Im ersten Teil des Beitrags über Sehnsucht ging es um die Frage, wie und warum sie ausgelöst wird. Es kristallisierte sich heraus, dass das Bewusstsein einer Sehnsucht in unserem Herzen der Frage nach dem „Mehr“ zugrunde liegt. „War das schon alles in meinem Leben?“ oder „Worauf kommt es hier eigentlich an?“

Der Ursprung dieser Sehnsuchtsfrage wurde dem hl. Geist zugeordnet, der in unserem Herzen eine Prägung hineinlegt, die wiederrum eng mit der Sehnsucht und auch mit der Berufungsfrage verknüpft ist.In dieser Woche schauen wir nun auf den zweiten Schritt, der dann eintritt, wenn der Herr uns mit seinem liebenden Blick ins Herz schaut.

 

Sein Blick, die Freiheit & unser verschlossenes Herz

Im Evangelium heißt es, dass Jesus den reichen Jüngling mit einem liebenden Blick anschaute:

„Da sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte, sagte er: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ – (Mk 10,21)

Jesus schaute ihn mit Liebe an. Der Blick des Herrn dringt tief in die Augen und ins Herz. Genau dieser tiefe Blick trifft den Berufenen. Man spürt es, jetzt ist der Moment des Rufes. Jetzt ruft er mich wirklich und da kann ich mich nicht mehr verstecken. Dieser Blick hat mich schon getroffen. Da kann ich keine Verteidigungsmauer mehr aufstellen, denn er hat mich schon gesehen. Er hat mir tief ins Herz geschaut und mich berührt. „Wenn du wirklich vollkommen sein willst, dann komm und folge mir nach.“

Im Fall des reichen Jünglings wissen wir, was daraufhin leider passiert ist: Er ging traurig weg. Diese Bemerkung des Evangelisten ist interessant. Er sagt, er sei mit Trauer weggegangen. Denn der Egoismus, dieses „Nein-sagen“ zu Gott macht immer traurig. Und umgekehrt: Hingabe und Offenheit für ihn macht glücklich, weil er gekommen ist, um das Leben in Fülle (vgl. Joh. 10,10) zu geben und nicht, um das Leben unglücklich zu machen.

Dieser junge Mann hätte ein großer Heiliger werden können. Doch heute weiß man nicht einmal mehr seinen Namen. Hier sieht man die Größe des freien Willens, aber auch das Tragische an ihm. Der Mensch ist fähig, „Nein“ zu Gott zu sagen, der nur deswegen ruft, „weil er ihn liebte“. Der Herr zwingt nicht zur Nachfolge. Wen Gott beruft, den entführt er nicht einfach. Er lädt ein, aus Liebe.

 

Von der Sehnsucht zur Berufungsfrage

Es gibt verschiedene Ereignisse, die die Berufung bewusst machen und sie „los tritt“, zum Beispiel die Frage eines Freundes: „Hast du nie darüber nachgedacht, Priester zu werden?“ Es kann auch eine Schriftlesung sein – oder eine Schriftstelle, die man gezogen hat. Oder es geschieht bei einem Moment der Anbetung. Oder man liest ein gutes Buch, sieht das Beispiel von einem Priester. Manchmal ist es ein Geschehen, das aufrüttelt und zum Nachdenken bringt. Es sind oft die kleinen Dinge, Paulus-Erlebnisse sind eher selten.

Die Berufung ist eine sehr persönliche Sache, in die jeder seine Erfahrung hineinnimmt. Bei mir waren es zuerst unerwartete Ereignisse, die meine Berufungsgeschichte beeinflusst haben. Eine Reihe von Todesfällen brachte mich zum Nachdenken. Da kommen schon Fragen auf: „Was machst du mit deinem Leben?“, „Welche Tore willst du eigentlich in deinem Leben schießen?“, „Was erwartest du vom Leben, was willst du?“, „Was ist wirklich wichtig?“ Das waren furchtbare Erlebnisse und ich weiß, dass der Schuss nach hinten losgehen und man jede Beziehung zu Gott verlieren kann. Bei mir war aber –  Gott sei Dank – das Gegenteil der Fall. Aus diesen schrecklichen Ereignissen hat Gott etwas Gutes gemacht. Das war natürlich noch nicht die Berufung selbst. Es war einer der Auslöser und bleibt ein wichtiger Eckstein in meinem Leben: Die Kürze der Zeit! Was ist wirklich wichtig? Worum dreht es sich beim Leben und Sterben?

