Nacktheit, nackt sein dürfen – heute möchte ich eine neue Serie von Blogbeiträgen zu diesen Schlüssel Thema der Theologie des Leibes beginnen. Am Anfang jedes Menschen und jeder Beziehung steht die ursprüngliche, jedem Menschen zutiefst eigene Sehnsucht nach einer Beziehung, in der er wirklich „nackt“ sein kann, wo es keine Geheimnisse gibt und auch keine geben muss, wo man niemals bloßgestellt wird, sondern sich selbst entblößen kann und will, sich verwundbar macht, sich radikal öffnet und hingibt, kurzum, wo man das Risiko der Liebe und des Vertrauens auf sich nimmt, weil man weiß, dass man nicht ausgenützt wird. Denn: nach der Gabe des eigenen Ichs wird nicht gegriffen. Man sehnt sich nach einer Beziehung, in der man nicht zur „Nacktheit“ gezwungen wird, sondern sich einfach zeigen kann, wie man ist, wer man ist, was man ist, mit der eigenen Schwäche, Gebrochenheit, aber auch Stärken, wo man einfach „ich“ sein darf.

In der Bibel heißt es, „Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.“ (Gen 2,25) Wenn der Adam und Eva Bericht auch gewissermaßen die Erfahrung, Sehnsüchte, Entscheidungen von jedem Adam und Eva (das heißt von dir und von mir) der Geschichte wiederspiegelt, dann trifft das auch hier zu. Es geht hier um eine Erfahrung des sich entblößen Könnens ohne die Taten des Anderen und nicht einmal seine Blicke oder Herzenshaltung zu fürchten, nicht einmal daran zweifeln zu müssen. Der Text will den Menschen an die Höhe seiner Berufung und seiner Fähigkeiten erinnern. Er will mut machen, inspirieren.

Jenseits der Masken

Nacktsein bedeutet die Abwesenheit der Masken, des Vormachens, des Vortäuschens. Aber Nacktheit ist nicht einfach „Abwesenheit“ all dieser Dinge. Sie geht viel tiefer. Ja, die „Kleidung“, die Masken, die Fassaden, sind weg. Doch dadurch wird gerade das Eigentliche sichtbar. Man sieht nicht mehr die Maske, sondern kommt in Berührung mit dem Menschen, mit der Person, die einem geschenkt wird und der man sich schenkt. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass diese Berührung gerade durch den Körper entsteht. Das „Haut-an-Haut“, die Berührung des Körpers, das Umfangen-Sein, das Durchdrungen-Sein, das Leiblich-„eins“-Werden ist gerade das, was die Berührung, das Umfangen-Sein, das Durchdrungen-Sein zweier Menschen, zweier Personen – in allem, was diese zwei Menschen in ihrer Leiblichkeit und ihrem Geist ausmacht – ermöglicht. Schon die Betrachtung des anderen „ohne Kleider“, der „nackt“ dasteht, ohne sich aufzudrängen und sich zeigt, sich öffnet, sich anbietet, sich dadurch verwundbar macht, deutet hin auf das Geschenk nicht nur des Leibes, sondern des ganzen Menschen, der Person als solcher. Die Nacktheit deutet hin auf die Radikalität des Geschenks. Das Geschenk seiner selbst als ganze Person ist also deswegen möglich, weil man sich körperlich ganz schenken kann. Das körperliche Sich-Schenken trägt eine viel tiefere Botschaft in sich. Denn die Hingabe des Körpers vergegenwärtigt die Hingabe des Menschen selbst. Die Hingabe des Körpers, wenn sie wirklich nackt und ohne Masken geschieht, vergegenwärtigt die Liebe des Menschen, der sich schenkt. Hier erscheint die Wichtigkeit des Körpers und konkret die des eigenen Körpers: Menschliche Liebe wäre ohne den Körper nicht möglich. Nacktheit erlaubt die Berührung, erlaubt, dass das Sakrament (ein sichtbares Zeichen, welches das, was bezeichnet wird, nicht nur symbolisiert, sondern gegenwärtig setzt), entsteht. Durch das Körperliche wird die Liebe selbst nicht nur symbolisiert, sondern sinnfällig vergegenwärtigt. Aber weil Liebe immer mit Freiheit zu tun hat, gibt es keinen notwendigen Zusammenhang zwischen dem Zeichen und der Wirklichkeit. Nackte Berührung kann die Vergegenwärtigung der innigsten Liebe, aber auch die der tiefsten Verletzung werden.

