Ich bin verliebt, habe Schmetterlinge im Bauch, bin auf einmal nervös bei den Treffen, unsicher, und doch gleichzeitig voller Freude, kann die nächste Begegnung nicht mehr erwarten. Den ganzen Tag kreisen meine Gedanken um die eine Person, die Sehnsucht wächst. Der erste Kuss ist magisch. Die Zeit scheint still zu stehen, zumindest für diesen einen Moment. Ich wünsche mir, dass dieses Glück für immer anhalten möge. Am liebsten würde ich es festhalten.
Ja, die Liebe ist mächtig. Sie ergreift uns, lässt uns nicht mehr los. Von einer solch starken Liebe erzählt das Hohelied, ein kleines Buch im Alten Testament. Aufgrund seiner Kürze wird es schnell einmal überblättert, doch mich hat es ergriffen und in seinen Bann gezogen. Auf hebräisch heißt es schir-haschirim und bedeutet das Lied der Lieder, ein Superlativ, der auch übersetzt werden kann mit „das schönste, beste, hervorragendste Lied“. Und das ist es auch. Es besingt eine Liebe zwischen Mann und Frau, in all ihrer Fülle, die heftig ist und schön, einer Liebe, die sinnlich und erotisch ist, dabei aber auch auf geistiger Ebene in all ihrer Tiefe erlebt wird, einer Liebe, die zum wahren Glück führt. Einer Liebe, nach der mein Herz verlangt, nach der ich mich sehne.
Immer wieder lese ich die einzelnen Verse dieses Buches. Seine Sprache ist hochpoetisch, sie spricht von einer Liebe, die mit allen Sinnen erlebt wird und gleichzeitig geheimnisvoll und malerisch ist. Anders als sonst in der Bibel ist die sexuell-erotische Liebe zwischen Mann und Frau im Hohelied alleiniges Thema. Als Quelle der Lust und Freude wird sie erlebt und gepriesen.
Gemeinsam haben sich die Geliebten einen Platz gesucht in der Idylle der Natur. Langsam erfassen sie sich Zentimeter für Zentimeter. Ihr Blick gleitet von oben nach unten. Von dem Anblick der Frau überwältigt sagt der Mann: „Schön bist du, meine Freundin, ja du bist schön (Hld 4,1)“. Immer wieder hält er inne, versucht ihre Schönheit in Worte zu fassen. Sein Blick wandert von ihren Augen, die hinter dem Schleier hervorblitzen, zu den Haaren, Zähnen, Lippen, dem Mund, der Schläfe und hinab über den Hals zu ihren Brüsten. Auch die Frau begutachtet ihren Geliebten voller Bewunderung. Irgendwann kommen sich beide näher, verkosten ihre Liebe mit allen Sinnen: „Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich. Süßer als Wein ist deine Liebe (Hld 1,1).“ Im Laufe des Liedes intensiviert sich ihre Intimität und mündet in der sexuellen Begegnung. Diese wird zwar nie direkt angesprochen, ist aber in Metaphern angedeutet bzw. ausgedrückt.
Ich löse meinen Blick von den Versen. Das Hohelied spricht von einer Liebe, die körperlich erlebt wird. Aber es ist eine Liebe, die beide erfüllt. Ich möchte wissen, was diese Liebe so lebendig und glücklich macht. In dieser Blogserie werde ich mich nun auf eine Reise begeben, um das Hohelied Schritt für Schritt tiefer zu begreifen. Wie leben die beiden Geliebten, von denen das Hohelied spricht, ihre Liebe, damit sie erfüllend ist? Was macht ihre Liebe glücklich? Ich möchte es wissen, von ihnen lernen, es umsetzen in meinem eigenen Leben.
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