Entscheidung bedarf Unterscheidung. Je bedeutsamer die Entscheidung, desto tiefgehender sollte der Prozess der Unterscheidung sein. Dass sich viele Menschen mit Entscheidungen schwertun, ist kein Geheimnis – alle möglichen Theorien versuchen zu erklären, woran das liegt. Gleichzeitig hat das Thema „Unterscheidung“ in christlichen Kreisen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Grundsätzlich ist das eine erfreuliche Entwicklung: Die Unterscheidung war eines der zentralen Themen bei Papst Franziskus. Die “Unterscheidung der Geister” ein spirituelles Erbe der Jesuiten. Und doch. Unterscheidung kann zur spirituellen Selbstsabotage werden.
Vor einigen Tagen stieß ich auf einen Artikel von Chad Arnold, der diese Problematik eindrücklich auf den Punkt bringt. Ich fand: Es lohnt sich, diesen Text auf Deutsch zugänglich zu machen.
Mein Dank gilt „ZENIT“ für die freundliche Genehmigung zur Übersetzung. P. George Elsbett LC
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Überall zeigt sich moderne Unterscheidung – am deutlichsten bei der heutigen Überlegung einer Berufung zum Priester- oder Ordensleben. Eine ganze Subkultur der „Unterscheidenden“ hat sich gebildet. Sie lesen dieselben Bücher, hören dieselben Bands und verwenden denselben geistlichen Sprachstil.
Ursprung und Begriff
Das Wort „Unterscheidung“ hat in den letzten Jahrzehnten stark an Popularität gewonnen. Ein Teil dieses Trends ist auf die Wiederbelebung der traditionellen ignatianischen Spiritualität zurückzuführen. Die presbyterale Kultur wurde deutlich ignatianisch geprägt – durch den Einfluss von Seminarien und Organisationen wie dem Institute of Priestly Formation. Gleichzeitig erlebt die breitere katholische Welt in den USA eine Rückbesinnung auf den Gründer der Jesuiten, besonders durch die Werke von P. Timothy Gallagher und anderen ähnlichen Autoren.
Unter katholischen Jugendlichen führt das häufige Nachdenken über diesen Begriff zu einem verstärkten Gebrauch – oder besser gesagt: zu vielen Versuchen, „zu unterscheiden“. In vielen Fällen hat sich daraus jedoch eine Art spirituelle Überanalysierung einfacher Entscheidungen entwickelt: Unterscheidung ist zur Heiligsprechung von Grübeln geworden. Wie schon der heilige Franz von Sales sagte: „Wir wägen keine Kleingeldstücke ab.“ Ein Abend mit Freunden ist keine Frage der Unterscheidung – ebenso wenig ein Sommerjob. Solche Entscheidungen verlangen kluge Überlegung und vielleicht ein Gebet – aber kein langwieriges spirituelles Prüfen.
Berufung und spirituelle Starre
Am deutlichsten erkennbar wird diese überstrapazierte Unterscheidung bei der Frage nach einer Berufung zum Priester- oder Ordensstand. Hier entstand eine ganze Subkultur jener „Unterscheidenden“: sie lesen dieselben Bücher, hören dieselben Bands, pflegen dieselbe spirituelle Ausdrucksweise.
Zweifellos erfordert etwas so Bedeutsames wie eine Berufung authentische Unterscheidung. Viele moderne Menschen nutzen sie jedoch, bewusst oder unbewusst, weniger, um eine Entscheidung zu treffen, als vielmehr, um sie zu verschieben. Sie wird zur spirituellen Zögerlichkeit, die sich über Jahre erstrecken kann. Diese jungen Menschen können kein klares „Ja“ geben – und somit auch kein entschiedenes „Nein“ zu anderen Möglichkeiten; darum bleiben sie in einem fortwährenden Zustand des „Unterscheidens“. Ein solches Verhalten war in der frühen Kirche kaum bekannt.
Das Bedürfnis nach Zeichen
In den frühen Phasen heutiger Berufungsüberlegungen hoffen viele auf einen doppelten Bekehrungsmoment – ein Damaskuserlebnis. Natürlich erwarten sie nicht, vom Pferd geworfen zu werden, geblendet und mit der Stimme Jesu im Ohr – aber sie halten dennoch nach Zeichen Ausschau. Immer feinere Zeichen, die dennoch dieselbe Klarheit liefern sollen wie ein himmlischer Blitzschlag. Die Farbe einer bestimmten Rose wird zu einem häufig erhofften Hinweis. Diese Suchbewegung strebt nach äußerer Bestätigung – statt nach dem inneren Urteil des Gewissens. Doch genau das ist nicht Unterscheidung.
