Selbstfindung

Eine der kühnsten Aussagen der „Theologie des Leibes“ ist es, dass der Mensch sich nur dann findet, wenn er sich schenkt. Selbstfindung hat mit Hingabe zu tun. Der Mensch kann noch so viel Theorie hören und studieren und darüber diskutieren, er bleibt sich selbst doch unerklärlich, bis er sich in der Liebe hingibt. Der reinste Widerspruch.

Eva entdeckt sich in dem Moment, in dem sie sich schenkt. In dem Moment weiß sie nicht nur theoretisch, „Ah, ich habe eine Würde, ich bin nicht etwas, ich bin jemand!“, sondern sie macht eine Erfahrung davon, weil sie von Adam angenommen wird, ohne dass er beginnt, das Geschenk zu „zerstören“.

Interessant dabei: Sie hätte sich selbst nie entdeckt, aber auch nie entdecken können, hätte sie sich nicht verwundbar gemacht, sich nicht geöffnet, ihm keinen Einlass in den Garten ihrer Intimsphäre gewährt. Das heißt, Voraussetzung für die Selbstfindung ist das Risiko der Selbsthingabe. Und die muss ohne Vorbehalte sein. Wenn sie es nämlich nicht ist, macht sie die Erfahrung einer wirklichen Annahme unmöglich. Denn dann wird Adam nicht sie annehmen, sondern das, was sie vorgetäuscht hat oder eben nur den Teil von ihr, den sie gegeben hat, aber eben nicht sie selbst. Das ist auch einer der Gründe, warum die Bibel rät, bis zu einem Zeitpunkt zu warten, wo es kein Zurück mehr geben kann – das, was die Bibel Ehe nennt: Denn vorher kann die Hingabe gar nicht vorbehaltslos sein, da sie ja nicht den Aspekt „Zeit“, „für immer“ mitberechnet hat, weil es ja immer noch den Vorbehalt gibt: „Ich nehme dich an für jetzt…in der Zukunft, schauen wir mal“. Und wenn man sich in diesem Stadium verwundbar macht, dann ist das Entstehen von Wunden wie vorgeplant. Vielleicht erhofft sich schon vorher einer der beiden oder sogar auch beide eine bleibende Beziehung. Aber dazu verpflichtet hat sich keiner, es fehlt die Entscheidung. Es gibt immer noch einen Ausweg, wenn es nicht funktionieren sollte. Natürlich kann auch nach der Entscheidung die Hingabe mit Vorbehalten durchsetzt sein. Man kann mit dem Sich-Schenken etwas anderes meinen, als das, was mit dem Körper ausgesagt wird. Aber nach der vorbehaltslosen Bekundung der Entscheidung besteht wenigstens die Möglichkeit, dass die Sprache keine Lüge ist, beide können sich darum bemühen. Das heißt auch nicht, dass man vorher keine schöne Erfahrung machen kann, dass man sich vorher nicht lieben kann, aber wirkliches Kennen des eigenen Wertes und der eigenen Größe – und der des anderen, das verlangt Vorbehaltslosigkeit.

Ein weiterer Gedanke. Eva hätte sich nicht entdeckt, hätte Adam ihre Hingabe ausgenützt. Wenn er sie nicht in der Fülle ihres Menschseins und Frauseins angenommen hätte, wenn er begonnen hätte, Bedingungen für diese Annahme zu stellen, oder wenn er sie als Objekt und nicht als Geschenk „benutzt“ hätte, sei es für seine eigenen Zwecke oder für seine Befriedigung, indem er Ansprüche an sie gestellt hätte, wie zum Beispiel, dass sie anders ausschaut, andere Charaktereigenschaften mit sich bringt, mehr oder weniger Initiative hätte, mehr oder weniger abenteuerlich wäre, usw.

Das passiert aber eben alles nicht. Adam und Eva sind gemeinsam im Garten. Eva, der „verschlossene Garten“ aus dem „Hohelied der Liebe“, hat die Tür des Gartens ihres Herzens für Adam aufgerissen, in dem sie sich ihm durch ihren Leib öffnet und dadurch verwundbar macht, sich ihm anvertraut, wortwörtlich sich ihm hingibt, ihm gänzlich Einlass gewährt, ohne etwas zurückzuhalten. Adam seinerseits schenkt sich ihr völlig hin. Wenn schon die Blume des Freundes für die Freundin etwas aussagt, dann spricht der Körper in dem Einswerden noch eine viel radikalere Sprache. Adam meint, was er mit seinem Körper sagt. Er steht dazu. Er will Verantwortung für sie übernehmen, er will gemeinsam mit ihr durch das Leben gehen, er will sie und keine andere, er ist bereit, sich für sie einzusetzen, für sie zu sorgen, sein Leben für sie hinzugeben.

Ekstase

Und diese gegenseitige vorbehaltlose Hingabe überwältigt beide. Die Freiheit der Gabe erschüttert beide – das Bewusstsein, dass der andere nicht von Begierde getrieben ist, dass der andere im Vollbesitz seiner selbst ist und in voller Freiheit sich jetzt entscheidet: Ja, ich will, ich will mich dir hingeben, auch wenn nichts mich dazu zwingt, auch wenn es mir völlig bewusst ist, dass ich es nicht machen muss. Er ist ergriffen von ihrer Liebe, er kann es nicht fassen, er ist hin und weg, und Eva zugleich, denn sie weiß, „Wer bin ich? Das muss er doch nicht tun, aber er tut es trotzdem“ – auch sie ist zutiefst hingerissen, macht eine einzigartige Erfahrung ihrer eigenen Würde, will sich noch mehr für ihn verausgaben. Dieses Sich-noch-mehr-schenken-Wollen seitens Eva wird wiederum von Adam wahrgenommen und erwidert. Es entsteht eine Gemeinschaft der Personen, eine Logik, in der nicht das Nehmen, sondern das Geben den Vorrang hat, eine gegenseitige Steigerung der Hingabe, in der sich beide gegenseitig beschenken und dieses gegenseitige Beschenken zu einer immer neuen Quelle einer noch stärkeren Liebe und Hingabe aneinander wird.

Das ist der fünfte von einer Serie von Beiträgen zum #TheologieDesLeibes Thema „Gemeinschaft“. Die Überlegungen entstammen aus dem von mir geschriebene Buch: „God, Sex & Soul“)

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