„Politik ist Heroin für die Religion.“ (Fulton Sheen)
Ich beobachte mit zunehmender Sorge eine Politisierung des religiösen Diskurses. Vermehrt – nicht nur, aber eben auch – aus dem „konservativen Lager“. Das zieht fatale Konsequenzen nach sich. Zuallererst untergräbt es den Wesenskern dessen, was Kirche ausmachen sollte: Mission. Hinführung der Welt in die Arme dessen, der von sich sagt: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.“ (Joh 12,32) Jesus Christus ist Gottes Umarmung der Welt. In der Kraft des Heiligen Geistes. Darum geht’s. Er will an sich und durch sich so viele Menschen wie möglich in die Arme des Vaters hineinziehen. Das ist aber nicht das, was man hört.
Politik & Religion
Konservative. Liberale. Traditionalisten. Progressive. So benennt man die Lager. Verhärtete Fronten. Jesus Christus und seine Nachfolge kommen da immer weniger vor. Vielleicht ist das alles nicht so schlimm. Denn für den Zuschauer dieser innerkirchlichen Streitereien, also für etwa 99,5 Prozent der unter 30-Jährigen dieser Stadt ist das egal – sie gehen seit langem sowieso nicht mehr in die Kirche. Ein paar alte Männer tun und sagen Dinge, die völlig irrelevant sind. Hoffentlich stirbt der Apparat möglichst bald aus! Und vielleicht hilft der Streit. Der beschleunigt ja nur den Prozess.
Ich finde die derzeitige Situation höchst problematisch. Das fängt schon mal mit der Kategorisierung selbst an. Ein Christ ist nicht konservativ oder liberal. Er ist Christ. Sein Identifikationsobjekt heißt Jesus Christus, ist nicht ein soziologischer Raum. Rückzug ins Lagerdenken ist keine christliche Kategorie. „Die Zeit ist wichtiger als der Raum“, würde Papst Franziskus sagen. Also, der Mensch ist immer wieder versucht, Räume der Sicherheit aufzubauen. Räume, in die er sich zurückziehen kann, wo er sich „sicher“ fühlt und sich gegen die „böse Welt“ da draußen, also gegen alle, die nicht im eigenen Lager sind, schützt. Man sucht die eigene Identität nicht so sehr in dem, was man ist, sondern in dem, was man nicht ist. Wir sind nicht so wie die da drüben. Und trotz Parolen wie „Liebe zur Wahrheit“ fragt man sich, wie sehr es wirklich um die Wahrheit, oder vielleicht vielmehr doch um die eigene Wahrheit geht.
Für uns Christen ist Wahrheit immer personal, also hat sie mit dem zu tun, der sich „die Wahrheit“ nennt. Er ist das Kriterium aller Dinge. Die Versuchung ist subtil. Ich habe nämlich nicht die Wahrheit, sondern die Wahrheit hat mich. Nicht ich habe sie ein für alle Mal, sondern Jesus Christus ist sie, ein für alle Mal. Und es wird immer wieder eine Herausforderung sein, sich selbst, das eigene Hier und Jetzt, unter diese Wahrheit zu stellen, die er ist. Wir laufen immer wieder Gefahr, aus ihr herauszufallen oder uns selbst herauszustellen. Und das verlangt eine gute Portion an Demut. Es verlangt die Bereitschaft, sich auch immer wieder mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen und sich darauf einzulassen. Es ist nicht einmal damit getan, indem man schnell jemand eine Etikette aufklebt und einem gewissen Lager zuordnet. Das ist zwar einfacher, weil man dann nicht mehr denken muss und vor allem ein Sich-wirklich-Einlassen auf den anderen vermeiden kann. Dann muss man die Wahrheitsfrage gar nicht mehr stellen, sondern nur laut genug schreien. Hier gibt es keine Hermeneutik des Wohlwollens, kein Verstehenwollen, was er/sie denn wirklich gesagt und gemeint hat, sondern nur noch ein Urteilen gemäß dem soziologischen Raum, dem der „andere“ zuzuordnen ist.
