Die Wahrheit sagen?

 

Ich stehe vor der Tür. Gut, nicht direkt davor, sondern ein paar Schritte daneben. Christoph schaut etwas nachdenklich über die Bergspitze, die etwa 600 m entfernt aufragt. Vor mir breitet sich eine herrliche Berglandschaft aus, hinter mir steht die Schutzhütte. Sie war schon in den 1930er-Jahren in den Hang gebaut worden. Inzwischen hat eine Touristengruppe die Hütte verlassen. Manche tragen nicht einmal richtige Wanderschuhe. Der Gruppenleiter gibt Anweisungen in einer Fremdsprache. Ein halbe Minute später startet die Gruppe im Gänsemarsch zum Gipfel. Das darf doch nicht wahr sein, denke ich. Innerhalb weniger Minuten sind dicke Wolken aufgezogen. Begreifen die denn nicht, was das heißt? Noch hört man kein Donnergrollen, aber es ist nur eine Frage von vielleicht 15 Minuten. Was tun? Soll ich dem Touristenführer, der offensichtlich keine Ahnung vom Wetter im Gebirge hat, hinterherlaufen? Alles daransetzen, dass seine Gruppe doch in der Schutzhütte bleibt? Aber das geht mich doch nichts an. Oder wenn dann das Gewitter doch nicht so arg werden sollte… ? Mmmhhh.
Warum fällt mir soeben diese Geschichte ein? Vielleicht, weil ich in den vergangenen Wochen Zeitungen gelesen habe und die Heuchelei fast nicht mehr aushalte? Wie brutal egoistisch! Oder vielleicht sollte man es doch einfach sagen wie es ist: pervers.

Ein Versuch der Erklärung: Welcher halbwegs denkende Mensch würde den oben erwähnten Touristenführer eben NICHT hinterherlaufen? Gleichgültigkeit steht der Liebe als deren Gegensatz gegenüber, mehr als der Hass. Der Hass interessiert sich wenigstens noch für den anderen oder für das, was er tut, dem Gleichgültigen ist es völlig egal. Ich bin der Erste, der sagt: „Ja!“ Wir müssen die Menschen vor allem durch unser Zeugnis und unsere Liebe zum Herrn führen. Ja, ich kenne auch Franz von Sales und sein „Ein Tropfen Honig lockt mehr Fliegen als ein ganzes Fass voll Essig.“ Da bin ich voll dabei. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich einfach zuzuschauen habe, wenn jemand genau dort hingeht, wo ihn der Blitz treffen MUSS. Pervers ist es, weil wir heute so weit sind, dass wir Menschen, die eben nichts sagen und nichts tun, als ganz besonders „tolerant“ und „respektvoll“ darstellen. Wenn es aber doch offensichtlich ist, dass man nicht intoleranter und einen größeren mangelnden Respekt haben könnte als das. Und außerdem, für uns Christen geht es hoffentlich nicht nur um Toleranz, nicht nur darum, jemanden auszuhalten, sondern darum, ihn zu lieben. Und zwar bis zum Geht-nicht-Mehr