In seinem Buch „Kirche mit Vision“ schreibt Rick Warren Folgendes über Wellen: „Wenn du Unterricht im Surfing nimmst, dann wird man dir alles Notwendige zum Thema beibringen: Wie man eine surfbare Welle erkennen kann, wie man eine Welle „catchen“ und so lange wie möglich reiten kann; und vor allem, wie man von einer Welle herunterkommt, ohne sich dabei zu verletzen. Aber man wird niemals an einem Kurs zum Thema „Wie man eine Welle baut“ teilnehmen können. Surfing ist die Kunst, Wellen zu reiten, die Gott baut. Gott baut Wellen, Surfer reiten sie. Kein Surfer versucht, Wellen zu erschaffen. Wenn es keine Wellen gibt, dann surft man an diesem Tag eben nicht. Aber wenn Surfer gute Wellen sehen, dann machen sie das Beste draus, auch wenn das heißt, inmitten eines Sturmes zu surfen.
Viele Bücher und Konferenzen zum Thema Wachstum von Kirchengemeinden fallen in die Kategorie ‚Wie man eine Welle baut‘. Sie versuchen Wellen von Gottes Geist zu schaffen, indem sie Gimmicks, Programme oder Techniken des Marketings nutzen, um Wachstum zu produzieren. Aber Wachstum für das Reich Gottes kann der Mensch nicht schaffen. Nur Gott kann dieses Wachstum bringen. Nur Gott kann neues Leben in ein Tal ausgetrockneter Knochen (Ez 37) hauchen. Nur Gott kann Wellen schaffen, Wellen der Erneuerung, Wellen des Wachstums, Wellen der Aufnahmebereitschaft für den Geist … unsere Aufgabe als Verantwortliche für unsere Gemeinden besteht darin, wie erfahrene Surfer die Wellen des Geistes Gottes zu erkennen und sie zu surfen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Wellen zu schaffen, sondern zu erkennen, wie Gott in der Welt wirkt und an seinem Unterfangen mitzuwirken.“ 

 

Wenn wir auf das Zentrum Johannes Paul II. schauen, dann ist das eine Lektion, die wir nicht aus den Augen verlieren wollen. Ich hatte das aber nicht immer so verstanden, wenigstens nicht in diesem vollen Ausmaß. Vielleicht war es mir nicht bewusst. In der Tat aber handelten wir, die Legionäre Christi unter meiner Verantwortung,  in den 10 Jahren vor der Gründung des Zentrums im Herbst 2015 anders. Zehn Jahre hatten wir versucht, pastorale Initiativen mit Teenagern ins Leben zu rufen. Die alle gescheitert sind. Gut. Das ist eine Übertreibung. Es passierten auch schöne Dinge. Aber im Grunde hatten wir nichts Beständiges aufbauen können. Zugleich war es aber offensichtlich, dass mit Studenten etwas weiterging. Im Kleinen, aber doch. Es dauerte ewig lange, bevor die Entscheidung fiel: Fokussieren wir uns auf die Studenten! Gott baute gerade da eine Welle. Was ich damit nicht sagen will, ist, dass wir gleich alles über Bord werfen sollen, weil es schwierig ist. Und ja, diese Unterscheidung ist nicht immer einfach – und überhaupt ist geistliches Surfen nicht einfach. Aber es lohnt sich bei der Unterscheidung dessen, was zu tun ist und was nicht, auf diese Dynamik zu schauen: Versuche ich Wellen zu bauen oder lasse ich Gott das tun und beschränke mich auf das Surfen? 

