Heute findet im Deutschen Bundestag die Debatte zum Thema „Sterbehilfe“ statt. Sterbehilfe? In diesem Blog geht es doch nicht um Sterbehilfe, sondern um die Theologie des Leibes, könnte jetzt vielleicht ein Leser kontern – was hat das bitte mit Leiblichkeit und Sexualität und der Theologie des Leibes zu tun? Sehr viel. Aber der Reihe nach.

„Eine Bindung der Abhängigkeit ist die Voraussetzung für den Weg in die Unabhängigkeit“, so lautete ein Satz, den ich gestern von einer Ausbilderin der Gordon Neufeld Methode gehört habe. Sie bezog das auf den Reifungsprozess eines Kindes in den ersten sechs Lebensjahren. Aber ich dachte mir, eigentlich stimmt das auch für einen erwachsenen Menschen und zwar in seiner Beziehung mit Gott. Aber auch nur dort. Überall anders wird Abhängigkeit gefährlich. Papst Benedikt drückte das einmal so aus: „Das Niederfallen vor Gott ist Bekenntnis der Freiheit.“ Warum? Weil derjenige, der seine absolute Abhängigkeit von Gott anerkennt und danach lebt, sich vor nichts anderem niederwirft. Kein politisches System, keine Ideologie, keine Erwartungshaltungen anderer, kein Zwang von irgendwo her wird ihn innerlich in die Knie zwingen. Wo Gott Nummer eins ist, wird wahre Freiheit erst richtig möglich. Dort kann der Mensch erst wirklich er selbst werden, da er sich erst in dieser Beziehung wirklich in seiner wahren Größe erkennt, als ein bedingungslos Geliebter, Gewollter, Angenommener – bis über den Tod hinaus. Erst dann ist er wirklich frei, sich zu entfalten, weil er nicht krampfhaft versuchen MUSS, diese Bestätigung in Personen oder Dingen zu suchen, die ihm letztlich diese Bestätigung nicht geben können. Alle andere Bestätigungen, „du bist wertvoll, dein Leben macht Sinn, es ist gut, dass du existierst“, können schon alleine deshalb nicht völlig bedingungslos sein, weil sie nicht über den Tod hinausgehen, weil der Tod sie eben bedingt.

Aber wie sieht andere Abhängigkeit denn aus? Bei mir gehen alle Alarmglocken los, wenn ich das Wort nur höre. Freiheit hat bei zwischenmenschlicher Abhängigkeit oder der Abhängigkeit eines Mensch von einer Sache (Alkohol, Drogen, Porno – eigentlich egal, was für eine Abhängigkeit es ist) ja nicht mehr viel mitzureden. Alleine das Wort Abhängigkeit versinnbildlicht das ja schon: man beginnt, an einen langen Strick zu denken, von dem der ausgerutschte Bergsteiger abhängt…kein Seil, kein Bergsteiger mehr…für ihn ist das Seil lebensnotwendig im wahrsten Sinne des Wortes. Er ist nicht frei, das Seil aufzugeben, wenn er weiterhin Bergsteiger sein will. Und genau das trifft auch in der Bindung an Gott zu: ohne ihn verschwindet der Mensch einfach. Aber anderswo wird das sehr gefährlich, besonders in Beziehungen. Wo ich den anderen brauche, nicht ohne ihn kann, um die eigenen emotionalen Bedürfnisse zu stillen, gibt es echt ein Problem. Wahre Liebe setzt immer Freiheit voraus, und wo ein MUSS entsteht, kann Liebe nicht sein. Ein „du musst mich jetzt lieben“ ist eine Absurdität. Und deswegen ist Abhängigkeit Gift für eine Beziehung zwischen zwei reifen Menschen. Beziehung soll nicht zur Abhängigkeit, sondern zur Freiheit führen, gerade durch die Entscheidung, die freie Wahl des anderen. In einer gesunden Beziehung gibt es einen Schenker und einen Beschenkten, und dieses Schenken und Empfangen geschieht nicht nur wechselseitig, sondern setzt auf beiden Seiten Freiheit voraus. Ein Geschenk kann man nämlich jemandem nicht aufdrücken, sondern nur frei geben und es kann auch nur frei empfangen werden. Deswegen ist jeglicher Versuch, den anderen unter Druck zu setzten, etwa durch Worte, Gesten, Blicke usw., eine Grenzüberschreitung.

