Rassismus und George Floyd. Die Welt ist empört. Zu Recht. Und empört sollte auch jeder Christ sein. Der Präsident der amerikanischen Bischofskonferenz, Erzbischof José H. Gomez, sagte dazu, es sei eine „Sünde, die zum Himmel um Gerechtigkeit schreit. Wie ist es möglich, dass in Amerika einem schwarzen Mann das Leben genommen wird, während er unerhört um Hilfe schreit und das Ganze, während es geschieht, dann auch noch aufgenommen wird?“

Zeiten ändern sich. Wenigstens würden uns Medienberichte diesen Eindruck vermitteln wollen. Das große gewaltlose, zivilrechtliche Ringen der 1960er-Jahre hat sich teilweise auf gewaltvollen Widerstand verlagert. Dass das geschehen kann, ist verständlich, aber es kann niemals die Antwort sein – und schon gar nicht die eines Christen. „Die ultimative Schwäche der Gewalt besteht darin, dass es sich um eine absteigende Spirale handelt, die genau das hervorbringt, was sie zerstören will. Anstatt das Böse zu verringern, vervielfacht sie es. Durch Gewalt können sie den Lügner ermorden, aber sie können weder die Lüge ermorden noch die Wahrheit aufrichten. Durch Gewalt können sie den Hasser ermorden, aber sie ermorden keinen Hass. Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben: Das kann nur Licht. Hass kann Hass nicht vertreiben: Das kann nur die Liebe.“ Wenn Martin Luther King jr. eines sehr klar sagte, dann war es das. Der hl. Johannes Paul II. drückte das einmal so aus: „Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Vergebung; ich werde nicht aufhören, diese Warnung denjenigen gegenüber zu wiederholen, die, aus welchen Grund auch immer, Gefühle des Hasses, einen Wunsch nach Rache oder den Willen zu zerstören nähren.“

Und doch: Das heißt nicht, dass man einfach über die derzeitige Problematik hinwegschauen darf. Es hätte gestern gewesen sein können, aber schon am 28. Februar 2002 erinnerte eine vatikanische Delegation vor den Vereinten Nationen: „Der Kampf gegen den Rassismus ist dringend. Er muss explizit und direkt erfolgen. Zu oft ist es in der Geschichte geschehen, dass unkritische Gesellschaften danebengestanden sind, während neue Zeichen des Rassismus ihren Kopf erhoben haben. Wenn wir nicht wachsam sind, können Hass und rassistische Intoleranz in jeder Gesellschaft, egal wie fortschrittlich diese sich versteht, erneut erscheinen.“

Übertriebene Reaktionen auf den Rassismus?

Vielleicht, sagst du: Gut, aber jetzt bitte nicht übertreiben! Das ist USA, das tangiert uns doch nicht. Wir haben jetzt ganz andere Probleme. Ich möchte das Gegenteil vorschlagen, dass wir nicht weniger darauf hinschauen sollen, sondern noch genauer. Denn die Dynamik, die sich dort abspielt, ist uns nicht so fern, wie man das vielleicht zu vermuten scheint. „Der Kampf gegen den Rassismus bedarf eines gemeinsamen internationalen Programms. Aber der Kampf gegen den Rassismus beginnt im Herzen eines jeden von uns.“ (Vatikanische Delegation vor den Vereinten Nationen, 28. Februar 2002) Wie schaue ich auf mein Gegenüber? Wie sehr lässt man verachtende Gedanken über andere Menschen zu? Wie oft spricht man sie sogar aus? „Die ist ja ganz nett, aber …“ Wie oft wenden sich Menschen vom Glauben ab, weil sie von Christen nicht als Menschen behandelt werden, sondern als Probleme, die man lösen muss, als Versuchskaninchen für die eigenen Glaubensverteidigungsreden. Geht es um den anderen Menschen oder darum, wer hier besser diskutieren kann?

Rassismus und Identitätssuche

Eine der größeren Gefahren in diesem Bereich besteht in der Tendenz, die eigene Identität in der Zugehörigkeit zur Gruppe schaffen zu wollen. Man definiert sich anhand dessen, was man nicht ist. Ich bin nicht so wie die da drüben. Es ist eine Suche nach Sicherheit. Der andere in seinem Anderssein macht mir Angst. Er hält mir ein Spiegel vor und zeigt mir die eigene Unzulänglichkeit, die eigene Verletzlichkeit, die eigene Unsicherheit. Und da ist die Tendenz entweder Flucht oder Kampf. Man tut so, als wäre der andere gar nicht da oder man versucht ihn zu zerstören (oder gegen diesen Menschen oder diese Gruppe zu arbeiten oder wenigstens schlecht über ihn/sie zu reden).

