Pater George Elsbett LC stellte bei „ShutUp! It’s Christmas!“ das Thema Erwartung ins Zentrum seiner Predigt. „Das, was wir erwarten dürfen, ist nichts weniger als Gott selbst und damit alles. Ziele also nicht zu niedrig mit deinen Erwartungen, erhoffe dir nicht zu wenig vom Leben. Und von Gott!
„Man könnte sagen, dass der Mensch lebt, wenn er auf etwas wartet, wenn er etwas erwartet, solange die Hoffnung in seinem Herzen lebt“, sagte einmal Papst Benedikt XVI. Man erkennt den Menschen an seinen Erwartungen: Die Größe eines Menschen hängt davon ab, was er erwartet, worauf er hofft. Aber… ist es nicht gefährlich, zu viel zu erwarten, zu hoch mit den Hoffnungen zu zielen? Ist es nicht einfach besser, die Erwartungen zurückzuschrauben, möglichst wenig zu erhoffen, um nicht enttäuscht oder verletzt zu werden? Oder, wie die alten Griechen sagten: ´Wenn du einen Menschen glücklich machen willst, gib ihm kein Geld, sondern nimm einiger seiner Erwartungen weg.´ Mein Plädoyer heute Abend und, ich würde sagen, die Botschaft von Advent und Weihnachten, ist aber genau das Gegenteil: Unser Problem ist nicht, dass wir zu viel, sondern dass wir viel zu wenig erwarten.
´Der Wolf findet Schutz beim Lamm´ hieß es heute in der Lesung (Jes 6,11), die wir aus der Bibel gehört haben. Vielleicht sind österreichische Wölfe anders, aber auf der Ranch meiner Eltern in Kanada suchte kein Wolf Schutz bei einem Lamm.
´Der Wolf findet Schutz beim Lamm´, das heißt, der Wolf lässt das Lamm nicht nur in Ruhe, toleriert es nicht nur. Er sucht beim Lamm Schutz. Es geht nicht nur um Toleranz des Lammes. Es geht um Liebe, um Wertschätzung, anzuerkennen, dass dieses Lamm sogar ein Geschenk ist. Der Wolf findet Schutz beim Lamm: eine absurde Idee. Ein Bild, womit ausgedrückt werden soll: erwarte nicht zu wenig, erwarte das ganz Neue, das ganz Große. Eine andere Welt, welche die Wertevorstellung unserer Welt auf den Kopf stellt.
Ich würde mir so eine Welt wünschen. Und doch merke ich, dass ich oft genug selbst nicht so lebe.
Und damit ihr versteht, was ich meine: Meine Mom war alleinerziehend. Mittel gab es wenige. Täglich gab es in der Früh Eierkuchen mit Zitrone als Topping. Einmal habe ich den Pfannenkuchen mit Wasser übergossen, da ich irgendetwas draufgeben wollte, und es an diesem Tag auch keine Zitronen gab. Es war mein fünfter Geburtstag. Wir waren gerade umgezogen. Geld war knapper als sonst. Und meine Mutter hatte es mit viel Mühe geschafft, mir ein Brettspiel ´Mensch ärgere dich nicht´ oder so etwas ähnliches zu kaufen und schön zu verpacken. Ich mache das Geschenk auf, schaue sie an und sage: ´Ist das alles?´ – Das hat sie getroffen. Wie ein Messer ins Herz. Ich habe immer noch das Bild vor mir. Wie meine Mutter sich wegdrehte, mir ihre Tränen nicht zeigen wollte. Aber es hat einfach zu wehgetan. Ich hatte einen Dammbruch eingeleitet.
Und mir selbst kommen heute (fast) noch die Tränen, wenn ich daran denke. Ich schäme mich, dass ich es schon mit fünf Jahren geschafft habe, meine Mutter so zu verletzen. Und es war leider nicht das einzige Mal. Und auch nicht das letzte Mal, dass ich mir solche Sachen vorhalten musste wie: Wie konnte ich nur? Wie konnte ich übersehen, wie schwierig ihre Lage gewesen war? Wie konnte ich so undankbar sein? Einfach ´zu busy´ sein, um mich um das Wichtigste, damals um sie, heute um einen Freund, einen Mitarbeiter oder einen Verwandten zu kümmern? Wie konnte ich so blind sein? Warum habe ich das getan? Wie konnte ich sogar jemanden, den ich so liebe, derart verletzen?
