Das Gewissen – Ort der Entscheidung

Da die Entscheidung der Berufung zu folgen über das Gewissen läuft, ist es notwendig, dass dieses Gewissen funktionstüchtig ist. Auch hier gilt es, zwischen einem momentanen Stand der Dinge und einem strukturellen Verhalten zu unterscheiden. Doch müssen gravierende Verformungen des Gewissens, auch wenn sie nicht strukturell sind, überwunden werden, bevor man einen lebenslangen Schritt wagen kann.

Ein paar Beispiele:

  1. Das heuchlerische Gewissen. Hier wird ein Bild von sich selbst präsentiert, das nicht mit dem übereinstimmt, was man in Wirklichkeit ist. Der Wert einer Sache wird davon abhängig gemacht, ob man dadurch ins Rampenlicht gestellt wird oder nicht. So jemand wird, wenn er zum Beispiel aus einem tiefreligiösen Umfeld kommt, womöglich ins Priesterseminar gehen, weil es in seinem Umfeld als positiv bewertet wird, nicht aber, weil er davon innerlich überzeugt ist. Er würde es tun, weil er den Erwartungen von Verwandten oder Freunden entsprechen oder jemanden nicht enttäuschen will.
  2. Das von Skrupel befallene Gewissen. So ein Mensch sieht überall Sünde, auch dort, wo es keine gibt. Hier geht es um Haarspalterei und Perfektionismus, aber nicht um den Willen des Herrn, weil man nach Selbstbestätigung sucht. Man läuft hier Gefahr, eine Entscheidung aus Angst zu treffen, weil man meint, sich sonst zu versündigen. Oder man trifft überhaupt keine Entscheidung, aus Angst, einen Fehler zu begehen.
  3. Das pharisäische Gewissen. Dieses Gewissen legt sich die moralische Wertigkeit der Dinge so zurecht, wie es den eigenen Wünschen entspricht. So passiert es oft, dass der Maßstab, ob etwas getan oder unterlassen werden soll, einfach die eigene Willkür ist.
  4. Das gefühlsbetonte Gewissen. Hier wird die Wertigkeit der Dinge davon abhängig gemacht, ob das eigene Wohlgefühl gefördert wird oder nicht. Alles, was Opfer bedeuten könnte, wird systematisch vermieden.
  5. Das eingeschlafene Gewissen. Durch sündige Gewohnheiten ist es nicht mehr in der Lage, Schlechtes als solches erkennen zu können. Gutes und Schlechtes vermischen sich, und dem, was Gott böse nennt, wird doch etwas Gutes abgewonnen und das, was Gott gut nennt, wird als böse betrachtet. Das laxe Gewissen ist davon gekennzeichnet, dass es Verfehlungen, die objektiv gesehen echte Verfehlungen bzw. Sünden sind, nicht mehr als solche zu erkennen vermag. Es ist nicht so, dass das laxe Gewissen ohne moralische Vorstellungen wäre, nur diese erheben keinen hohen Anspruch.

Zwei weitere seelische Eigenschaften die wichtig sind:

  1. Unabhängigkeit vom Gruppenzwang. Natürlich kann man auch hier verschiedene Grade der Abhängigkeit unterscheiden. Aber jemand, der von der Gruppe gelebt wird, wird sich schwer tun, eine Entscheidung zu treffen, die konträr zur allgemeinen Meinung steht: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34).
  2. Emotionale Stabilität. Tendenz zu Depressionen, überschwänglicher Optimismus, starke emotionale Höhen und Tiefenflüge sollten mit Hilfe Dritter von außen gut eingeschätzt werden, um zu sehen, ob die notwendige emotionale Stabilität vorhanden ist oder erreicht werden kann. Es handelt sich auch hierbei nicht um eine moralische Bewertung.

