann. Aber dort, im Innersten, dort ist man oft genug nicht vorzufinden. Draußen ist man. Gefangener der Erwartungen und Anerkennung anderer, Gefangener des Egoismus, der eigenen Gefühle und Emotionen, Gefangener eben. Und doch, zur Freiheit hat uns Christus befreit (Gal 5.1), zur Freiheit der Kinder Gottes. (Röm 8,21) Nur der kann sich schenken, wer über sich selbst verfügt. Aber über sich selbst verfügt der, wer im Innersten lebt und sich selbst empfängt von ihm, der absolut bestätigt, absolut annimmt, absolut bedingungslos liebt. Wer vor diesem Riesen niederfällt, der ist frei. Er ist frei, weil ihn nichts anderes auf die Knie bringen wird, keine Erwartungshaltung, keine Suche nach Anerkennung, keine Meinung, kein Druckmittel von außen. Er ist frei, weil er nur einen Gott anbetet, weil es keine andere Götzen in seinem Leben gibt. Liebe ist Vollgebrauch der Gabe der Freiheit. Aber Vollgebrauch heißt Fähigkeit zum Nein und Entscheidung zum Ja. Was bedeutet mein Ja, wenn ich nicht nein sagen kann? (Christopher West) Ehelos um des Himmelreiches willen lebt der Priester dann, wenn er kein Getriebener seiner Triebe ist, wenn er kann, aber nicht muss, wenn alles, was er tut, immer mehr den Erfordernissen der Liebe entspricht, wenn er frei ist zu lieben, alle Menschen, jeden Menschen, den ganzen Menschen.

 

Sie waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander. (Gen 2,25) Ehelos um des Himmelreiches willen leben heißt Teilhabe an dieser Nacktheit, nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen anderen Adams und Evas, denen man begegnet. Keine Masken. Keine Mauern. Keine Feigenblätter. Ich kann mich verwundbar machen, weil ich weiß, wem ich mein Vertrauen geschenkt habe und mich in seinen Armen sicher fühle. Nackt steht ein nackter Adam vor einer nackten Eva. Kein Apfel wird an sich gerissen, es ist keine Begierde vorhanden. Der andere darf erst mal dort stehen bleiben, darf erst mal um seiner selbst willen sein. Er muss sich nicht verstellen, um geliebt zu werden. Man kann sich in die Augen sehen lassen, man kann sich zeigen, weil der eine den anderen nicht an sich reißen wird, weil die Freiheit radikalst respektiert wird.

 

Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen – keine Repression, keine Unterdrückung des sexuellen Verlangens, sondern dessen Beflügelung, dessen Durchdringung von der Logik der Gabe, von den Erfordernissen der Liebe. Der Priester hat nicht weniger zu lieben, sondern mehr. Hoffentlich spürt man in den Augen des Priesters etwas von dem, was es heißen muss, von der Liebe selbst geliebt zu sein. Nicht durch eigene Kraft, sondern durch ihn, denn „alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13), denn „ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“. (Gal 2,20) Man erwartet von ihm die Lauterkeit des Blicks, eines Blickes, der in die Tiefen des Angeschauten vordringen kann. Vielleicht auch deswegen ist er Vertrauensperson für viele. Ein Blick, der eine Widerspiegelung des Blicks dessen ist, der unendliche Geborgenheit und Sicherheit schenkt. Ein Blick, in dem ich erkenne: Der glaubt ja viel mehr an mich als ich an mich selbst glaube, der scheint ja mehr Interesse an mir zu haben als ich selbst an mir habe. Ein Blick, der an die eigene Würde erinnert, die eigene Größe, der wie ein Aufruf ist: „Erinnere dich daran, wer du bist, zu welchen Höhenflügen du fähig bist, wenn der Herr dir hilft. In ihm, in Jesus Christus hast du ein Anrecht zur eigenen Größe.“ (vgl. Johannes Paul II. Fulda, 17.11.1980) Oh, wie herrlich, wenn der Priesterblick von der Leidenschaft Gottes für den Menschen beseelt ist, wenn in seinem Blick der oder die andere den eigenen Ruf zur inneren Freiheit und Liebe und Lebensfülle entdecken darf. Wenn sein Blick Gottes Blick vergegenwärtigt, ein Blick, der nichts erwartet, aber alles gibt.

 

Titelfoto: WordSwag (Eigenkreation Anhand eines Bildes aus pixabay.com/de)