Vor kurzem war ich mit einem befreundeten Priester im Gespräch. Thema waren die Herausforderungen, die ein Mensch heute hat, seine Berufung zu finden. Dabei fiel folgender Kommentar: „Außerdem ist grundsätzlich schon zu bedenken, dass eine Ordensgemeinschaft die Heiligkeit der Mitglieder und das Apostolat als Ziele hat, nicht die Befriedigung der Bedürfnisse und Wünsche der Mitglieder.“ Mein Priesterfreund fügte aber gleich hinzu, dass man diese Aussage nicht einseitig sehen sollte, man könne sie auch missverstehen. Und das stimmt. Eine kirchliche Institution, die nicht mehr ihre Mitglieder vor Augen hat, sondern nur noch ihre Ziele als Institution, wäre ein Desaster. Aber andersherum, ein junger Mensch, der in einen Orden eintritt oder den Weg Richtung Priestertum einschlägt, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen – das wäre eine authentische Tragödie.
Und das ist der Punkt. Wir als Christen sind davon überzeugt, dass die Nachfolge Christi – das heißt, weg von uns selbst, hin zu Christus – nicht unser Menschsein zerstört, sondern uns erst unsere eigene Größe kennenlernen lässt, uns erst wirklich erlaubt, Mensch zu werden, uns selbst zu finden. Der heilige Johannes Paul II. hat nicht davon abgelassen, tagein, tagaus uns allen das einzuschärfen, was das II. Vatikanische Konzil so betont hatte: Christus „macht dem Menschen den Menschen selbst voll kund.“ (Gaudium et Spes, 22) Christus offenbart den Menschen, wer er eigentlich ist. Wer sich in Christus verliert, findet erst dann sich selbst wirklich wieder. Weil dem so ist, führt uns Christsein immer mehr zur Mitte, die eben in Christus und nicht in unseren Juckreizen zu finden ist. Die Heiligkeit ist ein anderer Name für das biblische Wort „der neue Mensch“. Den alten Menschen gilt es abzulegen, den neuen anzuziehen. (Vgl. Eph 4, 22-24)
Das Ziel unseres Lebens besteht nicht darin, dass alle und alles meine Wünsche erfüllen, sondern in einer Liebes- und Lebensgemeinschaft mit Gott: ihn zu kennen, zu lieben, ihm zu dienen. Das ist keine Absage an den Menschen. Im Gegenteil. Gott als Ziel des Menschen zu betonen unterstreicht die Größe des Menschen: Er ist gottfähig, er ist für Gott geschaffen, nichts weniger wird ihn erfüllen. Der Mensch ist nicht für das Kleine geschaffen, sondern für das Große, das Große, das Gott selbst ist. Gott ist kein Konkurrent des Menschen. Er ist sein Erlöser. Er befreit ihn von sich selbst und davon, sich immer wieder zu wenig von sich selbst und von seinem Leben zu erwarten.
Das Gesagte hat für die Frage der eigenen Berufung große Auswirkung. Ich-Zentriertheit macht es für uns heute vielleicht schwerer denn je, Hörende zu sein. Oh, Herr! Reiß mich heraus aus allen Umlaufbahnen des Egoismus, der mich in mich selbst schließt, kalt gegenüber den Nöten und Bedürfnissen der Welt werden lässt, unfähig, deine Stimme zu hören, die mir sagt: Komm und folge mir nach!
Pater Lic. George Elsbett LC (geb. 1972 in London) ist Hausoberer der Niederlassung der Legionäre Christi in Wien und Regionalkoordinator des Regnum Christi in Österreich. Er ist in Kanada aufgewachsen, trat 1993 in das Noviziat ein und studierte Philosophie und Theologie in Rom. 2003 empfing er die Priesterweihe und wirkt seither in Österreich, wo er sich auf Theologie des Leibes, Ehe- und Berufungspastoral spezialisiert hat.
Mehr Info zu P. George Elsbett: http://about.me/gelsbett Siehe auch http://www.wohinberufung.com/
Beitragsbild; Fotalia mit Erlaubnis