„Ich habe mich erst vor kurzem taufen lassen, also mit 30. Ich dachte eigentlich, mit 30 habe ich Mann und drei Kinder und Haus, aber dem war nicht so. Aber mir ist jetzt was viel Besseres passiert, nämlich ich habe eine unfassbar starke, nämlich die stärkste Liebe überhaupt entdecken können, das ist die Liebe zu Gott. Ich habe diese unfassbare Liebe gespürt und kennenlernen dürfen.“ Das war Teil eines Zeugnisses, welches Tina hier vor ein paar Tagen abgelegt hat. In der Osternacht habe ich sie taufen dürfen. Aber ich gehe einen Schritt zurück: Ich möchte versuchen zu erklären, was mit Tina geschehen ist und was es braucht, dass es viele weitere Tinas gibt. Und ich möchte gleich mit einem Zitat von Benedikt XVI. beginnen, das sehr dicht ist, aber danach hoffentlich klarer wird:
„Wenn die Schrift in Gleichnissen spricht, ist sie weit davon entfernt, sich von der Welt der Körper zu distanzieren, und sie adressiert sich zu ihr als das, was am meisten ihr (der körperlichen Welt) eigen ist, als der Kern dessen, was sie (diese Welt) selbst ist. Indem die Schrift die Körperwelt als Bildervorrat für die Geschichte Gottes mit dem Menschen interpretiert, bringt sie ihre wahre Natur zum Vorschein und macht Gott dort sichtbar, wo er sich wirklich ausdrückt.“ (Benedikt XVI.)
Körper und Glaube
Also, der Papst em. schaut nicht wie ein Biologe oder Physiker oder Mediziner oder Soziologe auf die Welt. Er betrachtet sie als Gläubiger und sagt: Da gibt’s mehr als das, was du siehst oder jemals unter einem Mikroskop sehen könntest. Die tiefste Wirklichkeit der Dinge ist nicht das rational Messbare. Die tiefste Wirklichkeit der materiellen Welt besteht darin – und jetzt kommt das Erstaunliche! –, dass sie ein Bildervorrat ist. Und zwar ein Bildervorrat für die Geschichte Gottes mit den Menschen. „Das Fleisch ist schon immer der äußere Ausdruck des Geistes“ gewesen und dadurch ein möglicher Wohnort für das Wort Gottes, das der Sohn ist, der Fleisch angenommen hat. Der Sonnenuntergang sagte schon immer etwas über Gott aus, weil er sich da ja wirklich ausdrückt. Es ist aber erst das Fleischwerden des Wortes, das uns die letztendliche Bedeutung der gesamten materiellen Welt erschließt. Sein Eintreten in die Welt des Körpers, der Sinne, der Leidenschaften, der Gefühle, der Emotionen beleuchtet die „innere Transzendenz der gesamten Schöpfung, die der Schöpfer selbst bestimmt hat: Körper ist selbst-übersteigende Bewegung auf den Geist hin, und durch den Geist auf Gott hin … das Unsichtbare im Sichtbaren zu sehen ist ein Osterphänomen.“
„Der Geist ist dem Körper nicht äußerlich, sondern dessen Selbstausdruck.“ Benedikt erinnert daran, dass Thomas berühren und sehen muss, bevor er glauben kann, er legt seine Hand in seine Seite, und indem er das tut, erkennt er das, „was jenseits dieser Berührung liegt und doch berührt er es: Mein Herr und mein Gott!“ Der am Kreuz Hängende und Durchbohrte ist nicht nur ein Bild für die Liebe, die Gott ist, es ist er selbst.