Letzteres Phänomen wird dadurch akzentuiert, dass die neuen Medien auf einmal Plattformen anbieten, auf denen Menschen vielleicht lautstark ihre Meinung vertreten, nicht unbedingt aber die nötige Unterscheidung mitbringen, um eine echte Auseinandersetzung mit den Dingen zu gewähren. Ein Beispiel: Vor einer Woche erklärte ein amerikanischer Podcaster mit über 100.000 Followern die Wurzel des modernen Übels, das in der „Nouvelle Théologique“ der 1940er-Jahre zu suchen sei. Was die „Nouvelle Théologique“ eigentlich ist, wird oberflächlich und undifferenziert behandelt, zugleich aber mit einer Aura von Gelehrtheit versehen. In diesem „Raum“ wird dann eine Plethora (Überfülle) von Leuten hineingesperrt und verurteilt: allen voran Henri de Lubac, aber auch Karl Rahner, Josef Ratzinger, Hl. Johannes Paul II., Hans Urs von Balthasar, Hl. Johannes XXIII., Hl. Paul VI., Pierre Teilhard de Chardin, Edward Schillebeeckx, Yves Congar, Jean Daniélou, Marie-Dominique Chenu usw. Und weil die ja angeblich alle demselben Lager angehören, wollen sie ja sicher genau das Gleiche – egal, wie unterschiedlich deren Aussagen gewesen sind.
Ich finde das schade und extrem gefährlich für eine Kirche, die heute den Auftrag hat, Jesus glaubwürdig vor den Menschen zu bezeugen. Es werden auf einmal lauter kleine Parallel-Lehrämter von selbsternannten Gurus errichtet, die genau den gleichen Fehler ihrer Gegner machen, die sie kritisieren: Sich selbst als das Kriterium der Wahrheit in den Raum zu stellen. Es war aber schon immer die katholische Intuition, dass die authentische Auslegung der Heiligen Schrift und der kirchlichen Lehre selbst in ihrer letzten Instanz dem kirchlichen Lehramt obliegen, und nicht einfach jedem einzelnen. Es geht um ein Charisma, eine Geistesgabe, zur Bewahrung der Einheit, das sicherstellen soll, dass das, was wir heute glauben, noch mit dem, was vor 2000 Jahren geschehen ist, irgendetwas zu tun hat. Romano Guardini drückte das einmal so aus: „Warum brauchen wir eine Kirche? Sodass nicht jedes Mal, wenn jemand das Wort ‚Gott‘ in den Mund nimmt, nicht nur einfach sich selbst meint.“ Oder Paulus: „Falls ich aber länger ausbleibe, sollst du wissen, wie man sich im Hauswesen Gottes verhalten muss, das heißt in der Kirche des lebendigen Gottes, die die Säule und das Fundament der Wahrheit ist.“ (1 Tim 3,15)
Festungskatholizismus
Ein Extrembeispiel dieser Tendenz war meines Erachtens Erzbischof Marcel Lefebvre und die von ihm gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. Er wäre nicht der Erste, der gesagt hätte, dass er an den „Dogmen“ der Kirche festhalte. Doch in der Praxis wurde gerade eines dieser Dogmen verneint: die in ihren Wesenszügen unveränderbare Kirche („Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ (Mt 16,18)), und zwar auf den Säulen, auf denen sie aufgebaut ist: Lehre, Sakramentenordnung, Apostolizität, Rechtsordnung. Das ist kein Nebenschauplatz. Eine praktische Verneinung in der Kontinuität dieser Säulen und sie gleichzeitig irgendwie aufrechterhalten zu wollen, führt ins Sektierertum: Kommt zu uns, die Dinge gibt’s sonst nirgendwo mehr!
Lehre: Der „neue“ Weltkatechismus der katholischen Kirche, der von Papst Johannes Paul II. promulgiert wurde, sei gemäß der Bruderschaft zwar nicht völlig schlecht, aber in einigen Punkten für den Glauben gefährlich, deswegen wäre es besser, den Katechismus zum Beispiel vom Konzil von Trient herzunehmen.