Von Zeichen zu innerer Sicherheit
Mit der Zeit und aufrichtiger Gebetshingabe überwinden die meisten diese Phase, auch wenn Spuren davon oft zurückbleiben. Diese Spuren sind nicht völlig fehl am Platz. Die inneren Echos sollten sich jedoch von einem Bedürfnis nach einem Zeichen hin zu einer Offenheit für ein Zeichen wandeln. Denn Gott kann tatsächlich durch Zeichen wirken.
Das Ziel sollte – wie es der heilige Ignatius beschreibt – darin bestehen, „nur zu wollen und nicht zu wollen, wie Gott, unser Herr, es eingibt, und wie es besser zum Dienst und Lob der göttlichen Majestät zu sein scheint.“ (Exerzitien 15)
Die nächste Stufe im Berufungsprozess ist durch eine tiefere Frage geprägt: „Bittet mich Gott, dies zu tun?“
Diese Frage ist an sich gut. Doch die Art und Weise, wie sie von jenen gestellt wird, die eine Berufung zum Priester- oder Ordensleben in Erwägung ziehen, führt häufig zu einer subtilen, aber dennoch fehlerhaften Form von Unterscheidung. Man sucht nicht mehr nach äußeren Zeichen, sondern nach inneren. Dennoch bleibt der Wunsch nach einem Beweis bestehen.
Das Zeichen, nach dem sie suchen, ist in ihrem eigenen Herzen:
„Jedes Tal soll aufgefüllt, jeder Berg und Hügel erniedrigt werden. Die krummen Wege sollen gerade, die rauen eben werden.“ (Jes 40,4)
Die Bestätigung, die sie suchen, um den nächsten Schritt Richtung Priester- oder Ordensleben zu wagen, besteht darin, dass all ihre Wünsche nach einem anderen Lebensweg verschwinden. Sie erwarten, dass das Gebet eine fortwährende Tröstung ist. Eine leise Lüge flüstert ihnen ein, jede Anbetungsstunde müsse sich wie eine erfrischende Quelle anfühlen. Sie glauben, dass ihr Herz vollständig von jeglicher inneren Zerrissenheit geheilt werden müsse – jeder Regung, die nicht zu Gott führt.
Leider ist ein solcher Zustand dem Menschen seit dem Sündenfall unbekannt (mit Ausnahme der seligen Jungfrau Maria). Somit suchen sie nach einem Beweis, der diesseits des Himmels nicht zu finden ist.
Zwei verzerrte Formen moderner Unterscheidung
Diese donquichotische Suche – diese moderne Unterscheidung – äußert sich hauptsächlich auf zwei Arten:
- In der Suche nach „Frieden“
- In der Frage: „Kann ich in dieser Berufung glücklich werden?“
1. Der trügerische Friede:
Oft sind es gerade jene, die bereits ein Ausbildungsprogramm begonnen haben, die all ihre bisherigen Erfahrungen von Frieden über Bord werfen. Momente des inneren Friedens, die sie seit ihrer ersten bewussten Hinwendung zu Gott erlebt haben, werden vergessen. Tröstungen aus der Vergangenheit gelten im Lichte gegenwärtiger Trockenheit oder innerer Leere plötzlich als Zufälle. Ihr Blick wird kurzsichtig: Nur noch die bevorstehenden Härten sind sichtbar, ebenso wie die Freuden, die sie dafür aufgeben müssen. Sie werden mit ihrer eigenen Sündhaftigkeit konfrontiert, mit dem echten Kampf um Besserung – und mit der bitteren Erkenntnis, wie wenig sie die Liebe des Vaters wirklich verstehen.
Doch all dies sind notwendige Etappen auf dem Weg zur Heiligkeit, besonders in den frühen Phasen, die klassisch als Reinigung (Purgativa) bezeichnet werden. Es ist möglich – vielleicht sogar wahrscheinlich –, dass der gesamte Zeitraum der Ausbildung vor dem Dienst in diese Phase fällt, in der das dominierende Gefühl selten ein anhaltender Friede ist.
