Der Mensch ist ein Art „Schalenwesen“. Wobei sich beim Menschen nicht nur eine Schale, sondern viele Schalen finden lassen: viele Schalen, aber ein Mensch. Der Mensch hat Instinkte, Tendenzen, Verlangen und Sehnsüchte. Ihnen ist eines gemeinsam: Sie ziehen und bewegen dadurch einen Menschen, etwas zu tun oder zu unterlassen. An diesen auf unterschiedlichen Ebenen unseres Daseins anzutreffenden Anziehungskräften erkennt man, wo die Sehnsucht nach der Berufung überhaupt anzusiedeln ist.

Instinkte

Jeder Mensch schützt instinktiv sein Leben. Niemand stürzt sich von hohen Gebäuden hinunter – es sei denn, man liebt Bungee Jumping. Fachkundige tendieren stark dazu, sich in Sicherheit zu bringen, wenn ein wütender Elefant mit seinen Ohren zu wackeln beginnt – das Zeichen dafür, dass er über jemandes Gegenwart hochunzufrieden ist und ihn ins Visier genommen hat.

Vorlieben

Eine andere Ebene von Grundtendenzen könnte man Vorlieben nennen. Zum Beispiel: Ich habe eine Vorliebe für Ahornsirup auf Pfannkuchen (alle, die das in ihrem Leben noch nicht gekostet haben, wissen nicht, was sie verpasst haben!), andere für eine Schokocreme, oder jemand steht eher auf Erdnussbutter, Honig und Erdbeermarmelade. Wenn aber meine Vorliebe dem Ahornsirup gilt, dann werde ich beim Einkaufen die Erdnussbutter stehen lassen. Vorlieben beeinflussen Handlungen.

Emotionen

Auf der emotionalen Ebene gibt es Gefühle wie Hass, Liebe, Wohlwollen usw. Man kann eine Antipathie oder sogar Hass gegenüber jemandem spüren, sodass einem die Haare zu Berge stehen und das Gesicht rot wird, und zwar schon dann, wenn man eine Person nur sieht oder sich in ihrer Gegenwart aufhält.

Das Gegenteil geschieht natürlich auch: Die Gegenwart eines anderen kann ein sehr angenehmes Gefühl hervorrufen, was bewirkt, dass man diesem Menschen gern zuhört und ihm freundlich begegnet. Es geht hier also um die Ebene der Gefühle, die sich jeweils verschieden auswirken können. Diese emotionalen Tendenzen haben einen gemeinsamen Nenner: Sie rufen Reaktionen hervor, die durch einen bestimmten Wert oder Anti-Wert ausgelöst werden und wahrnehmbar sind. Das heißt, man kann nichts dafür, dass einem diese emotionale Erfahrung widerfährt.

Sehnsüchte auf der Willensebene

Die Sehnsüchte auf der Willensebene werden auf einem anderen Niveau empfunden. Das betrifft die Fähigkeit des Menschen, direkt Stellung gegenüber einer Emotion oder einem inneren Instinkt zu beziehen. Hier geht es vor allem auch um den Bereich der Tugenden.

Hier einige Beispiele: Ein Feuerwehrmann kann in ein brennendes Haus laufen, um ein Kind zu retten, wobei er sich sicher des Risikos bewusst ist. – Die Haare stehen einem zu Berge, weil man einer bestimmten Person begegnet ist, aber man weiß, dass es jetzt nicht richtig wäre, diesem Menschen eine Ohrfeige zu geben. Durch die Selbstbeherrschung ist man fähig, sich der durch Anti- oder Sympathie ausgelösten Emotion zu stellen. Man kann zwar eine große Vorliebe für Ahornsirup, Pfannkuchen und Schlagobers haben, aber wenn jemand heute schon den zehnten Pfannkuchen verschlungen hat, hilft die Tugend des Maßes dabei, nicht noch den elften oder zwölften hineinzustopfen. Die Sehnsüchte auf der Willensebene richten sich natürlich nicht von sich aus gegen die Instinkte oder gegen die Emotionen. Aber die Tugenden helfen dabei, die Instinkte und Emotionen vom Verstand und Willen her nach den eigentlichen Zielen auszurichten und zu ordnen. Vielleicht fällt es uns schwer, über eine Sehnsucht des Willens zu sprechen, weil er zusammen mit der Vernunft über der Emotions- und Gefühlsebene steht. Dazu zwei Bemerkungen: Erstens sollte man Wille und Verstand nicht als völlig losgekoppelt von den Gefühlen usw. darstellen. Denn der Mensch, der fühlt, spürt, Emotionen empfindet, denkt und entscheidet, tritt immer als ein und derselbe auf. Der Wille reicht in die Gefühls- und Emotionsebene hinab und macht sich die Gefühle oder Emotionen zu eigen. Zweitens gibt es in uns verschiedene Regungen des Geistes, die tiefer liegen als reine Emotionen. So spürt man zum Beispiel geistige Freuden – wie in der gefühlsmäßig schmerzhaften Hingabe an einen Geliebten.

Was hat das jetzt aber alles mit der Berufungsfrage zu tun? Darauf werden wir beim nächsten Blog zum Thema Berufung ausführlich eingehen. Für heute möchte ich vor allem dies festhalten:

1. Es gibt eine Hierarchie der Sehnsüchte. Eine Sehnsucht auf der Willensebene hat einen anderen Stellenwert, als ein Instinkt oder eine Vorliebe.

2. Es kann einen Konflikt zwischen den unterschiedlichen Sehnsüchten kommen. Eine emotionale Reaktion – wie zB der brennende Wunsch, Peter ein blaues Auge zu verleihen, verlangt die Integration in eine höhere Sehnsucht, wie zB die Nächstenliebe leben zu wollen.

Diese Serie “Wohin? Finde deine Berufung!” entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC mit dem gleichnamigen Titel, mehr auf www.wohinberufung.com

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