 

Ein aktuelleres Beispiel ist das Thema „Ressource Church“. Als wir 2015 mit dem Zentrum starteten, wollten wir eine Gemeinde sein, die fernstehende Menschen befähigt, missionarische Jünger oder Apostel zu werden. Aber nach ein paar Jahren geschah etwas Verwunderliches. Unterschiedliche kirchliche Organisationen begannen an unsere Tür zu klopfen. Sie waren auf der Suche nach Inspiration und Hilfe. „Verwunderlich“, da wir keine große Gemeinde sind, und vor einigen Jahren sogar noch wesentlich kleiner waren. Verwunderlich auch, weil wir ja alle wissen, dass wir nicht perfekt sind, Fehler machen und selber noch viel lernen müssen. Und doch, sie kamen und sie kommen. Vor allem Pfarren. Aus Österreich. Aus Deutschland. Sogar darüber hinaus. Tendenz steigend. In den vergangenen 12 Monaten waren es mehr als 20 Pfarren, die von uns in Seminaren, Workshops und persönlichen Coachings Hilfestellungen erhalten haben. Nicht, weil wir so großartig sind. Wir haben das nicht angestrebt. Ich beginne sogar zu glauben, dass es ein Charisma des Zentrums sein könnte, andere Gemeinden bei ihren Revitalisierungsbemühungen unterstützen zu dürfen, weil Input und Output im Verhältnis nicht proportional zueinanderstehen. Das ist auch der Grund, warum wir die Vision des Zentrums von „Fernstehende zur missionarischen Jüngerschaft befähigen“ zu „Fernstehende zur missionarischen Jüngerschaft befähigen und anderen Gemeinden dabei helfen, dasselbe zu tun“ geändert haben. Warum? Weil es allzu einfach ist, alles nur rein menschlich zu betrachten. Wie in diesem Fall. Haben wir nicht tausend andere Dinge zu tun? Können wir überhaupt Ressourcen freimachen, um andere Gemeinden zu unterstützen? Was sollen wir denn anderen groß erzählen? Wollten wir nicht andere Prioritäten setzen? Und da glaube ich, ist es so wichtig für eine Gemeinde zu versuchen, wirklich hinzuschauen, hinzuhören, im Gebet darum zu ringen, gut erkennen zu können: Wo baut er gerade eine Welle? Und dann mutig versuchen, diese Welle tatsächlich zu surfen. 

 

Das Prinzip „Surfe die Wellen, die Gott baut, anstatt zu versuchen, die eigenen zu bauen“ hat Konsequenzen. Und zwar nicht nur auf der institutionellen, sondern auch auf der persönlichen Ebene. Es geht um einen „kontemplativen Blick“. Die Kontemplation ist ein einfaches Hinschauen auf die Wirklichkeit unter dem Einfluss der Liebe. Wirklich hinschauen ist schwierig, bleibt oft oberflächlich und kann sogar dazu führen, die Dinge, die Umstände, die Menschen zu verkennen. Und das geschieht immer dann, wenn der Blick nicht aus der Liebe kommt. Ohne die Liebe tendieren wir dazu, Dinge oder Menschen für uns haben zu wollen, sie egoistisch zu nutzen oder so zu gebrauchen, dass sie das tun, was ich will. Kontemplation hilft uns, die Dinge erst mal so stehenlassen zu können. Ein wenig so, wie wenn man eine Berglandschaft oder ein Kunstwerk einfach erst mal anschaut, ohne gleich zu überlegen, welchen Nutzen ich davon habe. Ein liebender Blick hilft uns besonders, andere Menschen in ihrer Würde zu betrachten, sie zu sehen, wofür sie in sich sind, bevor sie einem etwas bringen. Und das hilft uns besser hinzuschauen, die andere Person zu sehen für das, was sie oder er ist, in ihrer Ganzheit, und nicht nur in dem Teil, den ich für mich haben will. Eine kontemplative Haltung lässt uns erst mal ernsthaft fragen, was diese oder jene Situation oder Gegebenheit mir oder auch uns sagen will. Man erlaubt den anderen oder der Situation zu reden, bevor man die Antwort erzwingt, die man von ihnen hören will. Letztlich hilft uns die Kontemplation, alles als Geschenk aus der Hand eines liebenden Vaters zu betrachten, sogar das Kreuz als etwas zu sehen, das nicht einfach, aber, vereint mit Jesus, erlösend ist. 

 

Gottes Segen!

P. George