Passiert euch das manchmal? Habt ihr manchmal auch Momente, wo ihr euch denkt: boaaa … wie konnte ich nur? Warum habe ich das gemacht? Wie konnte ich so dumm sein? Wie konnte ich so verletzend sein? Wie konnte mir das geschehen? Warum habe ich meine Mom so angeschrieen? Wie konnte ich die Beziehung zu meinem Partner so zerstören? Warum habe ich ihn so angelogen? Wie wird er mir jemals dafür vergeben können? Wie bin ich jetzt hier gelandet, in dieser Sucht nach Anerkennung, in diesem Versklavt-Sein von Erwartungshaltungen anderer?
Und egal, ob ich auf die großen Probleme der Welt schaue, oder auf die Welt, die ich selbst bin. Auf das Bein, von dem heute beim Opener die Rede war, das immer noch nicht geheilt ist. Darauf, dass mich niemand so wirklich kennt. Auf die Leute, denen ich heute am Morgen nicht geholfen habe, weil ich sie nicht anlügen wollte. Darauf, dass ich meine Heizkosten wahrscheinlich bald nicht mehr zahlen kann. Auf die Mutter, die den Kindern verbergen will, wie schlecht es denen eigentlich geht. Auf den Krieg in der Ukraine, der irgendwie nicht aufhören will. Auf die Zermürbung durch Corona. Auf die politische Situation im eigenen Land. Auf die Spaltung in der Gesellschaft.
Es wäre an der Zeit, dass sich etwas ändert. Aber ich weiß nicht so richtig, wie das geschehen soll. Und schöne ´Hoffnungs-´ und ´Denk Positiv-Vereine´ habe ich satt. Die haben doch wirklich keine Ahnung. Und der ´Herr Überall´ auch nicht. Und vielleicht fühle ich mich ohnmächtig im Blick auf die großen Probleme der Welt oder auf das eigene Ich. Was darf ich überhaupt noch erwarten? Wird sich etwas ändern? Und wir können dazu tendieren, aufzugeben. Unsere Träume zu begraben. Wie mir mal jemand schrieb, als eine Beziehung in die Brüche gegangen war: ´Ich habe wieder mal einige Sehnsüchte begraben.´ Die Rückschläge des Lebens, die eigene Unzulänglichkeit, die Verletzungen… all das kann uns zynisch machen oder bitter, die Flamme der Hoffnung in unserem Herzen zum Erlöschen bringen.
Benedikt XVI. sagte einmal, dass die Erwartung, das Warten eine Dimension sei, die unser ganzes Dasein durchzieht. ´Die Erwartung ist in tausend Situationen gegeben, von den kleinsten und banalsten bis zu den wichtigsten, die uns ganz und in der Tiefe einnehmen. Denken wir etwa an die Erwartung eines Kindes bei den Eheleuten, die lange gehofft haben ein Kind empfangen zu dürfen und es endlich gelungen ist; an jene eines Verwandten oder Freundes, der von weit herkommt, um uns zu besuchen; denken wir an das Warten auf das Ergebnis einer entscheidenden Prüfung oder eines Vorstellungsgesprächs; an das Warten auf die Begegnung mit einem geliebten Menschen.´ Denken wir an die Antwort auf eine wichtige Mail oder auf die Annahme einer Vergebung; an das Warten auf einen Zuspruch oder ein Zeichen der Wertschätzung seitens des eigenen Vaters, dass er sagt: ´Das hast du gut gemacht, mein Kind!´
Die Größe eines Menschen hängt davon ab, was er erwartet, worauf er hofft. Der Advent ist eine Zeit der Erwartung. Advent heißt auf Deutsch: das Kommen, die Ankunft. Der Christ würde sagen, dass alle Erwartungen des Menschen im Letzten auf eine einzige Erwartung hindeuten. In seinem Herzen ist eine tiefe Sehnsucht, ein Verlangen tief verborgen. Und diese Sehnsucht schwingt in jedem Verlangen, in jeder seiner Hoffnungen mit, und zwar: Die Erwartung, das Warten auf den, der absolut bestätigt, absolut annimmt, absolut liebt. Das Warten auf eine Beziehung, in der ich mich voll und ganz fallen lassen kann, voll und ganz hingeben kann. Das Wissen darum, dass ich in einer Liebesbeziehung stehe, in der die Liebe nicht nur ewig genannt, sondern wirklich ewig ist. Dass mein Leid und die Dysfunktion und die Unzulänglichkeit und die Verletzung und die Krankheit und der Hass nicht das letzte Wort über mein Leben sprechen. Und das Wissen darum, dass es am Ende jemanden gibt, den nicht ich erwarte, sondern der auf mich wartet.