Sakramentenordnung. Ich kannte persönlich viele, die von der Piusbruderschaft wieder gefirmt wurden, weil sie Zweifel gehabt hatten, ob eine Firmung, die nicht mit Olivenöl vollzogen wurde, gültig sein könnte. Ich kannte auch einen Priester, den sie „wieder geweiht“ haben, weil er von Papst Johannes Paul II. zum Priester geweiht wurde. Da aber Johannes Paul ein Modernist ist, war man sich nicht sicher, ob er wirklich die korrekte kirchliche Absicht hatte, als er ihn weihte. Deswegen müsse man ihn „sub conditione“ wieder weihen. Die Messe. Die „Novus ordo missae“ von 1969 sei zwar nicht ungültig, aber sie berge die Gefahr in sich, uns vom Glauben wegzuführen, daher sei es besser, von ihr fernzubleiben. Uff. Hier wird es wirklich schräg. Und dann kommt schon gleich die nächste Frage: Apostolizität. Wenn schon der Papst Priester und Bischöfe weiht, dessen Weihen nicht mehr gültig sind, bleibt die Frage offen, wie viele gültige Nachfolger der Apostel als Bischöfe wir überhaupt noch haben.
Rechtsordnung. Das Kirchenrecht, das von Papst Johannes Paul II. promulgiert wurde, sei laut Piusbrüder zwar nicht völlig irrig, aber es gebe einige Rechtsvorschriften, die nicht im Einklang mit der Lehre der Kirche stünden, deswegen sollte man vor allem das Kirchenrecht von 1917 als Orientierung beibehalten.
In vier Wesensbereichen der Kirche also verneinen die Piusbrüder das Dogma der Unveränderbarkeit. Und das ist nicht nur noch eine schismatische Tendenz, sondern eine häretische. Dazu kommt für sie das Problem, dass in den von ihnen genutzten Texten der Fundamentaltheologie die Heiligsprechung als „unfehlbar“ gilt. Wie sie das dann noch mit der Heiligsprechung des „Modernisten“ Johannes Paul II. vereinbaren, sei dahingestellt. Die Bezeichnung „Häretiker“ ist zwar einigen „Liberalen“ vielleicht völlig wurscht. Aber nicht den Traditionalisten – und das ist ja das Paradoxe: Indem er krampfhaft versucht, die „Häresie“ zu vermeiden, fällt der Pius-Traditionalist genau in das hinein, was er vermeiden wollte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Piusbrüder vor der Erlaubnis von Papst Franziskus (2015) jahrelang Beichte gehört und Hochzeiten gefeiert haben, ohne jegliche kirchliche Erlaubnisse dafür gehabt zu haben. Als Kirchenrechtler werden sie wissen, dass dies äußerst problematisch ist – weil es nicht nur ein Problem der Rechtswidrigkeit ist, sondern auch wegen der mangelnden Jurisdiktion ein Fragezeichen zur Gültigkeit dieser gespendeten Sakramente gesetzt wurde. Es werden dann intellektuelle Rückwärtssaltos ausgeführt, um das alles zu rechtfertigen, was sie aber in genau den Rationalismus hineinstürzt, den sie zu bekämpfen behaupten. Oft sind die Extreme einander näher als zur Wahrheit.
Ich finde das so jammerschade, weil es gut gewillte Leute gibt, die vielleicht in der Praxis nicht so weit gehen würden wie die Bruderschaft Pius X., aber sehr wohl vom Denkmuster ähnlich auf die Welt schauen. Festungskatholizismus. Ich möchte davor warnen. Unsere Berufung als Christen besteht nicht darin, uns in unsere Burg zurückzuziehen und auf jeden zu schießen, der uns zu nahekommt und nicht ganz unsere Sprache spricht. Unsere Berufung besteht nicht darin, danach Ausschau zu halten, wo es noch einen Skandal in der Kirche gibt und wo wir Freimaurer in hohen kirchlichen Positionen entdecken können und was der Papst schon wieder falsch gemacht hat. Ich habe den Eindruck, manche leben davon, schlechte Nachrichten zu finden und zu verbreiten – und dann nennen sie das auch noch Treue zur katholischen Kirche. Schade. Und die Mission? Die Menschen zu Gott zu führen? Verkünder der frohen Botschaft zu sein? Wenn man nur die Hälfte dieser Zeit und Energie nutzen würde, um wirklich Menschen zum Herrn zu führen, Gebet und Caritas zu leben, zu evangelisieren und andere im Glauben zu bestärken, wirklich aus der eigenen Identität zu leben und nicht die eigene Identität schöpfen aus dem, was andere falsch machen, dann wäre schon viel gewonnen.