Der Punkt ist der: Wir können zu Gott nur über die Berührung kommen, nur über die Sinne und die Emotionen und die Gefühle und die Leidenschaft. Wir können natürlich nicht dort stehen bleiben. Aber die Tür zum Geist ist der Körper. Das ist eine Konsequenz der Menschwerdung Gottes und Resultat des gesamten Schöpferplans, den Leib zum Selbstausdruck des Geistes zu machen. Der Leib des Herrn wird daher zur „Leiter, die wir hinaufsteigen, während wir betrachten, berühren und erfahren“. Oder, im Hinblick auf die geöffnete Seitenwunde und mit Bonaventura anders ausgedrückt: „Die Wunde des Leibes offenbart die geistliche Wunde … lass uns durch die sichtbare Wunde auf die unsichtbare Wunde der Liebe schauen.“
Das hat Konsequenzen, wenn wir überlegen, wie heute Menschen noch zum Glauben finden sollen. Wir können nicht den Körper, die Gefühle, Emotionen usw. abtun, als wäre das alles Gottes nicht würdig, als ginge es darum, mit dem Verstand alles zu verstehen und mit dem Willen zu entscheiden. Um noch mal mit Benedikt zu sprechen: „Der Mensch muss sehen, er braucht diese Art von stillem Anschauen, das zu einer Berührung wird, um sich der Geheimnisse Gottes bewusst zu werden. Er muss seinen Fuß auf die „Leiter“ des Körpers setzen, um ihn zu besteigen und so den Weg zu finden, auf den der Glaube ihn einlädt.“ Aber auf der anderen Seite dürfen wir den Aufstieg nicht vergessen und nur beim reinen Gefühl bleiben.
Das will sagen: Da ist zuerst ein doppeltes Problem, das gemäß Benedikt XVI. aus dem „technologischen Rationalismus“ folgt. Dieser sieht den Körper zum einen nicht mehr als Selbstausdruck des Geistes, sondern höchstens als dessen Instrument. Nach dem Motto: Körper ist nicht, was du bist, sondern was du hast. Damit verbunden wird zum anderen die „emotionale Seite des Menschen zu dessen irrationalen Peripherie hinausgedrängt“. In christlichen Kreisen sieht das dann so aus, dass „die Emotionen in der Spiritualität einer Art Tabu unterworfen (werden), gefolgt von einer Welle von Emotionalismus, die jedoch weitgehend chaotisch und unfähig ist, sich zu engagieren und zu verpflichten. Wir könnten sagen, dass die Tabuisierung des Pathos ihn pathologisch macht, während die eigentliche Frage ist, wie wir es in die Gesamtheit der menschlichen Existenz, die Gesamtheit unseres Lebens, wie wir vor Gott stehen, integrieren können.“ Ein Ausklammern oder Unterdrückung von Gefühl und Leidenschaft und Emotion in unserer Beziehung zu Gott als „weniger spirituell“ oder als „nicht wichtig“ oder sogar als „gefährlich“ führt also letztendlich zu dessen unkontrolliertem und pathologischem Auftreten. Das Durchbrechen des Aufstiegs zu Gott über den Körper hat uns aber zugleich eine ganze Welle von Meditationsformen gebracht, die nichts mehr mit der christlichen Botschaft zu tun haben, da gibt es keinen Aufstieg mehr, man bleibt innerweltlich.
Sehnsucht, Schönheit und Glaube
Werden wir praktischer. Ich möchte folgende Schritte vorschlagen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir jungen Menschen dazu verhelfen können, dass sie heute noch zu Gott finden. Es geht vor allem darum, Räume und Orte zu schaffen, wo Gottes Gegenwart ganz besonders in der körperlichen Welt durchbricht, wo Gott erfahrbar wird. Eine Pädagogik der Sehnsucht fördern. Jungen Menschen zu helfen, die materiellen und körperlichen Dinge wirklich zu genießen, aber auch zu unterscheiden lernen, was wirklich ihre Sehnsucht stillt und was einen schlechten Nachgeschmack hinterlässt. Die Sehnsucht ist ein inniges, schmerzliches Verlangen nach etwas oder jemand Entferntem oder Entbehrtem. So würde es der Duden beschreiben. Letztlich deutet aber die Sehnsucht darauf hin, dass der Mensch ein Loch im Herzen hat, das nur einer füllen kann. Jede Sehnsucht ist letztlich ein Schrei nach Heiligem Geist. Begegnung mit der Schönheit ist hier ein vorzüglicher Weg, um die Sehnsucht im Herzen aufzudecken: die Schönheit der Natur, die Schönheit der Musik, die Schönheit eines guten Buches, die Schönheit der Liebe, die Schönheit einer Kirche, die Schönheit eines guten Essens. „Schönheit verwundet, aber gerade so erweckt sie den Menschen zu seiner höchsten Bestimmung … Schönheit ist Erkenntnis, ja, eine höhere Art des Erkennens, weil sie den Menschen mit der ganzen Größe der Wahrheit trifft. Der Pfeil der Sehnsucht trifft den Menschen, verwundet ihn und beflügelt ihn gerade so, zieht ihn nach oben … Menschen, die ein so mächtiges Sehnen in sich haben, dass es ihre Natur übersteigt, und sie mehr begehren und vermögen, als zu erstreben dem Menschen zukommt, solche Menschen hat der Bräutigam selbst verwundet; deren Augen hat er selber einen Strahl seiner Schönheit gesandt. Die Größe der Wunde verrät ja den Pfeil, und das Sehnen deutet hin auf den, der den Pfeil geschossen hat.” (Hier zitiert Benedikt den mittelalterlichen Theologen Nikolaos Kabasilas).
