Berührungen zwischen Menschen gibt es viele. Warum ist die sexuelle so anders? Warum empfindet man sie so anders? Ich persönlich habe schon sehr enge Berührungen mit anderen Menschen erlebt. Auf dem Fußballfeld, in der Sandkiste, auf dem Spielplatz, beim Eishockey, in der Klinik, in einem Zelt bei Minusgraden in den Rockies. Blaue geschwollene Augen, Jubelumarmungen, ein Loch im Kiefer. Menschen sind mir dort sehr nahe getreten. Ich habe sogar einem Zahnarzt erlaubt, stundenlang in meinen Mund Dinge herauszubohren und mich fast zu Tode zu foltern. Aber ein Trauma hat keine dieser Berührungen hinterlassen, Unversöhntheit und gebrochene Herzen auch nicht. Trotz seiner lebensrettenden Maßnahmen und zehn Tage Krankenhausaufenthalt nach einer Vergiftung fühle ich mich mit einem gewissen Arzt nicht einmal besonders verbunden. Ja gut, dankbar natürlich schon. Aber heute kann ich mich gar nicht mehr an seinen Namen erinnern, geschweige denn daran, wie er aussah, noch krasser: Ich weiß nicht einmal mehr, ob es ein Mann oder eine Frau war. Und das entkleidete Einswerden? Warum hinterlässt das solche Spuren? Warum bringt es mitunter die stärksten Gefühle und Emotionen, die der Mensch kennt, mit sich? Was ist da aber auch soooo extrem anders? Was hat immer wieder manche Frauen sogar dazu gebracht, lieber zu sterben, als sich vergewaltigen zu lassen?

Es geht eben nicht um eine äußere, physische Haut-an-Haut-Berührung, wie wenn zwei Menschen sich die Hände schütteln. Es geht eben um eine radikale Aussage des Körpers, die radikalste, zu der der Mensch überhaupt fähig ist. „Stark wie der Tod ist die Liebe…. Böte einer für die Liebe den Reichtum seines Hauses, nur verachten würde man ihn“ (Hld 8, 6-7). Die Körpersprache einer nackten Eva (um mit der Sprache der Bibel in Gen 2,24 zu sprechen – „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander“.) will sagen:

„Ich stehe dir zur Verfügung. Ich gebe mich dir hin. Du kannst jetzt mit mir machen, was du willst. Theoretisch könntest du mich jetzt töten, du könntest mich irreparabel verletzen. Aber damit du siehst, wie radikal meine Hingabe ist, entblöße ich mich ganz vor dir.“ Nicht, dass sie glaubt, dass er sie verletzen würde, sie spricht es noch nicht einmal aus, um nichts von der unübertrefflichen grenzenlosen Hingabe wegzunehmen, sie geht einfach das Risiko ein. Sie will das Risiko eingehen. Leidenschaftlich.

Jetzt bleibt aber trotzdem die Frage, warum diese Entblößung so aussagekräftig ist. Was steckt in diesem nackten Zusammenkommen zweier Menschen? Denn die Entblößung des Zehs durch das Tragen von Sandalen sagt ja nicht dasselbe aus. Und warum wird diese Entblößung des Einswerdens mit Hingabe gleichgesetzt? Warum wird die Berührung des Mannes von der Frau beim Zusammenkommen so anders empfunden als wenn derselbe Mann als Zahnarzt bei der Arbeit im Mundbereich dieselbe Frau als Patientin sogar noch viel länger berührt? Und warum endet ein händehaltendes „Ich liebe dich“, „Ich würde alles für dich geben“ mit der nackten Berührung des Einswerdens und nicht mit Fingern im Mund? Ist es nicht deswegen, weil beide erahnen, dass sie gerade durch dieses Einswerden den Höhepunkt des „Ich würde alles für dich geben“ und „Ich liebe dich“ zum Ausdruck bringen können? Und dass dasselbe eben nicht beim „Finger im Mund“ zum Ausdruck kommt? Das heißt, dass sie die Hingabe an den anderen gar nicht stärker und aussagekräftiger sagen könnten und noch wichtiger, sogar nicht stärker zeigen könnten? Ist das nur reine Konvention? Könnte man es einfach beliebig ändern, sodass der Finger im Mund die Radikalität des Sich-Schenkens ausdrückt? Nein, eben weil es keinen inneren Zusammenhang zwischen dem Akt und der Aussage gibt. Worin besteht denn dieser innere Zusammenhang eigentlich? Und warum sagt die Körpersprache nicht nur diesen Höhepunkt der Hingabe aus, sondern ist es auch wirklich? Warum ist die Entblößung der Sexualorgane, nicht aber der Zähne, so ein radikales Geschenk für den anderen, und zugleich in manchen Fällen eine so wahnsinnige Verletzung?