Schritte nach vorne wagen
Hier ein paar Vorschläge, wie man vorangehen kann:
- Jesus Christus in den Mittelpunkt stellen.
Eine der Errungenschaften des Glaubens und der daraus entstehenden westlichen Kultur war die, die Souveränität des Individuums zu unterstreichen. Der einzelne Mensch ist verantwortlich für sein eigenes Handeln. Nicht das Kollektiv. Nicht der Papa. Nicht die Freunde. Ich. Die Souveränität und damit die Verantwortung dem Kollektiv, der Gruppe, dem Lager zuzuschreiben, führt leicht ins Verfolgen politischer Interessen und dem Schaffen ideologischer Züge, auf die man dann aufspringen soll. Ethische und religiöse Redlichkeit hängt dann davon ab, welchem Lager man angehört, nicht mehr vorrangig vom eigenen Tun.
Es ist aber eine weitere katholische Intuition, dass es nicht an erster Stelle um die Änderung von Strukturen oder Zugehörigkeit zu einer oder der anderen Gruppe geht, sondern um die Bekehrung der Herzen – vor allem dem eigenen. Das ändert dann auch Strukturen, lässt Gruppierungen gesunden und Sektierertum vermeiden. Den eigenen Stall aufräumen, bevor versucht wird, die Welt zu verändern. Dann wird man auch beginnen können, die Welt zu verändern. „Was werden sie groß in der Welt verändern?“, fragte ein Journalist Mutter Teresa. Sie antwortete: „Sie können sich ändern. Ich kann mich ändern. Dann sind wir schon mal zwei.“ „Nicht: Es muss sich etwas ändern. Sondern: Ich muss etwas tun“ wird dem Willi Graf (Widerstandsgruppe „Weiße Rose“; eine Voruntersuchung zur Seligsprechung läuft) zugeschrieben.
Heilige braucht das Land. Das sollte unser allererster Fokus sein. Oder anders: Jesus Christus müssen wir ins Zentrum rücken. Aber nicht irgendwie. Sondern bei mir. Er muss das Zentrum meines Universums werden. Die Begegnung und die Beziehung mit ihm, die Nachahmung seiner Tugenden. Dem Leben aus seiner Gnade in mir Raum schenken, die Beschäftigung mit seinem Wort, das Leben aus seinen Sakramenten. Die Leidenschaft für das, was auch seine Leidenschaft ist: Der Mensch, der vor der Tür meines Herzens steht und Hilfe, Trost, Ermutigung, Ermahnung, Inspiration, Rat, Stärkung bedarf. Die Überbeschäftigung mit Problemen am Ende der Welt, die ich außer durch Gebet sowieso nicht beeinflussen kann, lenkt von der eigentlichen Aufgabe ab. Das Durchschlagspotenzial des Einzelnen wird untergraben, weil er am Ende nichts zu Hause tut, und nichts tun kann, um die Probleme der Ferne zu lösen, zugleich aber den Eindruck gewinnt, er würde sich mit sehr Wichtigem beschäftigen. Eine subtile, aber höllische Versuchung. Und das meine ich ganz wortwörtlich, weil es eine Eigenschaft der Hölle ist, den Menschen zu vernichten, also ins Nichts zu führen, indem er sich mit dem Nichts beschäftigt und dabei denkt, er mache oder habe alles.
- Eine Hermeneutik des Wohlwollens.
Die Idee stammt vom Passauer Bischof Stefan Oster: „Ich möchte dem anderen, auch dem Gesprächspartner in der Kirche, der anders denkt als ich, immer zuerst einmal unterstellen, dass auch er etwas Gutes und Richtiges will für die Kirche – und womöglich auch, dass er etwas Richtiges sieht, was ich selbst noch gar nicht sehe.“ Und das würde ich gerade „konservativen“ Katholiken ans Herz legen, wenn sie über Papst Franziskus sprechen. Ich wenigstens habe noch nie ein Dokument von ihm gelesen, wo er etwas gesagt hätte, das nicht mit der Lehre der Kirche übereinstimmen würde. Natürlich kann man alles verdrehen. Und wenn man schon mal voraussetzt, dass er eh ein „Häretiker“ sei, der die Kirche „zerstören“ wolle, dann wird man es schaffen, seine Aussagen auch so auszulegen. Der Papst sollte aber so sprechen, dass man es nicht falsch auslegen kann. Ach so? Echt jetzt? Dann hätten wir heute keine Bibel und Jesus hätte seinen Mund halten sollen.