Sechs Schritte zum Glauben
Also, hier sechs Schritte:
- Musik, die zum Geheimnis führt. Musik hat fast per Definition etwas mit Emotion und nicht rein Rationalistischem zu tun. Und doch, es gibt nicht automatisch eine wirkliche Durchdringung von Geist und Sinnen und Intuition. Geisterfüllte Musik kann aber extrem schnell in die Tiefe bzw. in die Höhe führen. Natürlich haben da die Polyfonie, die Gregorianik usw. einen bleibenden Wert, den wir nicht verlieren dürfen. Das sind auch Musikstile, die bei uns im Regnum Christi gepflegt werden und auch sehr berührend sein können, wie jeder bestätigen kann, der einmal eine unserer Priesterweihen erlebt hat. Und doch, als Einstieg sind die Stufen dieser Leiter für viele junge, fernstehende Menschen zu hoch angesetzt. Die Leiter reicht nicht tief genug in ihre Lebenswelt hinunter, um sie dann in die Höhe hinaufziehen zu können. Da unsere Zielgruppe im Zentrum Johannes Paul II. gerade fernstehende Menschen sind, haben wir uns hier für einen Musikstil entschieden, der – wie wir glauben – am besten dazu geeignet ist, Menschen heute zu verhelfen, „nach oben“ zu kommen: der sogenannte Worshipstil – hier ein Beispiel. Aber egal welcher Stil, die Musik kann Leiter werden in dem Maß, wie sie von Menschen gesungen wird, die selbst vom Geist Ergriffene und Durchdrungene sind, selbst durch ihr Leben Leitern geworden sind, auf denen man den Weg zu Gott emporsteigen kann. Wenn die Musikschaffenden nicht sich selbst präsentieren, sondern wirklich Gott loben oder sogar mittels der Musik in die Kontemplation, das ganzheitliche Ausgerichtet-Sein auf Gott übergegangen sind, dann kann unglaublich Großes in denjenigen geschehen, die dort dabei sind. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie im Gebet Menschen sich so schwertun, sich zu konzentrieren, aber es oft nicht viel mehr als die ersten Akkorde eines Worship-Liedes bedarf, um Menschen in volle Aufmerksamkeit zu versetzen, um die ersten Tränen zum Fließen zu bringen. Eine der krassesten Bekehrungen, die ich in diesem Jahr erleben durfte, war während eines Worship-Liedes, das unser Worship-Team bei einer Messe gesungen hat. Dieses Lied ist übrigens mehr als 120 Millionen Mal auf YouTube angehört worden. Das Lobpreislied von Brooke Ligertwood „What a beautiful Name it is“ (Was für ein wunderschöner Name ist das?) wurde auf YouTube 304 Millionen Mal angesehen. Zum Vergleich: Die Hunderten Videos auf dem YouTube-Kanal unserer weltweiten Gemeinschaft „Regnum Christi“ wurden insgesamt drei Millionen Mal angesehen – in den vergangenen 12 Jahren. Das ist nicht schlecht. Aber wir würden 1200 Jahre brauchen, um dieselbe Anzahl an Views zu erreichen wie dieses einzige Lied. Was ich damit sagen will? Worship kann extrem berühren. Hierin liegt enormes Potenzial.
