Frohes neues Jahr! Dürfen wir aber überhaupt einander ein frohes neues Jahr wünschen? Angesichts des Krieges in der Ukraine (und den 110 bewaffneten Konflikten, die es derzeit laut der Geneva Academy gibt)? Des Hungers, der Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Einsamkeit, Krankheit, ungerechter sozialer Systeme, Menschen, denen das Minimum fehlt, um ein würdiges Leben zu führen? Der Sorge um die Umwelt? … Einige hier in der Gemeinde haben dieses Jahr einen geliebten Menschen verloren oder haben persönliches Leid erfahren oder erfahren es gerade …

 

Was wird also das neue Jahr bringen? Und: Wird es ein „gutes“ Jahr sein? Wir wissen ja nicht, was auf uns, auf diese Welt zukommen wird.


WAS SAGT uns das Wort GOTTES zum THEMA?

 

Auf der Suche nach Antworten habe ich einen Text von Hans Urs von Balthasar entdeckt, „Freude inmitten von Angst“, der mir geholfen hat. Ich versuche seine Gedanken, hier im Licht der biblischen Lesungen, die uns die Kirche am 1. Jänner vorschlägt, wiederzugeben:

Ja, es stimmt, es gibt heute vieles, das wir nicht mit dem Wort „Freude“ assoziieren würden. Und doch, um eine Idee von Hans Urs von Balthasar aufzugreifen (wenn ihn jemand kennt, wird er einige Echos seiner Gedanken in dieser Predigt wiederfinden – und das stimmt) … und doch: Ohne zynisch zu werden und ohne Verbitterung traut sich eine Religion in diese, doch so oft dunkel werdende Welt hineinzurufen: „Selig die Armen, selig die Hungernden, die Weinenden, die Verhassten, die Verfolgten!“ Mehr noch. Diese Religion beansprucht für sich selbst „frohe Botschaft“ zu sein. Und nicht, als wäre es „diese“ oder „jene“ Freude, sondern DIE FREUDE selbst. Aber nicht, weil sie das Leid und das Dunkel nicht kennen würde. Denn diese Freude wird für eine Welt verkündet, die den Stifter dieser Religion an ein Kreuz gehängt hat. Die Freude, um die es geht, ist keine oberflächliche, sondern eine Freude inmitten einer Welt, die sogar als höchst grausam erfahren werden kann.

 

Wie kann man dann aber noch von Freude reden? „Die christliche Religion hat eigentlich nur zwei ernst zu nehmende Konkurrenten auf diesem Gebiet.“ Das ist zum einen der Buddhismus und zum anderen, um mit von Balthasar zu sprechen, „die mutige Entschlossenheit, die das Unerträgliche dieser Welt ändern will, koste es, was es wolle.“ Vertreter dieser Variante waren lange der Kommunismus und seine moderneren Variationen. Beide verneinen aber das Ja zum Hier und Jetzt, zu der anscheinend belanglos erscheinenden Gegenwart.

 

  • Gelassenheit allem gegenüber … Flucht aus der Gegenwart, dem Hier und Jetzt, in die innere Welt, um dort das Göttliche zu verspüren … man lässt nichts von außen an sich heran und flüchtet sich ein „religiöses“ Oben und Jenseits.
  • Kampf um eine bessere Welt, koste was es wolle. Die Welt ist nicht auszuhalten, ich werde alles daransetzen, um sie morgen erträglicher zu machen …
  • Von Balthasar würde sagen: „Dieses Heute, diesen Neujahrstag als solchen zu bejahen. Diesen Tag als Auftakt zu einem guten neuen Jahr zu verstehen, die gewünschte Freude beim „frohes neues Jahr“ ganz wörtlich zu nehmen: Das schafft nur das Christentum.“ Aber wie?

 

  1. Gott. Sowohl, wenn er mich erschafft, als auch, wenn er mich erlöst, schenkt er sich selbst. Gottes Seligkeit, seine ewige Freude ist es, sich zu verschenken … in der Dreifaltigkeit, aber auch an uns. „Der Herr segne dich, der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten“ – du bist gesegnet … er schaut auf dich … aber dieses, sein Wort ist Fleisch geworden … der Geist des Sohnes ruft ABBA. Der Heilige Geist – die Gabe in Person, die Eucharistie, durch die Gott sich selbst, nicht etwas schenkt.

 

Ich werde mir aber auch selbst geschenkt, alles was ich bin und habe … selbst die Fähigkeit, meine Freiheit auszuüben … eine Gabe, über die ich verfügen darf … (um mit Edith Stein zu sprechen) in jedem Augenblick stehe ich auf Messers Schneide zwischen dem Nichts und der ganzen Fülle des göttlichen Lebens … Er schenkt sich uns, aber auch Teilhabe an seinem Sich-Verschenken … dass ich schenken kann, geben kann, segnen kann …

„Schenken ist nur wirklich, wenn es freigibt, in die Freiheit entlässt“, nicht an sich kettet, der Vater lässt den verlorenen Sohn ziehen. Der Beschenkte wird nicht durch endloses Dankeschön-sagen-Müssen an die Tyrannei des Schenkenden gekettet.“ Ich bin Geschenk für die Welt. Mein Dasein, mein Teilhaben-Dürfen an seinem Leben, mein Teilhaben-Dürfen an seinem der Welt Beschenken-Wollen. Alle meine Fähigkeiten, etwas „aufzubauen, zu erfinden, zu geben, zu zeugen, zu bilden, zu beglücken, verdanken wir derselben Urfreude Gottes, der uns freigibt zu geben.“

