Die Stufen: Gefühl, Emotion, Herz

Es ist vielen Menschen sehr bewusst, dass sie weit davon entfernt sind, Quelle der Liebe, Geschenk zu sein, dass sie immer wieder Gefahr laufen, nicht mehr den Schenkenden zu sehen oder wahrhaben zu wollen, sondern nur das, was das Geschenk an schönen Gefühlen, Emotionen, aber auch Stärkung, Kraft usw. hergibt. Gemeinschaft zu schaffen, ist jeden Tag eine neue Entscheidung und ein neues Bemühen.

Ein Teil dieses Bemühens besteht darin, die eigenen Gefühle und Emotionen in die Liebe zu integrieren, oder anders herum gesagt, es geht darum, die Stufen der Liebe hinaufzuschreiten. Johannes Paul II. zufolge kann man drei Stufen der Liebe unterscheiden: die Gefühlsebene, die Emotionsebene und die Herzensebene (oder die rationale Ebene). Man verliebt sich in einen Menschen, die damit verbundenen Gefühle können natürlich sehr stark sein, man kann kaum an etwas anderes denken (ich denke da an die Geschichte eines Jugendlichen, der eine Zeitlang deswegen lauter Fünfer schrieb, obwohl er normalerweise Einser und Zweier geschrieben hatte). Das Gefühl aber widerfährt einem, überwältigt sogar. Es ist nicht das Resultat einer bewussten Entscheidung, und so kann es auch keine Basis, kein Fundament für eine bleibende Beziehung, eine Gemeinschaft in dem Sinn, wie sie hier beschrieben wurde, bilden. Denn was passiert, wenn das Gefühl sich ändert? Wenn nur das Gefühl die Beziehung trägt, dann ist die Beziehung zu Ende, wenn sich eine Gefühlskrise einstellt. Die nächste Stufe der Liebe ist die Emotionsebene. Eine Emotion ist schon etwas objektiver, etwas Solideres. Warum? Weil sie die Reaktion auf einen Wert ist, den man im anderen entdeckt: wie er ausschaut, wie sie singt, seine oder ihre Charakterzüge, wie er mit mir umgeht usw. Das heißt, es gibt wirklich etwas, auf das emotional reagiert wird. Aber auch die Emotion widerfährt einem. Auch sie ist nicht einfach das Resultat einer Entscheidung. Auch eine Emotion der Liebe ist der Wechselhaftigkeit aller Emotionen unterworfen. Und deswegen kann auch sie kein bleibendes Fundament für eine Beziehung bilden. Es bedarf noch der dritten Stufe, der Herzensebene, oder der Ebene des Willens und der Erkenntnis: Man erkennt gemeinsame Werte, man sieht eine gemeinsame Richtung und man entscheidet sich dafür. Nur auf dieser Ebene werden freie Entscheidungen getroffen. Deswegen gibt Johannes Paul II. eine erstaunliche Behauptung von sich, nämlich, dass man eigentlich nur auf dieser Ebene von Liebe sprechen kann. Denn Liebe setzt Freiheit voraus und nur auf dieser Ebene ist Freiheit vorhanden. Das heißt nicht, dass die anderen beiden Ebenen unwichtig wären. Im Gegenteil. Ohne sie würde wahrscheinlich niemand zusammenkommen, geschweige denn einmal vor den Altar treten. Aber dieser ganze Reichtum von Gefühlen und Emotionen muss von der Willensebene, die Entscheidungsebene ist, in die Liebe integriert werden und von dieser Entscheidung und diesem freien Willen durchdrungen, getragen sein. Dann wird sogar ein negatives Gefühl ein Mittel, um die Liebe zu leben, zum Beispiel, indem man auch dann, wenn man keine Schmetterlinge im Bauch hat, fähig ist, etwas aus Liebe für einen anderen zu tun. Jeder kann in den Flitterwochen lieben, aber Gemeinschaft wird vor allem dort gebildet und zusammengeschweißt, wo sie gefordert wird und wenn beide diese Herausforderung als solche erkennen und annehmen.

Die höchste Gemeinschaft, die höchste Stufe

Ein letzter Gedanke für katholische Christen. Der Christ sieht im Begriff der Gemeinschaft einen weiteren, tiefer gehenden Gedanken. Gott schenkt sich den Menschen. Er liefert sich den Menschen gänzlich aus, er wird zum Weizenkorn. Hilflos, wehrlos liegt er in einer Krippe, um uns in der Kommunion zur Gemeinschaft mit ihm zu führen, „ein Geist mit ihm“ (1 Kor 6,17) zu werden, so dass gilt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20) An sein Wort „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19) wird jeden Tag in der Messe erinnert, wo er sein „Ja“ zum Menschen unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig setzt. Wehrlos versucht er das Herz der Menschen zu erobern. Dort, in der Eucharistie, liegt die wahre Kraftquelle der Liebe. Hier lernt man, was es bedeutet, Geschenk zu werden und zu sein und dadurch in Gemeinschaft zu treten, sich selbst durch die eigene Hingabe zu finden. Nicht ohne Grund nennen wir das „Kommunion“ – „communio“ – Gemeinschaft eben. Die tiefsten Spuren im Menschen haben die Hände Gottes hinterlassen. Man denke an Michelangelos Erschaffung des Menschen in der Sixtinischen Kapelle. Der Abdruck der Hand jenes Gottes, der nichts anderes als Liebe ist und nicht anderes als zu lieben weiß, nichts anderes kann, wird im Menschen vor allem dann verewigt, wenn dieser liebt. Und die Spuren der Liebe dieses Gottes (der Liebe) werden umso tiefer erkennbar sein, je tiefer die Liebe vom Menschen gelebt wird. Der Mensch selbst lässt diese Berührung Gottes vor allem durch sein „Amen“ (auf Deutsch: „So sei es“) in der Kommunion zu, wenn er nicht in der Kirchenbank bleibt, sondern, wenn er wirklich vorbereitet ist, sich bewusst entscheidet, nach vorn zu kommen und sein „Ja“ mit seinem Leben zu dem ausspricht, was er im ersten Teil der Messe, beim Vortragen der Lesungen aus der Bibel gehört hat: deren Inhalt kann in dem einen Wort zusammengefasst werden: „Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16). Dabei spricht er aber auch sein Ja zu dem aus, was er im zweiten Teil der Messe, der sogenannten „Wandlung“, die eine Feier der hingebenden Liebe Gottes am Kreuz ist, gesehen hat. Zu dem Zweck kommt er jetzt nach vorne und sagt: Ja! Ich will versuchen, das zu leben, was ich hier höre und sehe, da du jetzt in der Kommunion „ein Leib und ein Geist“ (vgl. Hochgebet III.) mit mir werden willst, gib mir die Kraft, immer mehr das zu leben, was ich hier empfange. Wie gesagt, das meint das Wort „Kommunion“ („communio“, Gemeinschaft).

Das ist der sechste von einer Serie von Beiträgen zum #TheologieDesLeibes Thema „Gemeinschaft“. Die Überlegungen entstammen aus dem von mir geschriebene Buch: „God, Sex & Soul“)

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