Und das hat durchaus Auswirkungen auf unsere eigenen Gemeinschaften und Gemeinden. Ungesund wird das mit der Gemeinschaft dann, wenn wir uns mit lauter Leuten umgeben, die uns nichts mehr sagen, außer: „Du bist gut und ich bin gut.“ Man fühlt sich wohl miteinander. Man hat dieselben Interessen, man bestätigt im anderen die guten Eigenschaften, die man bei sich selbst vorfindet. Hier geschieht erstens null Wachstum und zweitens werden mich andere, die eben anders sind, daran erinnern, was ich nicht habe oder bin, eher als „Feind“ einstufen. Das zu ändern bedarf der Demut (man denke an den Pharisäer und den Zöllner), sich selbst als eine Mischung aus Dunkel und Licht anzuerkennen, um nicht dann den Rest der Welt in „die Guten“ (zu denen man sich natürlich selbst und die eigene Gruppe zählt) und „die Bösen“ einzuteilen.

Wenn man sich über die eigene Identität in Christus im Klaren ist, dann wird man auch kein Problem mit dem Kontakt-Treten mit anderen Wirklichkeiten, die vielleicht sehr unterschiedlich zu den eigenen gewohnten sind, haben. Das wird nicht gleich zum Verlust der eigenen Identität führen. Im Gegenteil. Die Bejahung der eigenen Identität in Jesus Christus nennen wir Christen „Glaube.“ In dieser Identität gibt es „weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau“ (Gal 3,24-28), weil wir wirklich sagen können, „ihr seid alle eins in Christus Jesus.“ (ibid) Das ist schon jetzt Wirklichkeit durch die Taufe und die Berufung eines jeden Menschen, ob getauft oder nicht. Es geht eben darum, der Leidenschaft Gottes für die Welt, die Jesus Christus heißt, zu erlauben, durch sich selbst zu den Mitmenschen zu gelangen. Egal, wer das sein mag. Und da geht es an erster Stelle um einen Blick der Liebe, der viel tiefer sehen kann als alles, was einen stört und sogar nicht konform oder konträr zu den eigenen Wertvorstellungen ist. Die Person zu bejahen heißt nicht, alles zu bejahen, was sie tut. Aber zuerst muss sie Liebe erfahren. Jesus hat der Ehebrecherin in Johannes 8 nicht zuerst vorgeworfen, was sie alles falsch macht. Er hat sie nicht verurteilt. Er hat sie geliebt. Zuerst kam „ich verurteile dich nicht“ und als sie das verstanden hatte, konnte er hinzufügen: „Jetzt geh und sündige nicht mehr.“ Es ist, was Papst Franziskus meint, wenn er sagt: nicht zuerst Moral und dann Katechese und dann das Kerygma (der Kern des Evangeliums: die Erlösung durch die rettende Liebe Gottes), sondern andersrum. Zuerst das Kerygma, dann die Katechese, dann die Moral.

Rassismus und politische Polarisierung des Glaubens

Ein Letztes. Es gibt eine interessante Idee, die ich in dieser Klarheit zuerst von Timothy Keller gehört habe. Politische Polarisierung ist eine der größten Herausforderungen für die Kirche heute. Ein Christ und eine Gemeinde, die die Bibel ernst nehmen, also wirklich Christen sein und nicht nur heißen wollen, werden sich gleichermaßen auf vier Themen eingeschworen haben. Erstens. Sie werden sich voll und ganz der Rassengerechtigkeit verschrieben haben. Als Abbild Gottes sind alle Menschen von derselben Würde. Jegliche Form von Diskriminierung anhand rassistischer Überlegungen ist verwerflich und zu bekämpfen. Zweitens. Sie werden sich um die Armen und die an den Rand der Gesellschaft Getriebenen kümmern. Drittens. Sie werden für das Leben stehen, Pro-Life, und zwar vom ersten Moment der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod. Viertens. Sie werden der Überzeugung sein, dass es Sex nur zwischen einem Mann und einer Frau innerhalb der Ehe geben sollte. Alle vier Punkte haben den Lifestyle der ersten Christen ausgemacht und haben die frühe Kirche charakterisiert.

Zwei dieser Punkte erscheinen als sehr „konservativ“ und zwei sehr „liberal“. Institutionell werden diese vier Punkte fast niemals kombiniert. Nirgendwo. Und das bringt enormen Druck auf die Kirche, christliche Gemeinden und Gemeinschaften, zwei von den vier Themen als Hauptfach zu nehmen und zwei eher zu vergessen oder als Nebenfach zu betrachten. Ich habe nichts gegen politische Parteien. Wir brauchen sie. Aber problematisch wird es, wenn es nur noch rote oder schwarze/türkise oder blaue oder grüne Christen und christliche Gemeinden gibt. Wie Fulton Sheen einmal sagte: Politik ist Heroin für die Religion. Ich glaube, wir dürfen deren Einfluss auf unser Denken und Verhalten nicht unterschätzen.

Gottes Segen,
P. George LC

Wenn du das Thema vertiefen möchtest, lade ich dich ein, heute Abend um 20 Uhr die Premiere der jüngsten Ausgabe unseres wöchentlichen Podcast mit dem Thema „Beziehungspodcast – Rassismus & Diskriminierung“ anzuschauen.