In der Theologie des Leibes wird dieses Thema mit dem Bild von der Einsamkeit Adams und Evas im Garten veranschaulicht. Es gab zwar tausende von Schwarzbären und Apfelbäume und überhaupt alle Arten von Tieren und doch fühlten Adam und Eva sich einsam. Wieso? Weil sie spürten, dass sie selbst eben nicht so waren wie all diese anderen Dinge. Sie merkten, sie waren eben nicht Dinge, die man nutzen kann, ohne sie vorher um Erlaubnis zu bitten,  sondern jeder von ihnen war ein „Jemand“, ein verschlossener „Garten“, in den man nicht ohne Erlaubnis einfach eindringen durfte. Adam durfte nicht einfach so in die Intimsphäre von Eva, um seine Bedürfnisse an ihr zu befriedigen und umgekehrt genauso wenig. Sie merkten, dass ihre Körper irgendwie anders waren als die Körper der Bäume oder der Tiere. Sie hatten nicht einen Körper, sondern sie waren ihr Körper. Sie konnten aber auch gerade deswegen nicht einfach über ihren Körper verfügen wie man über den eigenen Geldbeutel verfügt oder über sein Auto oder einen Bleistift. Ihr Körper sind sie selbst, und der wird ihnen in jedem Augenblick geschenkt von dem, der sie im Dasein hält. Und hier kommt die „Sterbehilfe“-Debatte ins Spiel.

Ja, man muss hier klar differenzieren, aber das Prinzip, das der ganzen Diskussion zugrunde liegen muss, ist folgendes: der Mensch hat kein Recht, über sein eigenes Leben zu verfügen, weil es ihm nicht gehört. Es ist nicht sein Eigentum, sondern wird ihm als Geschenk anvertraut. Er ist eben nicht auf dieselbe Weise in einer Beziehung zu Gott, wie er in einer Beziehung mit seinem Lebenspartner ist. Die Würde des Menschen ist unantastbar, gerade deswegen, weil er sich diese Würde nicht selbst gegeben hat. Die Würde kommt ihm von außen zu, und Gott sei Dank ist sie unabhängig von Leistung oder Tun oder auch von der Wertschätzung anderer. Sie gebührt ihm einfach deswegen, weil er Mensch ist. Deswegen kann niemand über einen anderen Menschen verfügen, ohne auf irgendeine Art und Weise ein Verbrechen gegen die Menschheit zu begehen. Aber aus demselben Grund kann der Mensch auch nicht ohne weiteres über diese ihm zugekommene Würde verfügen. Die Beurteilung, ob die Würde eines Menschen für ein Weiterleben ausreicht oder nicht, liegt nicht innerhalb seines Verfügungsrechts, diese Entscheidung kommt dem zu, der ihm dieses Leben schenkt. Seine Abhängigkeit ist absolut, aber gerade deswegen ist er auch frei. Wenn das eigene Abhängigkeitsverhältnis zu Gott Freiheit schafft, dann ist der absolute Widerstand gegen diese Abhängigkeit die ultimative Rebellion, der ultimative Freiheitsverlust. Der Mensch hat dann nur noch einen Wert, wenn er nützlich ist. Gute Nacht, Abendland.

 

Pater Lic. George Elsbett LC (geb. 1972 in London) ist Hausoberer der Niederlassung der Legionäre Christi in Wien und Regionalkoordinator des Regnum Christi in Österreich. Er ist in Kanada aufgewachsen, trat 1993 in das Noviziat ein und studierte Philosophie und Theologie in Rom. 2003 empfing er die Priesterweihe und wirkt seither in Österreich, wo er sich auf Theologie des Leibes, Ehe- und Berufungspastoral spezialisiert hat.

Mehr Info zu P. George Elsbett: http://about.me/gelsbett  Siehe auch http://www.godsexsoul.com/

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