 

  1. Die Frage, ob das geht … darf ich das überhaupt? Angesichts des Leids? „Das Christentum ist die einzige Weltanschauung, die dem Leid einen positiven Sinn zuzuschreiben vermag … Alles andere sind entweder Techniken, die versuchen, dem Leid zu entfliehen, oder Techniken, wie man das Leid in der Zukunft reduzieren kann.“ Christen sind aber keine Masochisten. Wir schätzen all jene, die sich für das Mildern von Leid einsetzen. Jesus hat es uns vorgemacht. Die Blinden, die Lahmen, die Leprakranken, die Sterbenden, die von seelischen Leiden Geplagten. Und er schätzt nicht nur jene, die so handeln, sondern versucht nach Kräften, selbst so zu handeln. „Aber der Christ macht nicht halt, wo der Mensch nichts mehr vermag.“

 

Das nicht zu ändernde, das hoffnungslose Leiden, selbst der Tod haben einen positiven Sinn. Auch das Leiden. „Gerade das Leiden kann der Mensch verschenken als kostbare Gabe, es hilft, es läutert, es sühnt, es verleiht göttliche Gnaden“, es kann Ausdruck von Liebe werden. „Jesus ist nicht in die Welt gekommen, um das Leid wegzunehmen, sehr wohl aber dessen Sinnlosigkeit aufzulösen.“ Das Leid eines sterbenskranken Menschen … nicht sinnlos. Das Leid einer Mutter, deren Sohn auf Irrwege geraten ist, kann, wenn sie dieses Leid dem Herrn schenkt, für Gott ein Kapital sein, das an einem unerwarteten Ort Frucht tragen kann. Leiden, wenn man es schafft, es dankbar anzunehmen und zu verschenken, nimmt an der geheimnisvollen Fruchtbarkeit teil, die alles ausmacht, was von Gottes Freude hervorkommt und manchmal auf Umwegen zu ihm zurückkehrt. Es ist ein großes MYSTERIUM: Teilhabe an seinem stellvertretenden Leid am Kreuz. „Er nahm unsere Schuld und damit den eigentlichen Grund unserer Trauer und Hoffnungslosigkeit auf sich und verschaffte wieder den Weg zur unbedingten Freude.“

 

  1. Konsequenz. Die Freude entfaltet dann ihre volle Tiefe, wenn Leid dankbar angenommen und in Liebe verschenkt wird. „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft. Abba, Vater! Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott.“ – Darf mitmachen, darf hineingenommen werden in sein Leben und seine Hingabe für die Welt.

 

  1. Konsequenz. „Den Willen, alles aus der Hand Gottes entgegenzunehmen, als Geschenk anzunehmen, verändert unser Leben von Grund auf und schenkt uns Freude.“ „Die Nationen sollen sich freuen und jubeln, denn du richtest die Völker nach Recht und leitest die Nationen auf Erden.“ Urvertrauen, dass dieses Projekt Welt gut ist. Und dass wir ohne zynisch zu sein wirklich sagen können: Die Sünde und die Dysfunktion und das Leid haben Gott die Zügel der Welt nicht aus der Hand gerissen. „O glückliche Schuld, die uns so einen Erlöser gegeben hat!“

 

  1. Konsequenz. Die Wichtigkeit und Gelegenheit von „HOLY MOMENTS“. Das Sakrament der Gegenwart entdecken. Das „Messers Schneide …“ des Hier und Jetzt. Das anscheinend so Kleine und Unbedeutende. Das Hier und Jetzt neu entdecken. Nicht nächsten Monat … sondern das Kostbare des Jetzt. Mit meinem Kind, nicht schon wieder an die Arbeit denken, sondern gegenwärtig sein für dieses Kind. Mit meinen Mitmenschen. Mit den Leidenden oder Kranken … voll und ganz das Hier und Jetzt zu leben … und dankbar anzunehmen … Wenn dir etwas gegen den Strich geht, das du nicht ändern kannst. Danke, Gott! Mach was draus. „Liebe du, Herr, jetzt in mir!“

Frohes neues Jahr! Jahr des Herrn 2023. Es ist sein Jahr. Es kommt aus seiner Hand. Er schenkt es uns und schenkt sich uns in diesem Jahr. Und will seine Freude auch durch uns in dieser Welt erschallen lassen! Lasst uns Zeugen dieser Freude sein, die die Welt nicht kennt und auch nicht geben kann. Eine Freude, die uns zutiefst verwandelt, weil sie von ihm kommt, weil sie aus seinem Segen entspringt, weil sie uns in Segen verwandelt. Eine Freude, die uns zuteilwird, weil wir uns selbst von ihm geschenkt werden, weil er sich selbst uns schenkt … gerade jetzt auch in der Eucharistie … Eine Freude, die auch inmitten von Leid nicht ihre verwandelnde Kraft verliert und im Dunkel der Welt leuchtet …

 

Gottes Segen!

  1. George LC

PS: hier die Audiodatei:

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