Vielleicht verwundert es, dass ich zuallererst mit der Musik beginne. Mich fasziniert es, dass ein guter Film (die meisten sind griechische Tragödien in drei Akten) weltweit kulturübergreifend Millionen von Menschen berührt. Dies deshalb, weil Filme archetypische Geschichten und eigentlich immer wieder die Jesusgeschichte erzählen: Normalzustand, Fall, Krise, Ringen, Erlösung. Die Musik ist sehr hilfreich, um immer wieder auf die große Story des Films und dessen Teile hinzuweisen und sie zu betonen. Wir haben nicht nur die Geschichte, sondern die Wirklichkeit, wir haben die große Story schlechthin, die wir in jeder Messe neu darstellen und vergegenwärtigen. Die Messe ist gemäß dem II. Vatikanum „Quelle und Höhepunkt des gesamten christlichen Lebens“. Natürlich hängt hier nicht alles von der Musik ab. Die Rolle des Priesters, wie er die Messe feiert, die verschiedenen Sakramente feiert, kann auch hier sehr viel helfen, in diesen sichtbaren Zeichen das Angesicht des unsichtbaren Gottes zu erkennen. Und natürlich birgt die Liturgie in ihrer Zeichenhaftigkeit und realen Vergegenwärtigung im Materiellen eine große Kraft. Und doch: „Die Liturgie selbst kann nur dann richtig gefeiert werden, wenn sie auf dieses meditative „Verweilen“ vorbereitet und von diesem begleitet ist, in dem das Herz zu sehen und zu verstehen beginnt, in dem sie die Sinne in seine Betrachtung hineinzieht.“ (Ibid) Und da kann die Musik einem Fernstehenden enorm helfen, in die Nähe zu kommen. Musik soll zum Geheimnis führen. Letztlich zum Geheimnis selbst, das Jesus ist, verborgen in den Gestalten von Brot und Wein. Einmal angelangt, kann man einfach ruhig in seiner Gegenwart verweilen. Ob weiterhin im Lobpreis oder auch in der Stille, das ist eigentlich egal. Aber zum Geheimnis muss ich kommen. Gerade heute habe ich von jemanden gehört, wie er im Moment einer stillen Anbetung vor dem Allerheiligsten eine tiefe Erfahrung der Liebe Gottes gemacht hat. Scheuen wir uns nicht, den Menschen die Anbetung vor dem ausgesetzten Allerheiligsten vorzuschlagen. Eine der schönsten Erfahrungen für mich war es, als einer unserer neu zum Glauben gefundenen jungen Menschen zum ersten Mal in seinem Leben zur Anbetung kam, mich mitten in der Nacht dort antraf und dann gleich zwei Stunden blieb und eine ganz starke Erfahrung der Liebe Gottes gemacht hatte.
- Begegnung mit den Heiligen. Damit meine ich an erster Stelle Menschen, bei denen man erfährt, dass der Geist Jesu gegenwärtig ist, dass sie wahrhaft Tempel dieses Geistes sind, wenn man zu ihnen kommt, berührt man den Geist, der zu Jesus und durch ihn zum Vater führt. Daher ist das Allerwichtigste, in Menschen zu investieren, sodass sie wahre Jünger Jesu werden. Je mehr sie brennen, umso mehr werden sie entzünden können. Jünger machen Jünger. Strukturen haben da eine absolute zweitrangige Rolle. Der hl. Paul VI. sagte es mal so: „Was die Welt heute braucht, sind nicht Prediger, sondern Zeugen, und wenn die Welt überhaupt noch die Worte glaubt, ist es deswegen, weil Zeugen diese Worte sagen.“
- Begegnung mit zweckfreier Liebe. Wir leben in einer verzweckten Welt. Der Wert einer Sache, aber leider auch sehr oft eines Menschen, hängt von seiner Fähigkeit ab, gewisse Zwecke zu erfüllen. Wenn du nicht produzierst, nicht genügend Leistung erbringst, dann bist du nichts wert. Oft genug haben junge Menschen keine andere Erfahrung von Liebe und Beziehung gemacht: Ich gebe dir das, wenn du mir das gibst. Zweckfreiheit, radikales Angenommensein, bedingungslose Liebe … das haben die wenigsten erfahren. Deswegen ist es so ein starkes Zeugnis für die Liebe Gottes, wenn das erfahrbar gemacht wird. Konkret heißt das zum Beispiel hier in unserem Zentrum Johannes Paul II. in Wien, dass einer der wichtigsten Bereiche, worin wir uns immer wieder versuchen neu zu bekehren und auf den Herrn auszurichten, die Menschen, die durch unsere Türen kommen, egal wie sie ausschauen, wie sie leben, was sie glauben, radikal zu lieben. Das heißt nicht, dass ich alles gutheiße, aber ich nehme sehr wohl den Menschen an, der so tut oder so denkt. Und wenn sich das ganz konkret zeigt, in meinem Interesse, in meiner aufrichtigen Liebe und Wertschätzung, in meinen Umgang, in meiner Hilfsbereitschaft, dann ist das für viele die erste Stufe der Leiter, die es zu erklimmen gilt. Das heißt aber auch, dass unsere Gemeinschaften und Gemeinden offen sein müssen – und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch. Ich werde dann eben nicht nur mit den Leuten reden, die ich eh schon kenne, ich werde mich als Gemeinde nicht nur um die 99 Schafe kümmern, die eh schon da sind (auch wenn es heute ja eher andersherum ist, das eine ist noch da, die 99 sind irgendwo). Ach ja, je größer eine Gemeinde oder eine Pfarre ist, desto wichtiger wird es sein, dass es kleine christliche Gemeinschaften (zum Beispiel Kleingruppen, Connect Groups, Teams …) innerhalb der Gemeinde gibt, wo man das Leben miteinander teilen kann – und das ist nicht nur für denjenigen wichtig, der die ersten Babyschritte im Glauben macht.
