Tod.

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,2). Nicht gerade ein Psalm der Osterzeit. Könnte man meinen. Die letzte Woche war heftig. Valentin ist tödlich verunglückt. 21 Jahre alt. Bescheiden. Hilfsbereit. Ein feiner junger Mann und authentischer Christ, der begonnen hat – wie auch die Zeugnisse dieser Tage aufzeigen – Spuren in dieser Welt zu hinterlassen. Dienstag hielten wir die ganze Nacht für ihn und seine Eltern in der Anbetung Wache. Heute wurde er beerdigt. Danke, Herr, dass ich ihn kennenlernen durfte.
Weniges hat mich in letzter Zeit so bewegt wie die Nachricht von seinem Tod. Und deswegen könnte auch ein Bericht über irgendetwas anderes in dieser Einleitung fast als respektlos bzw. gefühllos interpretiert werden. Doch ich möchte versuchen zu erklären, warum ich mich soeben fühle, als wäre ich in den letzten Tagen eine Art Achterbahn gefahren. Nur drei Tage vor Valentins Tod hatte ich eine Messe mit einer Gruppe von sechs Dreizehn- und Vierzehnjährigen gefeiert, deren Freund vor ihren Augen eine Woche zuvor ums Leben gekommen war. Nur schrecklich. Fassungslos. Der Schock saß immer noch tief. Was soll man da bitte in der Predigt sagen? Wie der Mama erklären, dass man nichts mehr machen hätte können, um ihren Sohn zu retten?

Dem Tod steht gegenüber das Licht.

Aber es gibt noch mehr. Ein 12-Meter-Kopfüber-Absturz wurde durch einen mit einer Decke gepolsterten Rucksack abgefedert … und endete eben nicht am nackten Felsen daneben. In Kürze darf der Betroffene sogar das Krankenhaus wieder verlassen. Am Nachmittag des Unglücks von Valentin durfte ich die Trauung von Stefan und Mareike feiern. Beide haben sich hier im Zentrum Johannes Paul II. kennengelernt und es war einfach so ein Geschenk, bei der Hochzeit dabei sein zu dürfen. Besonders stark für mich war der Abend. Stefan wollte einen Dank an Gott aussprechen – und hat dort in aller Öffentlichkeit ein 20-minütiges Glaubenszeugnis darüber gegeben, warum dieser Dank für ihn nicht einfach eine Floskel ist. Mutig. Gerade in der Situation. Und ich dachte mir: In der Hochzeitsgesellschaft sitzt auch ein anderes Ehepaar, das sich im Zentrum Johannes Paul II. kennengelernt hat – und zwar in der Anbetung. Mareike und Stefan hingegen beim Musizieren während der BeFree Messe ….
Mmm, ob der hl. Johannes Paul II. bei diesem „Matchmaking“ nicht vielleicht auch im Spiel war und ist? Wie genial wäre es, wenn wir eine Reliquie des Heiligen Papstes für das Zentrum bekommen könnten! Und wie groß war dann meine Überraschung, als Daniel Weber, einer unserer beiden Coworker, am Sonntag von einem Fußballturnier mit dem ECyD (ein pastorales Angebot des Regnum Christi für junge Leute) aus Krakau mit einer Reliquie vom hl. Johannes Paul II. für unser Zentrum zurückkam! Sie hatten dort Kardinal Dziwisz (ehemaliger persönlicher Sekretär des Johannes Paul II.) getroffen, der ihnen dann diese Reliquie für unsere Kapelle geschenkt hat. Wie krass ist das? Am Tag davor war es nur ein Traum in meinem Kopf, am nächsten Tag ist die Reliquie schon da?