Den nicht ich erwarte, sondern der auf mich wartet!
Christsein ist das, was stattfindet, wenn der Durst Gottes den Durst des Menschen erweckt. Viel mehr als wir ihn erwarten, erwartet er uns, wartet er auf unser williges Herz, das aufhört zu versuchen, sich selbst zu erlösen, sich selbst Sinn und Halt und Bedeutung und Identität zu schenken. Er wartet auf ein Herz, das sich von ihm beschenken lässt: Du bist meine geliebte Tochter! Du bist mein geliebter Sohn!“
Dann lädt Pater George die Mitfeiernden ein, nach dem Ende der Predigt die Frage „Worauf wartest du?“ – eine Hoffnung, einen Traum, eine Vision – auf einer ausgeteilten Karte zu beantworten, diese im bereitgelegten Kuvert zu verschließen und die eigene Adresse draufzuschreiben. In einigen Monaten würde dann das Zentrum Johannes Paul II. die Kuverts mit den Karten versenden. So könnte man dann feststellen, ob das, worauf man warte, eine tiefe Sehnsucht oder nur ein oberflächlicher Wunsch, den man schon längst wieder verworfen habe, gewesen sei.
„Vor allem soll dir das einen Impuls geben, die innigsten und wichtigsten Erwartungen, die uns ganz und in der Tiefe einnehmen, vor Augen zu halten – und nicht zu unterdrücken oder zu ignorieren. Natürlich kannst du auch oberflächlich antworten, wie zum Beispiel: ´Ich warte auf meine Amazon-Lieferung.´ Oder: ´Ich warte auf Godot.´ Das wird aber nicht viel bringen. Ich möchte dich einladen, dass du dir diese Frage wirklich stellst und dass du nicht zu schnell antwortest. ´Verstehe nicht zu schnell, was ich dir sagen will´, sagte mal jemand. Auch wenn dir vielleicht sofort etwas einfallen würde, was du an deinem Leben ändern könntest oder solltest. Höre noch einmal hin. Gehe einen Schritt tiefer.
- Es könnte aber natürlich auch sein, dass es dir ganz klar, was eigentlich dran ist, und dann ist die Frage ´Worauf wartest du?´ einfach eine innere Aufforderung zum Tun, von der Couch herunterzukommen, ´na, komm schon, mach einfach, auf was wartest du?´
- Vielleicht ist die Frage nicht das, sondern eher die Frage nach dem, worauf du dein Leben baust, worauf du deine Hoffnungen setzt. Vielleicht wird es dir klarer, dass du mit deinen Erwartungen zu niedrig zielst.
- Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass die Verletzungen in deinen Leben dein Herz hart gemacht haben, dass du bitter geworden bist oder zynisch. Vielleicht betrifft es deine Erwartung in Bezug auf Gott. Vielleicht erwartest du dir von ihm Missgunst oder einen strafenden Blick, statt einen guten Vater, der das Beste für dich will. Hier kann übrigens die Beichte sehr helfen, denn es lässt uns dem Gott begegnen, der uns auch gerade in unserer Unzulänglichkeit liebt. Gerade im Moment, wo du Dinge sagst, die du vielleicht keinem Menschen sagen würdest. Wo du dich auch in deiner Schwäche zeigst, erfährst du seine Liebe. Das kann sehr heilsam sein.
- Vielleicht lebst du eine Beziehung mit Gott, aber merkst, dass du in eine Lauheit gefallen bist, dass das Gebetsleben mittelmäßig ist, dass das Feuer in deiner Hingabe am Herrn, am Nächsten, an deiner Community fehlt. Du lebst vielleicht einfach zu sehr für dich selbst und das macht dich traurig. Vielleicht will die Frage dich herausfordern, neu zu träumen und diesen ´Traum´ in die Krippe zu legen und dem Herrn zu Weihnachten zu schenken.
- Vielleicht ist aber auch das nicht deine Situation. Vielleicht ist deine Beziehung mit dem Herrn schon ziemlich tief. Du hast ein regelmäßiges Gebetsleben, du lebst Jüngerschaft – auch in den Dimensionen der Weiterbildung, im Dienst an den Bedürftigen und an den Armen, in der Mission. Aber vielleicht kann diese Frage die tieferen Sehnsüchte erwecken, diese tieferen Gewässer des Herzens, wo du weißt, dass der Herr dich einlädt, einen nächsten Schritt zu machen. Voranzugehen und mutig zu sein. Keine Angst zu haben, dem Ruf zu folgen, den du spürst, oder den ihr als Familie spürt. Auch dich lade ich ein, das aufzuschreiben und den Herrn zu bitten, zu helfen zu erkennen, an welcher Tür deines Herzens er gerade steht, und den Mut, die Tür aufzumachen.