Das will nicht sagen, dass ich jedes Mal, wenn der Papst (oder sonst irgendjemand) seinen Mund aufmacht, Ja und Amen sagen muss. Das sagt er übrigens von sich selbst: Er sei Latino und rede zuerst und denke nachher. Vor kurzem meinte er, dass ihm Kritik zur Selbstreflexion helfe. Es gibt die Tugend der brüderlichen Zurechtweisung. Papst Benedikt hat eine ganze Fastenzeit diesem Thema gewidmet. Und die brüderliche Zurechtweisung gilt allen, auch dem Papst. Denken wir an die Kritik, die Paulus an Petrus geübt hat. Und zugleich würde ich im Licht dessen, was ich oben gesagt habe, bevor ich kritisiere, erst mal sehr vorsichtig sein und die Fakten auf dem Tisch haben und dann auch gut überlegen wollen, wie ich die Zurechtweisung ausübe. Vor Jahren wurde zum Beispiel dem Hl. Papst Johannes Paul II. wegen des Assisi Friedenstreffens von traditionalistischen Kreisen vorgeworfen, eine der „größten Blasphemien der Kirchengeschichte“ hervorgerufen zu haben. Heute würden wir das ein wenig differenzierter sehen. Vielleicht kann man einzelne Handlungen eines Johannes Paul II. kritisieren, aber ein Synkretist – der behauptet, Jesus sei egal und glaube, was du willst, denn wir kommen eh alle in den Himmel – war er definitiv nicht.
Übrigens. Brüderliche Zurechtweisung am Papst ausüben, indem ich meiner nicht gläubigen Nachbarin davon erzähle, gilt nicht. Brüderliche Zurechtweisung, in der ich meinen Freund über die Vergehen des Bischofs aus einem Land am anderen Ende der Erde aufkläre, dessen wirkliche Aussagen und Kontext nicht gerade leicht zu überprüfen sind, auch nicht. Man ist natürlich frei zu tun, was man will, aber brüderliche Zurechtweisung ist das nicht. Üble Nachrede, wenn es nicht stimmt, schon. Und wenn es stimmt: Schmälerung des guten Rufes des anderen vor einem, der keinerlei Möglichkeit hat, irgendetwas dazu zu tun und vielleicht mit dem schönen Resultat, dass er noch weniger mit der Kirche zu tun haben will als vorher. Ich möchte nicht behaupten, dass man niemandem und niemals etwas sagen kann. Ich möchte nur behaupten, dass das Ding nicht so einfach ist und ich den Eindruck habe, dass man allgemein viel zu locker mit seiner Zunge ist. Eine Lektüre des Jakobusbrief 3 könnte hier vielleicht helfen.
Ein Beispiel. Ich würde vielleicht nicht mit allem übereinstimmen, was ein Bischof Erwin Kräutler aus Brasilien zu sagen hat. Aber ich würde ihn auch nicht gleich als den Teufel in Person darstellen. Einige seiner Aussagen sind wunderschön, zum Beispiel: „Liebe, was heißt das heute für mich? Das heißt Einsatz, totaler Einsatz, Einsatz des ganzen Lebens für meine Aufgabe, für Gott, für Christus, der sich mit den Armen identifiziert, also auch Einsatz für die Menschen – in Liebe. Da ist das Gebet, die Meditation der Heiligen Schrift, die ganze kontemplative Dimension, geboren aus jener mythischen Tiefe, die jeder Mensch haben muss, wenn er nicht leer bleiben will. Das alles ist Liebe.“
In letzter Zeit kursiert in „konservativen“ Kreisen eine Aussage, dass er noch niemals einen Indio getauft habe und es auch nicht vorhabe. Diese Aussage stimmt nicht, außerdem hat er sie selbst vehement negiert, er hat schon Tausende von Indios selbst getauft, wie man nachprüfen kann, wenn man näher hinschaut. Da fragt man sich schon, welche Mittel angewendet werden, um die eigene Position voranzubringen. Das schmeckt dann auch nicht mehr nach ehrlichem Ringen um die Wahrheit, sondern nach Ideologie und Manipulation.