Nacktheit bezieht sich nicht nur auf die Nacktheit des Körpers. Doch gerade im Moment des Ein-Fleisch-Werdens, der körperlichen und der „seelischen“ Nacktheit, des Völlig-offen-Seins, des Völlig-einfach-man-selbst-sein-Dürfens macht der Mensch eine Erfahrung seiner selbst – und auch des anderen, weil er vom anderen angenommen wird, umarmt wird, in die Intimsphäre, ins Herz des anderen hineingelassen wird und einfach um seiner selbst willen gewollt ist.

Masken erscheinen dann, wenn man sich selbst nicht völlig annehmen kann. Sie entstehen auch dort, wo Angst herrscht, dass man vom anderen nicht angenommen wird. Man hat Angst, dass der andere diese von der Maske versteckte Seite des eigenen Ichs nicht akzeptieren, nicht innerlich umarmen wird. Wenn zum Beispiel die Nacktheit des Körpers der Frau echt ist, wenn dieses körperliche Nacktsein von einem geistigen Nacktsein getragen ist, dann gibt sie nicht eine Maske, sondern sich selbst ganz und gar hin. Wenn auf der anderen Seite der Mann die volle Bedeutung des Nacktseins der Frau wahrnimmt, realisiert und annimmt, wenn er eben in ihrem körperlichen Nacktsein das radikale Öffnen ihrer Intimsphäre, ihres Herzens, ihr Sich-verwundbar-Machen, ihr Sich-Ausliefern, Sich-ihm-Entblößen und Ihm-ihr-Herz-Anvertrauen entdeckt, und wenn er das dann nicht ausnützt, sondern es auch wiederum nackt, ohne Masken, Vorbehalte, Vortäuschungen, Hintergedanken annimmt und in sich aufnimmt, dann beginnen beide durch diese körperliche, wirklich nackte, gegenseitige Hingabe die tiefe Bedeutung des eigenen männlichen bzw. weiblichen Körpers zu erfahren. Dieses Völlig-angenommen-Sein in der gegenseitigen Nacktheit voreinander deutet nicht einfach auf ein Fehlen einer Maske hin, sondern wird zu einer ganz neuen Erfahrung der Fülle eines „Wir“. Und das, weil beide eben ganz und nicht nur teilweise angenommen werden und weil beide sich ganz und nicht nur teilweise geben, weil beide sich einander völlig schenken – wodurch dann eine wahre Gemeinschaft von Menschen entstehen kann und nicht nur das Zusammensein zweier Körper zum Vorschein kommt.

Anders ausgedrückt: Sich vor dem anderen entkleiden, um nackte Berührung und gegenseitiges vorbehaltloses Durchdringen zuzulassen, ist genauso wie das Geschenk der Blume oder das Schlagen eines blauen Auges eine Körpersprache. Die Frage ist aber, was besagt sie konkret? Vor allem dreierlei: Kontrollverlust, Radikalität des Geschenks, Verwundbarkeit. Auf diese drei Aspekte will ich im nächsten Blogbeitrag näher eingehen. Für heute möchte die folgende Frage zum Nachdenken mitgeben. Was für Bedingungen müsste eine Beziehung haben, sodass man sich wirklich im eigentlichen aber auch im übertragenen Sinn vor den anderen Entkleiden kann, ohne irgendetwas vor dem anderen zu verbergen? Zugleich, warum wird die Nichteinhaltung dieser Bedingung IMMER, früher oder später, zu Verletzungen führen?

 

Das ist der erste von einer Serie von Beiträgen zum #TheologieDesLeibes Thema „Nacktsein“. Die Überlegungen entstammen etwas modifiziert und ergänzt aus dem von mir geschriebene Buch: „God, Sex & Soul“)

Titelbild: ©stefan weis/de.Fotolia.com