- Begleitung in wegweisenden Momenten. Jobverlust. Verpatzte Prüfung, vielleicht schon zum 5. Mal. Beziehung, die in die Brüche gegangen ist. Das sind emotionale Momente. Oft genug sind es negative Emotionen. Aber gerade auch die sind eine einzigartige Gelegenheit. Denn gerade die erinnern uns: So soll es doch nicht sein, da muss es doch mehr geben. Und noch mehr: Gerade die Leidensmomente können Momente der tiefen Begegnung mit dem Gekreuzigten werden, die Erfahrung, dass er für mich gelitten hat, dass ich nicht allein in meinem Leiden stehe und dass das Leid auch nicht das letzte Wort hat, da es die Auferstehung gibt. Für viele kann auch gerade so ein Moment eine Erfahrung dessen sein, was Paulus sagte: „Ich ergänze in meinem Leib, was am Leiden Christi noch fehlt für die Kirche.“ (Kol 1,24-29) Es kann für sie ein Moment werden, in dem sie erfahren, dass ihr Leid nicht sinnlos sein muss, dass es sogar in Christus einen stellvertretenden Charakter bekommen kann. Öfters kann die gute Begleitung einer Kleingruppe oder eines Freundes oder einer Gemeinde in solchen Momenten mehr prägen als viele Jahre, in denen nicht viel geschehen ist. Es können natürlich aber auch Momente sein, wo man anstatt die Leiter hinauf- noch tiefer in die Sinnlosigkeit hinabsteigt. Daher ist es so wichtig, dass wir als Kirche Menschen in solchen Situationen begleiten. Wie schlimm ist es, wenn wir gerade da nicht da sind. Gerade zu busy sind, um uns darum zu kümmern. Mein eigener Weg zurück zur katholischen Kirche hat unter anderem auch damit zu tun gehabt, dass ein Priester eine Reise von mehr als 4.000 km auf sich genommen hat, um mir in einer schwierigen Situation zu helfen.
- Begegnung mit dem Herrn im Armen. Ich denke an eine Schwester von den Missionaries of Charity (Mutter Teresa Schwestern), die hier aus Wien stammt. Ihr Berufungsweg ist bezeichnend. Als junge Frau befand sie sich nach der Matura in einer schwierigen Phase. In dieser Zeit überlegte sie, wo es in der Welt wohl am schlimmsten zuging, um sich dort noch mehr in ihrem Leid zu baden. Sie entschied sich für das Sterbehaus der Schwestern in Kalkutta. Dort wirkte sie als Volontärin, aber nichts berührte ihr Herz. Es kam Weihnachten, nach Mitternacht zogen die Volontäre noch mal aus, um frierenden Menschen auf der Straße Decken zu schenken. Sie tat es, aber ohne Interesse an den Menschen. Sie warf eine Decke über einen Mann in der Gosse, war schon beim Weitergehen. Doch irgendetwas hielt sie fest und sie musste zu diesem Mann zurückkehren. Sie erzählte danach, dass sie nicht wisse, wie sie es beschreiben solle, aber im Angesicht dieses Sterbenden, der nur noch Haut und Knochen war, sei sie Jesus begegnet. Nachdem sie den Mann in dieser Nacht ins Sterbehaus gebracht hatte, starb er. Öfters ist es gerade der Dienst am leidenden, bedürftigen, hoffnungslosen Menschen, der eine gewaltige Leiter sein kann, die uns zu Gott emporhebt. Es muss nicht immer gleich der Sterbende sein. Es kann auch der emotional tote Freund sein, der gerade sein Job verloren hat. Die Erfahrung, dass dieser Mensch für mich ein Geschenk ist und ich ein Geschenk für ihn sein darf, lässt erahnen, dass es da auch einen Geschenkgeber geben muss.