Dieses Unbehagen – das natürlich und notwendig ist – wird fälschlicherweise als Zeichen gewertet, dass man nicht zur Berufung gerufen sei. Zu oft sagt ein Mensch, der das Priesterseminar oder das Noviziat verlässt, dass er „wusste, es sei die richtige Entscheidung“, weil er danach „Frieden empfand“. Doch häufig ist das nicht der Friede Gottes, sondern ein Friede, der allein daraus resultiert, dass der innere Kampf beendet wurde. Es ist der Friede, der sich aus einer Entscheidung ergibt. Der Friede, der entsteht, wenn man keinen Widerstand mehr verspürt. Aber es ist nicht der Friede, der aus Glaube und Hoffnung auf den Ostervictoria kommt – ein Friede, der durch das Kreuz hindurch erworben wird.
2. Die Suche nach Glück:
Die zweite Form dieser modernen Unterscheidung – „Kann ich in dieser Berufung glücklich werden?“ – ist ebenso fehlgeleitet. Sie spiegelt den unterschwelligen, aber verbreiteten Irrglauben wider (dem wir alle erliegen können), dass Gott existiere, um mich glücklich zu machen.
Doch in Wahrheit existieren wir, um ihn zu erkennen, zu lieben und zu dienen.
In dieser erhabenen Aufgabe werden wir die Fülle des Glücks finden – aber sie ist in diesem Leben nicht garantiert. Die Muttergottes sagte es bereits der hl. Bernadette:
„Ich verspreche dir nicht Glück in dieser Welt, sondern im Himmel.“
Der Autor glaubt zwar, dass wir durch das Leben unserer Berufung die beste Chance auf Glück in diesem Leben haben – doch Glück ist eine flüchtige Sache. Wie das Vergnügen ist es oft so: Wer es direkt sucht, wird es am wenigsten nachhaltig finden.
Und wenn ein priesterliches oder religiöses Leben auf dem Fundament errichtet wurde, in diesem Leben glücklich zu werden, dann gleicht dieses Fundament dem Haus, das in der Schrift auf Sand gebaut ist. Eine solche Berufung wird kaum den Regen und den Sturm des Lebens überstehen – schon gar nicht ein Leben in Nachfolge eines Meisters, der am Kreuz starb.
Diese Frage „Wird mich diese Berufung glücklich machen?“ versetzt den Unterscheidenden in einen anhaltenden Zustand innerer Unruhe. Wer kann mit zwanzig Jahren schon sicher voraussagen, was ihn im Leben glücklich machen wird?
Gleichzeitig erleben diese ernsthaft suchenden jungen Menschen sehr bewusst das Glück, das ihre Altersgenossen scheinbar genießen – sie beginnen Beziehungen, heiraten, bekommen Kinder, während der Unterscheidende durch die äußeren Burgen der Reinigungsstufe wandert, in Trockenheit verharrt und das Aufblühen im Leben seiner Freunde mitverfolgt – oft bequem und täuschend schön inszeniert in den sozialen Medien.
Dann sitzt er still da und fragt sich: „Wird mich das glücklich machen?“
Frieden zu suchen oder ein Leben, das ein gewisses Maß an Glück von einem liebenden Vater bereithält, sind keine schlechten oder sündhaften Wünsche. Doch sie waren nicht das Zentrum des Suchens der frühen Christen oder der großen Heiligen – und sie waren nicht das Ziel der Unterscheidung.
Die Unterscheidung der Heiligen war deutlich pragmatischer:
Diese heiligen Seelen suchten nach einer Lebensform, die es ihnen ermöglichte, sich ganz und gar dem Herrn zu weihen. Sie strebten nach einem Leben ohne Kompromisse. Sie sehnten sich nach einem Weg, der ihnen Raum und Zeit ließ, unablässig zu beten und das Evangelium zu verkünden – gelegen oder ungelegen.
Die Heiligen suchten den schmalen Pfad.
Dieses Modell der Unterscheidung sollte dem modernen Menschen nicht fremd sein. In diesem Licht wäre vielleicht eine bessere Einstiegsfrage:
„Hat der Herr in mir den Wunsch geweckt, ihm ohne Vorbehalt zu dienen?“
Natürlich wird jemand anfangs kaum wissen, was das konkret bedeutet – ähnlich wie ein Kind, das ewige Liebe verspricht. Doch wenn dieser Wunsch existiert, selbst in keimhafter Form: Ist er stark genug, um den nächsten Schritt auf einem formellen Weg der Unterscheidung zu gehen?