Dankbarkeit & Demut – Tod & Vergänglichkeit

Ach ja, Sonntag und apropos Reliquien… Am Sonntag durfte ich an der Firmung und Konversion eines jungen Mannes teilnehmen, den ich schon seit einem halben Jahr begleiten darf. Was für eine große Freude! Aber das war dann erst um 10 Uhr in der Früh. Davor hatte ich auf dem Rückweg aus Kärnten von der Hochzeit am Samstag um 6.15 Uhr für ein schnelles Frühstück bei einem Priesterfreund angehalten. Dieser Priester hatte bei einem Unfall vor kurzem zwei Finger fast komplett verloren und erklärte mir dann strahlend, wie ihm das bei der Predigt helfe, wenn er Menschen erinnern möchte, dass „die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7,31), dass es letztlich doch um mehr geht als um das Hier und Jetzt. Das war übrigens auch einer der Gründe, warum sich Valentin so stark für die Errichtung von Gipfelkreuzen in den Vorarlberger Bergen engagierte. Er sagte dazu in einem Zeitungsinterview im März:
„Wenn man unterwegs ist, bedeuten Kreuze am Gipfel für mich immer auch eine Erinnerung an die Vergänglichkeit des Menschen und seine Kleinheit im Erdenrund. Damit gehen Dankbarkeit und Demut Hand in Hand, insbesondere für die großartige Schöpfung, die uns geschenkt wurde.“
Am 11. September wird die Frucht seiner letzten Anstrengung in dieser Hinsicht am Kreuzjoch in Vorarlberg aufgestellt werden und mit einer Gipfelmesse gefeiert: Ein 4,1 Meter hohes Kreuz, das an den von den Nazis umgebrachten Priester Carl Lampert erinnert – und dessen Kreuz aus Draht, das er auf einer Streichholzkiste im Gefängnis in Halle aufgestellt hatte, zur Vorlage hat. Von ihm blieben nur noch dieses Streichholzkistenkreuz, ein Kleidungsstück, seine Brille und die Urne. Apropos Reliquien: Für die Diözese Feldkirch, deren Patron P. Lampert ist, stellt das Kreuz eine wichtige Reliquie dar.

Durch die Taufe wird der Tod die Tür zum Leben.

Aber ich war ja gerade noch bei der Firmung um 10 Uhr. Einem 24-jährigen „Baby“-Katholiken bei seinen ersten Schritten zu helfen ist schon ein Riesengeschenk. Nachher durfte ich noch mit seinen Eltern, freikirchlichen Pastoren und Missionaren, einige Stunden über Gott und die Welt reden. Sie haben mir erklärt, warum sie sich 20 Jahre ihres Lebens dafür eingesetzt haben, für eine 50.000 Menschen starke Sprachminderheit in Senegal ein Alphabet zu erfinden und deren  Sprache zu verschriftlichen, sodass sie dann die gesamte Bibel in diese Sprache übersetzen haben können.
Und ich durfte ihnen erklären, was Eucharistie und Beichte heißt, wie der Herr mich zurück in die katholische Kirche geführt hat und warum ich Priester bin. Aber zwischen der Firmung und dem Gespräch gab es dann noch eine Krankensalbung für einen Mann, der die dritte Chemotherapie überleben will. So machtlos ist man in solchen Augenblicken – und wie tröstend es ist zu wissen: Gott hat viel mehr Interesse an diesem Menschen als ich oder sogar die betroffene Person selbst. Ach ja, eine Lebensbeichte durfte ich diese Woche auch noch abnehmen, aber das war am Freitag. Und es war nicht die einzige Beichte dieser Woche. Leben spendet eben der Herr, ewiges Leben.

Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden. (Lk. 24,6)

„Mein Gott mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ So beginnt der schon oben genannte Psalm, aber so endet er nicht. Für Jesus am Kreuz war das kein Schrei der Verzweiflung, sondern ein Sich-Hineinstürzen in diese gebrochene Welt, um sie zu erlösen, um die Sinnlosigkeit des Leids aufzuheben und die Antwort auf eine eine Frage zu geben, denn ohne diese Frage ist keine Antwort wirklich eine Antwort: die Frage nach dem Tod. „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1 Kor 15,55) Ein junger Mann stirbt auf dem Weg zum Gipfel, während sein Lampert-Reliquienkreuz hergestellt, danach aufgerichtet und später von der ganzen Diözese feierlich eingeweiht werden wird. Ein Kreuz, das daran erinnert, dass Gott uns eben nicht verlassen hat, sondern auch in der tiefsten Nacht bei uns ist und sogar den Tod mit uns durchleidet, um uns zum Leben, Leben in Fülle zu führen. Sein Kreuz, das an unser Lebensziel erinnert, ist ein Mahnmal und eine Erinnerung an die Welt, was geschehen kann, wenn man eine Welt ohne Kreuz aufrichten will. Aber auf den Karfreitag folgt der Ostersonntag. Und Himmelfahrt. Und Pfingsten. „Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ (Röm 8,11)  Danke, Valentin, für dein Zeugnis! Mögest du Ruhen in seinem Frieden. Bis wir uns wiedersehen. Lass es Pfingsten werden!
Gottes Segen!
P. George Elsbett LC
Bild: Auf dem Schneeberg vor einem Jahr in Vorbereitung auf die Adventure&Faith Kanadareise aufgenommen.
von Links nach Rechts: Ramon Murmann, Eva Papic, Valentin Alge, Benedikt Müller