Ein paar Ideen werde ich im nächsten Blogbeitrag beim Thema „Nacktheit und Kontrollverlust“ noch dazu beisteuern. Hier aber das Wesentliche: Die Antwort würde ich vor allem in dem finden, was man das „Risiko des Kindes“ nennen könnte. Denn wenn die Körpersprache nicht nur teilweise, sondern wirklich nackt ist – auch ohne Kondome oder Pillen oder Spiralen, wenn es nichts gibt, was man der Körpersprache in den Weg stellt, wenn Adam und Eva beim Mund-Kuss kein Stück Papier dazwischen schieben, sondern wirklich nackte Berührung stattfinden kann, Mund zu Mund und intimste innere und äußere physische Berührung… Was geht dann hier vor?

Eva schenkt Adam dann ja wirklich alles. Es gibt keine weiteren Karten mehr, die sie ausspielen könnte, dann ist er und nicht ein anderer eben der Vater ihres Kindes geworden. Sie kann sich dann nicht mehr für einen anderen aufheben, denn ihr Kind ist das Seine: „Du bist der Vater meines Kindes, kein anderer, erst jetzt bin ich wirklich deine Frau geworden“. Und die Möglichkeit des Kindes bedeutet sofort auch für ihn: Ich, Adam, will Verantwortung für dich und für unser gemeinsames Kind übernehmen. – Okay, vielleicht lügt er, aber wenn sie weiß, dass die Berührung nackt ist und es auch vorbehaltslos haben will, dann ist ihr in der Tiefe ihres Herzens bewusst: Dieses Ein-Fleisch-Werden sagt aus: Jetzt ist es für immer. Er will eine bleibende Beziehung. Er meint es ernst mit mir. Und er sagt mit seinem Körper in diesem Moment: „Ich will Vater deiner Kinder werden. Ich will dein Mann sein, in guten und in schlechten Zeiten, in Krankheit und in Gesundheit, bis der Tod uns scheidet“. …„bis zum Tod“: Das ist radikal. „Du, Eva, du wirst meine Frau sein. Ich habe mich für dich entschieden und jetzt habe ich diese Entscheidung mit meiner Tat vollzogen. Vor diesem Moment waren alles schöne Worte. Aber jetzt wird mein Wort durch meinen Körper bestätigt.“ Liebe muss Fleisch werden. Hier wird sie Fleisch, wortwörtlich.

Gerade die Fruchtbarkeit erlaubt es, ganz in die Intimsphäre des anderen einzutreten – und zuzulassen, dass der andere die eigene betritt. Es ist ja nicht so, dass aufgrund eines leidigen Unfalls der Natur Sex fruchtbar ist, weswegen dieser Aspekt „wegmediziniert“ werden müsste. Fruchtbarkeit lässt einem am Leben des anderen in einer Art und Weise teilhaben, die für den Außenseiter völlig undurchschaubar ist. Sie ist gerade das, was sexueller Liebe ihre tiefe schenkt. Fruchtbarkeit führt zur Offenbarung der eigenen Identität im gemeinsamen Kind: Man erfährt und entdeckt sich selbst als Vater, als Mutter, als Mann dieser Frau, als Frau dieses Mannes. Fruchtbarkeit nicht zu wollen, bedeutet, dass man jemandem etwas vorenthält, sich ihm nicht ganz öffnet, nicht ganz hingibt. Der andere darf an der Oberfläche bleiben, doch Teil des eigenen Selbst soll er nicht werden: „Ich will dich, aber nicht ganz. Ich will dich, aber nicht wirklich um mein Leben mit dir zu teilen.“

Die hier beschriebene Nacktheit ist deswegen ein so radikales Geschenk, das Größte, was man geben kann, weil es das ganze Leben in die Waagschale wirft. Aus Liebe entscheidet man sich eben für diesen Mann, diese Frau. Andere Optionen stehen von diesem Moment ab nicht mehr offen. Das etwaige gemeinsame Kind (nicht dass jedes Mal, wenn man zusammenkommt, ein Kind entstehen muss oder soll) ist die fleischgewordene Liebe der Entscheidung füreinander. Du hast mein Herz gestohlen. Du bist die Frau, der Mann meines Lebens.

Das ist der zweite von einer Serie von Beiträgen zum #TheologieDesLeibes Thema „Nacktsein“. Die Überlegungen entstammen etwas modifiziert aus dem von mir geschriebene Buch: „God, Sex & Soul“)

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