- Begegnung mit dem Herrn in seinem Wort. Die Bibel erklärt der Welt, was sie im tiefsten ist: Geschichte Gottes mit dem Menschen. Aber wie relevant das für das Leben heute ist, wird nicht für jeden Leser sogleich einleuchtend sein. Eigentlich zeigt die Bibel jene archetypische Geschichte auf, die das Menschsein ausmacht und erklärt. Und hier ist „Geschichte“ nicht als Mythos, sondern als die Wirklichkeit selbst zu verstehen. Jesus offenbart dem Menschen sein Menschsein, er zeigt ihm, was es heißt, Mensch zu sein. Wie extrem relevant die Bibel für das Leben letztlich ist, wird dazu führen, dass man immer wieder diese Brücke zwischen den biblischen Texten und dem Alltagsleben spannt. Zugleich aber nicht die „Big Story“ vergisst, zeigt, wie Altes und Neues Testament zusammenhängen. Zuletzt wird man immer wieder darauf hinweisen, dass das Fundament unseres Glaubens nicht die Bibel ist, sondern das Ereignis, das die Kirche ins Rollen gebracht hat und die dann wiederum uns das Buch geschenkt hat. Das Ereignis ist die Auferstehung unseres Herrn. Diesem Auferstandenen wollen wir begegnen und nicht einfach über ihn nachlesen. Daher komme ich zurück zum Anfang …
Tina hat die Liebe Gottes erfahren, nicht nur ein Buch darüber gelesen. Sie hat Gott spürbar wahrgenommen, nicht nur über ihn nachgedacht. Sie ist heute Christin, nicht wegen einer Vorlesung über Glaubensinhalte, auch wenn die sehr wichtig sind, auch wenn sie sich sehr viel mit den Inhalten auseinandergesetzt hat. Tina durfte Gott begegnen. Sie wurde getroffen vom „Strahl der Schönheit, das den Menschen verwundet“ und worin das eigentliche Erkennen besteht, sie wurde berührt „von der Wirklichkeit, von der persönlichen Gegenwart Christi selbst. Die Überwältigung durch die Schönheit Christi ist realere und tiefere Erkenntnis als bloße rationale Deduktion. Die Bedeutung theologischer Reflexion, genauen und sorgsamen theologischen Denken dürfen wir nicht gering schätzen – es bleibt absolut notwendig. Aber darob die Erschütterung durch die Begegnung des Herzens mit der Schönheit als wahre Weise des Erkennens zu verachten oder abzuweisen, verarmt uns und verödet Glaube wie Theologie. Diese Weise des Erkennens müssen wir wiederfinden – das ist eine dringliche Forderung dieser Stunde“ (Benedikt XVI.)
Das wünsche ich uns allen, dass der Geist Jesu, der Heilige Geist, uns zu Pfingsten zutiefst berühre und innerlich durchtränke, um uns immer mehr in Jesus zu verwandeln. Räume zu erleben, aber auch dabei mitzumachen solche zu schaffen, sodass Begegnung mit dem Herrn stattfinden und zu einer Beziehung führen kann, die immer stärker und tiefer wird, das wünsche ich uns allen!
Gottes Segen und frohe Pfingsten! Komm, Heiliger Geist und erneuere das Angesicht der Erde!
P. George LC
PS: Da Benedikt XVI. öfters in diesem Beitrag zitiert wurde, habe ich nicht immer ihn als Autor genannt. Wen jemand Interesse an die Quellenangaben dafür hat, kann ich sie gerne zuschicken. Weitere Zitate von Papst Franziskus und Andere, die das Thema noch mehr untermauern, habe ich hier wegen der Länge des Beitrages nicht mehr angegeben. Auch die kann ich gerne auf Wunsch nachliefern.