Es ist Zeit. Es ist Zeit, sich auf Weihnachten vorzubereiten und sich die eine Frage zu stellen: Worauf warte ich, was erwarte ich? Wonach strebt mein Herz in diesem Advent – in diesem Moment meines Lebens? Was ist unsere Sehnsucht als Familie, als Gemeinschaft, als Nation? Welche Erwartungen haben wir? Was vereint unsere Bestrebungen, was haben sie gemeinsam?
Stellt euch eine Welt voller Menschen vor, die groß träumen; die nicht aufgrund ihrer Niederlagen und Verletzungen und Enttäuschungen zynisch oder bitter werden. Die deswegen nicht ihre Sehnsüchte zu Grabe tragen. Die nicht zu wenig vom Leben erhoffen. Die von großen Sehnsüchten erfüllt sind, von einer starken Hoffnung und einer brennenden Liebe. Menschen, deren Anwesenheit das Beste aus den Menschen um sie herum herausholt. Menschen, die andere nicht nur tolerieren, sondern lieben. Menschen, die Zeit für andere haben, weil sie nicht ängstlich versuchen müssen, so viel wie möglich aus dem hier und jetzt für sich selbst herauszuholen, die Zeit haben, weil es Ewigkeit gibt. Menschen, die für das Gute, das Wahre und das Schöne kämpfen, auch dann, wenn alle Hoffnung verloren scheint. Auch dann, wenn der, der überall ist, anscheinend nicht zuhört, wegsieht. Weil sie wissen: Im Letzten bin ich geborgen. Im Letzten ist diese Welt geborgen. Im Letzten kann ich gar nicht so weit fallen, dass ich aus der Hand Gottes falle. Im letzten wartet er auf mich.
Um es zusammenzufassen: Die Größe eines Menschen hängt also davon ab, was er erwartet, worauf er hofft. Auf was, auf wen dürfen wir unsere Hoffnung nun bauen? Auf was dürfen wir denn noch hoffen, was können wir noch erwarten? Die Botschaft des Advents lautet: Das, was wir erwarten dürfen, ist nichts weniger als Gott selbst und damit alles. Ziele nicht zu niedrig mit deinen Erwartungen. Erhoffe dir nicht zu wenig vom Leben. Und von Gott.
Schließen wir mit einem Gebet. Vielleicht ist es ein ganz einfaches Gebet. Vielleicht willst du so beten: ´Gott, wenn es dich gibt, hilf mir… Oder hilf mir, dich zu erkennen und zu erwarten.´ Oder vielleicht ist es auch ein Gebet wie: ´Jesus, ich stehe hier vor der Krippe. Die leer ist. Weil ich erwarte, dass sie nicht leer bleibt, dass da etwas geschieht, etwas, das eigentlich schon geschehen ist. Wenn es dich gibt, wenn die Krippe, wenn diese Welt nicht einfach leer ist; wenn du wirklich anwesend bist, überall, aber auch ganz konkret bei mir; wenn ich nicht alleine in dieser Welt leben muss, wenn ich wirklich Großes erhoffen darf; wenn du mit mir eine Beziehung aufbauen willst, die über den Tod hinaus trägt; wenn du mir Sinn und Halt und Richtung in diesem Leben schenken möchtest, wenn du mich ermutigen willst, hier für eine bessere Welt zu kämpfen, dann bitte ich dich, mir dabei zu helfen. Es ist Zeit! Hilf mir! Hilf mir, dich zu erwarten. Schenk mir dein Feuer, das Johannes der Täufer in der Bibelstelle aus dem Evangelium heute so innig erwartete, das Feuer, das der Heiligen Geist ist, der mich reinigt und entzündet. Hilf mir, mich nicht mit zu kleinen Erwartungen zufriedenzugeben. Hilf mir, auf dich zu bauen. Mich neu oder vielleicht zum ersten Mal für dich zu entscheiden. Ich möchte aufhören, alles selbst kontrollieren zu wollen, ich will mich dir anvertrauen, bitte hilf mir, lass mich hoffen, lass mich glauben, lass mich lieben. Verwandle meine Zweifel in Sicherheit. Meine Verzweiflung in Hoffnung. Meine Entmutigung in Zuversicht. Meine Selbstsucht in Liebe. Amen.“