Reife, die dem jeweiligen Alter entspricht

Nach der Beurteilung der geistig-psychischen Gesundheit gilt das Augenmerk der Reife des Menschen, die dem jeweiligen Alter entsprechen soll. Wenn jemand mit 24 Jahren die Psyche eines Zwölfjährigen hat – unabhängig davon, ob selbst verschuldet oder nicht –, kann er weder in ein Kloster oder Priesterseminar eintreten noch heiraten. Es fehlt die innere Reife. Auch der Stand der Glaubensreife sollte geprüft werden. Zum Beispiel: Normalerweise erlaubt es die Kirche nicht, dass jemand, der sich erst vor kurzem bekehrt hat, in ein Kloster oder Priesterseminar eintritt. Wieso? Kann ein Bekehrter keine Berufung haben? Natürlich kann er das. Aber mit dem Abwarten bezweckt man vor allem zweierlei: Erstens will man sehen, ob die Bekehrung stabil ist, ob sie hält. Zweitens will man prüfen, ob die Berufung einfach nur eine getarnte Bekehrung ist, das heißt, ob die Begeisterung für den neu gefundenen Glauben durch Berufungssymptome zum Ausdruck gebracht wird oder „nur“ eine Bekehrung vorliegt. Das braucht Geduld, eine Weile warten. Dann sieht man, ob die Berufung echt ist oder nicht. Kann man zu reif sein? Nicht wirklich, aber man kann schon zu alt sein. Die meisten Ordensgemeinschaften haben ein Alterslimit, was den Eintritt ins Kloster betrifft. Der Grund ist der, dass ein 35- oder 40-Jähriger in der Regel schon in seiner Persönlichkeit geformt und gefestigt ist. Er hat seine Gewohnheiten, seine Art und Weise die Dinge zu tun, ist es gewohnt, allein zu leben. Das erschwert das Gemeinschaftsleben. Ausnahmen gibt es natürlich. Ich erinnere mich an einen Mitbruder, der fast der Vater der anderen Novizen hätte sein können. Aber er war von seinem Temperament und von seiner Art her so flexibel und offen und außerdem noch so demütig, dass der Altersunterschied nicht wirklich ein Problem darstellte. Heute ist er ein sehr vorbildlicher Priester.

Fähigkeit zum Leben der Berufung

Ein weiterer Bereich betrifft die Fähigkeit, das auszuführen, was der Berufene in dieser Berufung tun muss, gewissermaßen seine Talente. Wenn ich auf den Mond fliegen will, brauche ich etwas mehr als ein Auto. Ich brauche ein Spaceshuttle oder eine Rakete, sonst komme ich nicht hin. Das heißt, wenn der Herr für mich ein Ziel hat, muss er mir auch die Mittel geben, um dorthin zu kommen. Zur Verdeutlichung: Wenn jemand zwei linke Hände beim Umgang mit Kindern hat, dann sollte er kein Salesianer werden, deren Haupttätigkeit die Jugendpastoral ist. Dass diese Person zwei linke Hände in der Jugendarbeit hat, ist weder positiv noch negativ. Es ist einfach eine Tatsache und damit ein Zeichen, dass er oder sie wahrscheinlich nicht diesen Weg einschlagen sollte. Wenn jemand eine sehr starke Tendenz zur Kontemplation und Betrachtung hat, in sich einen großen Drang verspürt, für andere zu beten und zu opfern, könnte das ein Zeichen sein – wenn auch nicht das einzige –, dass er oder sie eine Berufung zu einem kontemplativen Orden, zum Beispiel Karmeliten, Klarissen oder zu den Bethlehem-Schwestern haben könnte. Stichwort kontemplative Orden: Jemand, der zu einem kontemplativen Leben berufen ist, bedarf einer besonders gesunden, stabilen und ausgeglichenen Psyche. Er wird sein ganzes Leben abgeschlossen in einem Kloster mit den gleichen Menschen verbringen. In der Ehe wählt man den Partner selbst aus, im Kloster kann man seine Brüder oder Schwestern nicht auswählen. Das nicht nur auszuhalten, sondern in liebevoller Hingabe an die Mitbrüder oder Mitschwestern zu leben, ist eine sehr spezielle Berufung, für die nicht jedermann geschaffen ist.

Intellektuelle Begabung

Ein weiterer Bereich ist die intellektuelle Begabung: Jemand, der sich mit dem Lernen schwer tut, sollte wahrscheinlich kein Priester in der Gemeinschaft der Dominkaner oder einer anderen Gemeinschaft werden, deren Tätigkeitsbereich sich vor allem in der Lehre und im Studium befindet. Das bedeutet nicht, dass er nicht berufen ist, sein Leben Gott zu weihen, nur eventuell sollte das in einer anderen Gemeinschaft geschehen.

Es geht nicht darum zu vergleichen, was besser oder schlechter ist – nein! Jede Berufung ist eine Berufung zur Heiligkeit, zur Hingabe, zur Liebe und somit zur Fülle im Leben, aber jede nach ihrer Art.

Bild: Pixabay (Stand: 4.02.2015)