Indem dieser Schritt getan wird, wird der ernsthaft Unterscheidende beginnen zu verstehen, welche Opfer eine solche Hingabe mit sich bringt. Er wird einen ersten Eindruck der Freude dieser Lebensform erhalten – aber auch den Schmerz der Reinigung spüren.
Immer wieder wird er sich fragen müssen:
„Bin ich bereit, diesen Weg weiterzugehen – in meinem konkreten Bemühen, dem Herrn zu dienen?“
Oder wie es der heilige Bernhard sich oft selbst fragte, während er durch die Abtei Clairvaux ging:
„Warum bist du hierhergekommen, Bernhard?“
In dieser Phase werden selbstverständlich auch andere Fragen auftauchen müssen, etwa:
Woher kommt dieser erste Wunsch?
Stammt er wirklich vom Herrn?
Oder ist er aus weniger lauteren Quellen geboren: dem Wunsch, die Eltern stolz zu machen, einer Flucht vor einer schwierigen Situation, der Suche nach Anerkennung, fehlendem Selbstvertrauen im Umgang mit Beziehungen oder beruflicher Orientierung?
Wenn auf eine dieser Fragen ein „Ja“ folgt, muss der Antrieb entweder geläutert – oder ein neuer Weg eingeschlagen werden.
Gleichzeitig wird in dieser Zeit auch geprüft, ob der Kandidat über die Fähigkeiten, die Reife und die Ausdauer verfügt, um das Leben zu führen, das er beginnen will. Dieser Teil der Unterscheidung liegt in erster Linie bei der Kirche und bei jenen, die für die Ausbildung der Unterscheidenden verantwortlich sind.
Das sind die harten Fragen echter Unterscheidung.
Unterscheidung ist nicht der Versuch, in eine spirituelle Kristallkugel zu schauen, um den absolut perfekten Weg zum Glück zu erkennen. Und sie ist nicht das Festhalten an einer vagen Idee von Frieden.
Am Ende kann die Unterscheidung zur Priesterschaft oder zum Ordensleben weit einfacher sein, als sie heute oft praktiziert wird. In diesem einfacheren Weg bleibt mehr Raum für die persönliche Entscheidung:
Die bewusste Antwort auf den Ruf des Herrn – im Glauben, im Gebet – in der Suche nach einer Form der Vertrautheit mit Ihm, die in dieser Tiefe vielleicht nicht so leicht in der Eheberufung gelebt werden kann.
So wird dem freien Willen – einem Ausdruck der Gottesebenbildlichkeit – wieder sein rechtmäßiger Platz eingeräumt. Wahre berufliche Unterscheidung ist immer mehr eine Frage der Entscheidung als der Berechnung.
Und was, wenn man die falsche Entscheidung trifft? Muss man davor Angst haben?
Es sollte keinen Zweifel geben, dass Gott einen Menschen segnet, der aus aufrichtigem Glauben und Hingabe in eine Ehe eintritt. Und was ist mit jemandem, der sich für das Priestertum oder Ordensleben entscheidet, ohne dass Gott ihn tatsächlich dazu berufen hat?
Solange diese Entscheidung nicht aus offensichtlich falschen Motiven getroffen wurde, kann man ebenso sicher sein: Gott wird auch diesen Weg segnen, wenn er im Glauben und mit aufrichtigem Herzen gelebt wird.
Oder – um es mit den Worten von Sir Thomas More zu sagen, den letzten Worten im Film A Man for All Seasons:
„Er wird den nicht abweisen, der so freudig zu ihm kommt.“
(1) Hl. Franz von Sales, Treatise on the Love of God (Brewster: Paraclete Press, 2011), S. 88.
(2) Hl. Ignatius von Loyola, The Spiritual Exercises (New York: Vintage Spiritual Classics, 2000), S. 51.
Pater Chad Arnold war als Schulseelsorger, Pfarrer und Direktor der Berufungspastoral tätig. Er befindet sich im neunten Jahr seiner Arbeit im Büro für die Berufungspastoral in der Diözese Wichita (USA) und ist derzeit der dortige Rektor des Priesterseminars.