Die eigentliche Berufung, also der nächste Schritt, geht tiefer. Ich versuchte das am Beispiel des reichen Jünglings zu erklären. Es ist die Begegnung mit der Liebe Gottes, mit seinem liebevollen Blick. Nein, keine Schwärmerei. Ich meine es ernst. Ohne Christusbegegnung wird Berufung unmöglich, ja unerträglich.

Sein liebender Blick auf unser Herz

Ich war 21. Zu der Zeit hatte ich mich von Papst und Kirche weit entfernt. Ich plante, mein in den USA begonnenes Studium im kommenden Herbst in Europa weiterzuführen. Die Sommermonate verbrachte ich auf unserer Ranch, half meinen Eltern und hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken. Ich befand mich in einer wachsenden Krise. Irgendwann rief ich einen Priester an, den ich fünf Jahren lang nicht mehr gesehen hatte und der auf der anderen Seite der USA, in New York, lebte. Meine Heimat war British Kolumbien, eine Provinz, die im extremen Westen, am Pazifik, liegt. „Ich bin der Soundso und ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnern kannst?“, rief ich ihn an. Er war der einzige Priester, der mir in den Sinn gekommen ist und den ich bitten konnte: „Ich glaube, ich sollte diese Sache mit der Beichte tun.“ Und bevor ich etwas sagen konnte, war der New Yorker Priester in ein Flugzeug gestiegen, etwa fünf Stunden nach Seattle-Washington geflogen, hatte dort ein Auto gemietet, war acht Stunden in die Wildnis gefahren, hörte meine Beichte und machte sich wieder auf den Weg nach Hause. Leider hat keiner ein Bild von meinem damaligen Gesichtsausdruck gemacht! Zu sagen, dass ich zutiefst beeindruckt war, wäre untertrieben. Entweder hatte dieser Priester nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder … ja, oder was?

Am 12. September 1991 erlebte ich meine tiefste persönliche Begegnung mit der Barmherzigkeit Gottes. Gott liebt uns, nicht, weil wir so groß und so wunderbar sind, denn damals war mir besonders bewusst, dass ich gar nicht so groß und so toll bin. Ganz im Gegenteil, ich hatte viel Mist gebaut. Genau in diesem Moment der Begegnung mit meiner geistigen Armut kam dieser Priester. Er brachte mir die Barmherzigkeit Gottes. Was sein Herz bewegt hatte, war genau diese Armut! Und diese Armut ist es auch, die Gottes Herz bewegt. „B-armHerz-igkeit.“ Da habe ich ein wenig tiefer erfahren dürfen, wie und wer Gott ist und wie unglaublich er uns liebt.

Ein innerer Wandel – ein Treffer mitten ins Herz

Machen wir einen Zeitsprung und blenden uns ein in die Berufungsgeschichte des Apostels Petrus – wir kennen sie: Es ist früh am Morgen. Petrus wäscht seine Netze (Lk 5,1-11). Die ganze Nacht hat er nichts gefangen. Er will einfach nach Hause. Oh, Mann! Was wird meine Frau sagen? Und meine Schwiegermutter? „Ja, ja, Petrus, du warst fischen, ähm, und du hast nichts gefangen? Bist du sicher, dass du fischen warst, Petrus?“ Auf einmal kommt dieser Jesus daher. Er bittet ihn, erneut in sein Boot zu steigen. Er will den Leuten predigen und braucht ein Mikrofon – damals diente das Wasser, das die Stimme sehr gut transportierte, als Mikrofon. Petrus gibt in etwa so eine Antwort: „Ja, okay, ich habe die GANZE Nacht gefischt und würde jetzt sehr gerne nach Hause gehen, aber wenn du es willst, dann können wir ja noch mal …“ Petrus erwartet eine Antwort wie zum Beispiel: „Ah, sorry! Wenn das so ist, keine Sorge, vielleicht ein anderes Mal!“ Aber dieser Jesus hat keine Angst davor, ihm etwas abzuverlangen. Und so fahren sie wieder hinaus.