- Fokus auf Mission.
Welcher der drei aktuellen Päpste ist der wahre Papst? Es ist Juli 1429. Die Hl. Jeanne d’Arc hatte mit ihren 17 Jahren gerade maßgeblich dazu beigetragen, Orleans von den Engländern zu befreien. Der französische Hochadel begann daran zu glauben, dass sie vielleicht doch keine Verrückte oder Hexe war und begann ihre Nähe und ihren Rat zu suchen. Der Graf von Armagnac schickte ihr die anfangs zitierte Frage. Ihre Antwort: Bei Gelegenheit würde sie dazu Stellung nehmen wollen, momentan habe sie aber Wichtigeres zu tun. Genialer hätte die Antwort kaum ausfallen können. Momentan habe ich Wichtigeres zu tun. Wir können nicht die gesamten Probleme der Welt oder der Kirche lösen. Wir können aber uns sehr wohl fragen, was unsere Aufgabe ist, was MEINE Mission ist. Was kann ich beitragen?
Wie schön ist es, wenn Menschen, die mit uns in Kontakt kommen, durch uns etwas mehr von der Liebe des himmlischen Vaters erfahren dürfen. Wie beeindruckend ist es, wenn jemand einem authentischen Christen begegnet. Wenn er wegen dieser Begegnung sagen kann: „Ich habe durch diesen Menschen etwas besser verstanden, wer Christus ist, weil dieser Christ mir etwas vom Angesicht Gottes gezeigt hat, durch ihn durfte ich Gott selbst tiefer erfahren.“ Wie schade ist es hingegen, wenn Menschen uns sehen und sich denken: „Das ist derjenige, der meine Abscheu gegenüber der Kirche verstärkt hat, der mir gezeigt hat, was es für Skandale gibt, wie furchtbar in diesem alten Männerhaufen alles abläuft, der mich noch mehr davon überzeugt hat, dass das ganze Ding eigentlich abgeschafft gehört.“
Jesus Christus hat nicht gesagt, „geht in die ganze Welt hinaus und verkündet allen Menschen die jüngsten Skandale der katholischen Kirche“, sondern „geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern …“ (Mt 28,19) Wenn ich vor Gott stehe, wird er mich nicht fragen, ob ich über die schmutzige Wäsche der gegenwärtigen Kirchgänger oder die Amtsträger Bescheid weiß, sondern ob ich selbst die Hungernden gespeist habe, die Nackten bekleidet habe, die Gefangenen besucht habe, den Obdachlosen eine Heimat angeboten habe, die Kranken gepflegt habe. (vgl. Mt 25)
„Eine Gemeinschaft wird dann zur Einheit und bekommt eine Ausstrahlung, wenn alle Mitglieder von einem Gefühl der Dringlichkeit erfüllt sind. Es gibt heute einfach zu viele Menschen ohne Hoffnung, zu viele ungehörte Schreie, zu viele, die allein sterben. Werden die Mitglieder der Gemeinschaft sich bewusst, dass sie nicht nur für sich selbst da sind, sondern um die Gaben Gottes anzunehmen und weiterzugeben, um den Hunger und den Durst der Menschen zu stillen, dann werden sie auch echte Gemeinschaft leben.“ Das sagte Jean Vanier vor einzelnen Gemeinschaften innerhalb der Kirche, aber es trifft auch auf die Kirche als solche zu. Wenn wir nur Nabelschau betreiben, dann werden wir krank. Spannungen wachsen. Man zerstört sich selbst. Das ist auch, so glaube ich, die tiefste Absicht von Papst Franziskus. Nicht Fokus nach innen. Sondern Fokus nach außen. Nicht Fokus auf 99 Schafe, die sicher im Stall sitzen, sondern auf das eine, das nicht mehr in der Kirche sitzt. Kirche hat keine Mission, sie ist eine Mission. Wir bedürfen dringend einer Kirche, die sich nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern mit IHM und der Welt, die sie zu evangelisieren hat.
Wir haben Wichtigeres zu tun. Hl. Jeanne d’ Arc, bitte für uns!
Gottes Segen,
P. George LC
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Titelbild: Photo by Mathew MacQuarrie on Unsplash