„Ich verspüre in mir eine große Sehnsucht danach zu heiraten, deswegen habe ich sicherlich keine Berufung Priester zu werden oder mein Leben Gott zu weihen.“ Diesen Satz hört man oft. Ist es aber wirklich so?

Die Berufung zum gottgeweihten Leben ist ein übernatürliches Charisma. Die Berufung zur Ehe hingegen ist in der Natur des Menschen grundgelegt – und wenn die Ehe eingegangen wird, verleiht sie ein Sakrament. Die sakramentale Gnade hat einen bei weitem größeren Stellenwert als die Charismen, weil sie uns die heiligmachende Gnade vermittelt. Die Charismen wiederum sind auf diese hingeordnet. Ein Charisma wird als Geistesgabe definiert, die Gott einem Menschen zum Aufbau der Gemeinde schenkt.ii Der Weg der evangelischen Räte – Keuschheit, Armut und Gehorsam – verlangt ein Charisma. Ohne dieses Charisma wäre ein solches Leben nur schwer zu ertragen, geschweige denn in Fülle lebbar. Denn für den Menschen ist es nicht der normale und natürliche Weg, nicht zu heiraten, nichts zu besitzen und die eigene Fähigkeit, das eigene Leben selbst zu bestimmen, herzuschenken. Ohne diese Gnadengabe, ohne dieses Charisma würde der Weg des Priesters oder des Gottgeweihten sehr schwierig. Zur Heirat bedarf es keines besonderen Charismas, weil es für den Menschen eben natürlich und nicht übernatürlich ist, zu heiraten. Das heißt, es übersteigt nicht die normalen Fähigkeiten des Menschen. Im Gegenteil, es ist seine normale, natürliche, von Gott in jeden Menschen eingeschriebene Sehnsucht.iii Dazu aber zweierlei. Erstens: Es ist offensichtlich, dass der Weg der Ehe genauso viel (und nicht selten mehr!) Liebe – und Hingabebereitschaft von den Ehepartnern abverlangen kann, wie der Weg des Gottgeweihtem Lebens. Zweitens: Es ist nicht so, dass der Herr diejenigen, die ihr Leben ihm ganz weihen, mit besonderen Gnaden beschenkt, und die Eheleute im Stich lässt. Beide werden beschenkt, nur die Art der Beschenkung ist unterschiedlich: Die einen mit der Gabe des Charismas, die anderen mit den Gnaden, die dem Sakrament der Ehe eigen sind.

Es ist also sinnlos, zwischen den zwei Charismen zu unterscheiden – zwischen dem „Charisma der Ehe“ und dem „Charisma des gottgeweihten Lebens“. Jeder Mensch trägt die Sehnsucht zu heiraten in sich, weil der Mensch nicht dafür geschaffen ist, allein zu sein. Vielmehr sehnt er sich nach Gemeinschaft, nicht zuletzt, weil er Abbild der Dreifaltigkeit ist. Das heißt, dass jeder Priester und Gottgeweihte diese Sehnsucht grundsätzlich in sich trägt und es daher auch passieren kann, dass er sich verliebt – doch wird er mit diesem Gefühl dann anders umgehen, wenn er sich für ein gottgeweihtes und somit zölibatäres Leben entschieden hat.
Daher sollte man sich vielmehr Folgendes fragen: „Gibt es – obwohl ich den natürlichen Wunsch und die Sehnsucht zur Ehe verspüre – ein Zeichen dafür, dass in mir eine andere Sehnsucht, die Sehnsucht nach der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen (vgl. Mt 19,12) vorhanden ist?

Nehmen wir an, jemand verspürt die Sehnsucht sich zu verlieben, sein Leben mit einem geliebten Menschen zu teilen. Und deswegen schlägt er diesen Weg ein, der manchmal in eine funktionierende Beziehung führt. Dennoch kann es vorkommen, dass wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine nicht so leicht zu verdrängende Frage auftaucht: Hat Gott doch etwas anderes für mich geplant – trotz meiner natürlichen Sehnsucht nach der Ehe?

Anders ausgedrückt: Die natürliche Sehnsucht nach der Ehe ist kein Knockout-Kriterium für die Berufung zum gottgeweihten Leben.  Denn inmitten dieser natürlichen Sehnsucht kann Gott die Berufung zum gottgeweihten Leben pflanzen. Noch mal anders ausgedrückt: Es wäre unsinnig, ein Zeichen für ein Charisma der Ehe zu suchen, wo es keines gibt. Die Sehnsucht nach der Ehe ist naturgemäß in jedem Menschen grundgelegt. Sie ist in jedem gesunden Menschen vorhanden, solange keine psychologische, psychosomatische, entwicklungsbedingte oder ähnliche Störung diese Sehnsucht vermindert.

Manchen werden diese Aussagen über das Charisma der Berufung gewagt erscheinen. Ruft Gott nicht auch zur Ehe? Ja, Gott ruft auch zur Ehe. Über den genauen Weg, wie Gott das tut, besteht aber Uneinigkeit unter den Theologen. Wir wollen hier nicht in Spitzfindigkeiten hineingeraten. Der Punkt bleibt folgender: Ich bin in der Zeit, in der ich junge Menschen auf dem Weg der Berufung begleiten darf, noch nie jemandem begegnet, der mir gesagt hätte: „Ich will unbedingt Priester werden, habe aber Angst, dass Gott mich zur Ehe berufen könnte.“ Andererseits habe ich aber sehr oft gehört: „Ich möchte gerne heiraten, habe aber Angst, Gott könnte mich dazu berufen, ihm mein Leben als Priester oder Gottgeweihter zu schenken.“ Das scheint mir die Annahme zu bestätigen, dass die natürliche Sehnsucht nach der Ehe einfach mit dem Menschsein einhergeht und das Gott sich dieser benutzt, um zur Ehe zu rufen, dass aber durch die Berufung Gott etwas anderes – wir nennen es hier „Charisma“ oder einfach „Berufung“, was durch eine andersartige Sehnsucht erfahren wird – in den Berufenen hineinlegt, etwas, was zumindest am Anfang der Sehnsucht nach Ehe gewissermaßen als Konkurrenz entgegengestellt zu sein scheint. Nach und nach aber wird dieses Etwas sogar als Erfüllung dessen verspürt, wofür letztendlich auch die Ehe ein Spiegel ist, nämlich die Sehnsucht nach der Gemeinschaft mit Gott und durch ihn, mit allen Menschen; wobei dann das Zölibat immer mehr „erfahren wird als die existenzielle Unfähigkeit, anders zu leben.

Dieser Beitrag ist aus einer Serie von Blogbeiträgen über das Thema „Sehnsucht und Berufung“ und entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC “Wohin? Finde deine Berufung!”. Das Buch kann man beim Verlag Catholic Media bestellen.Titelbild: Pixabay.com/deZum Vorrausgehenden Artikel: „Sehnsüchte und die Berufungsfrage“

 

ii vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2003.

iii Ein alter theologischer Grundsatz besagt, dass es keine sinnlose Vermehrung der Gnadengaben gibt, sondern die Gaben werden den Menschen für bestimmte Zwecke geschenkt.