Petrus kann jetzt auch nicht mehr zurück. Das wäre ja peinlich gewesen, nachdem er schon zugesagt hatte. Kurz darauf ist die Kanzel des Bootes bestiegen und Jesus beginnt seine Rede, die an die Leute gerichtet ist – aber Petrus muss wohl oder übel auch zuhören, er sitzt im Boot. Und da passiert es, äußerlich zunächst gar nichts, aber im Herzen des Petrus beginnt sich etwas zu lösen. Denn wenn Christus ihm nachher „Wirf dein Netz aus!“ sagt, dann befolgt Petrus seinen Befehl. Keine Erwiderung wie zum Beispiel: „Lieber Zimmermann aus Nazareth, es ist Tag! Tag! Verstanden? Wenn wir in der Nacht schon keinen einzigen Fisch gefangen haben, dann jetzt während des Tages noch viel weniger! Ich bin hier der Fischer und du hast keine Ahnung vom Fischen! Ich fische, du predigst, kapiert?“ Nein, das sagt er alles nicht, er wirft die Netze aus. Warum? Weil für Petrus der Zimmermann schon nicht mehr einfach nur der Zimmermann war. Ein innerer Wandel hatte sich zu vollziehen begonnen, mit einem Augenblick war alles anders geworden: Der unerklärliche, alle Erfahrungen sprengende Fischfang. Petrus ist schockiert. Er fällt Jesus zu Füßen und stammelt: „Herr, geh weg von mir, ich bin ein Sünder!“

Auf einmal beginnt Petrus in der Klarheit dieses Lichtes – „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12)– zu erahnen, wie armselig er wirklich ist. Dann kommt das Große: Jesus sagt nicht: „Ja, du bist ein Sünder, geh mir aus den Augen!“, sondern er legt seine Hand auf seine Schulter und spricht zu ihm: „Hab keine Angst, von jetzt an wirst du Menschenfischer werden!“

In dem Moment, in dem Petrus sich seiner eigenen Sündhaftigkeit und Armseligkeit bewusst wird, hört er den Ruf, wird er berufen. Und genau da macht Petrus eine tiefe Begegnung mit der Liebe Gottes. Sonnenklar ist die Erfahrung: „Gott liebt mich – nicht, weil ich großartige Werke vorzuweisen habe. Eben habe ich wie nie zuvor erkannt, dass ich ein Sünder bin. Und ER weiß das noch viel besser als ich. Er kennt mich in- und auswendig, besser als ich mich selbst kenne. Und trotzdem, im Bewusstsein dessen, wer ich vor ihm bin, liebt er mich, einfach so, aus reiner Güte.“ Und das ist für Petrus ein gigantischer Anstoß. Als Jesus ihn dann einlädt, seine Netze und somit sein bisheriges Leben aufzugeben und ihm nachzufolgen, dann tut er es – und zwar sofort. Zurück bleiben seine Firma, seine Mitarbeiter, sein Boot und damit sein bisheriges Leben.

 

Dieser Beitrag ist aus einer Serie von Blogbeiträgen über das Thema „Sehnsucht und Berufung“ und entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC “Wohin? Finde deine Berufung!”. Das Buch kann man beim Verlag Catholic Media bestellen.
Zum Vorrausgehenden Artikel: Eine Sehnsucht, die Berufung & Ich (1)

Titelbild: Pixabay