Macht & Dienst. Zwei ganz zentrale Begriffe, wenn es um kirchliche Reform gehe, so Kardinal Marx beim Eröffnungsgottesdienst zu Beginn der inhaltlichen Arbeiten des „Synodalen Weges“, die am vergangenen Donnerstag in Frankfurt begonnen haben. Es bedürfe einer kritischen Auseinandersetzung mit der Macht, „die Dienst sein soll. Es wäre ein starkes öffentliches Signal, ein Perspektivenwechsel, wenn wir darstellen könnten, was Macht und Dienst bedeuten, nämlich nicht über andere zu herrschen, sondern das Miteinander der Kirche zu zeigen.“ Die Überlegungen zum „Synodalen Weg“ werden also laut Kardinal Marx dann fruchtbar, wenn sie im Licht eines korrekten Verständnisses von Macht und Dienst stattfänden. Ich könnte dem nicht mehr zustimmen – hier ein paar Gedanken dazu. Dabei werde ich versuchen, diese Grundintuition von Kardinal Marx auf jeden der vier Hauptbereiche des Synodalen Weges anzuwenden: Sexualmoral, priesterliche Lebensform, Macht und Gewaltenteilung, die Rolle von Frauen in der Kirche.

Macht & Dienst, eine Einführung

„Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mk 10,45) Jesus ist Gottes leidenschaftliche Liebe für die Welt. Er führt die Menschheit in die Umarmung des barmherzigen Vaters hinein. Indem er uns dient. Er ist gekommen, um uns zu dienen, indem er sein Leben für uns hingibt. Das Leben Jesu ist Dienst. Aber nicht einfach, indem er uns 1.000 Euro schenkt oder unser Auto wäscht. Sein Dienst ist die radikale Hingabe seiner selbst an uns. Deswegen bemerkt Benedikt XVI. ja zurecht, dass die Fußwaschung im Johannesevangelium dort steht, wo man eigentlich die Einsetzung der Eucharistie erwartet hätte. Es ist dasselbe. Der Herrscher, der als Sklave kommt, um zu dienen, um Füße zu waschen. Darstellung des Lammes, in dessen Blut wir reingewaschen sind. „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie … und lehrt sie … .“ (Mt 28,18-20) Kirche ist Teilhabe an jener Vollmacht, die den radikalen Dienst des Herrn an der Welt darzustellen und zu vergegenwärtigen hat. Kirche ist Teilhabe am Dienst des Herrn. Das hat Konsequenzen.

Vor allem heißt das Folgendes: Kirchliche Reform geschieht nur dort, wo sie im Dienst des dienenden Meisters steht. Sie degeneriert jedes Mal, wenn sie im Dienst ihrer selbst zu stehen versucht. Kirchlicher Dienst kann nur in der Treue zum dienenden Herrn fruchtbar werden. „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15,5) Jesus war selbst nicht gekommen, „um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ (Joh 6,38) Wo Kirche versucht, die Vollmacht Jesu an sich selbst zu reißen, selbst zu bestimmen, wie sie zu dienen hat, ist sie nicht mehr Kirche. Kirche wird immer zur Machtstruktur dort, wo sie aus eigener Vollmacht versucht zu handeln und vergisst, dass sie keine Macht hätte, „wenn es nicht von oben gegeben wäre.“ (Vgl. Joh 19, 11) Wo sie „aus sich selbst“ (Vgl. Joh 5,19) versucht zu handeln, dort verfällt sie in eine Ideologie oder den Interessenvertretern politischer Parteiungen. Machtmissbrauch geschieht in der Kirche immer dort, wo der Dienst am dienenden Meister nicht mehr im Vordergrund steht.

1. Sexualmoral.

Macht & Dienst. Sexualmoral hat mit diesem beiden Begriffen zu tun. Macht heißt für den Christen an erster Stelle Dienst. Warum? Weil Macht mit Verantwortung zu tun hat, mit einer gänzlichen Antwort auf die Herausforderung der eigenen Freiheit. Verantwortung existiert, weil es Freiheit gibt. Wo Freiheit, dort Verantwortung. Auf den Bullen waren wir zu Hause wütend, wenn er die Kuh zur falschen Jahreszeit schwängerte, sodass wir bei kalten Temperaturen inmitten eines kanadischen Winters Kälber bekamen. Ins Gefängnis kam der Bulle aber nicht. Weil er keine Verantwortung hatte. Weil er nicht frei war. Deswegen aber auch nicht lieben konnte. Freiheit ist für die Liebe da. „Der Mensch sehnt sich mehr nach Liebe als nach Freiheit. Freiheit ist der Weg. Liebe ist das Ziel.“ (Hl. Johannes Paul II.)

Die Macht des Menschen liegt gerade in seiner Freiheit. Er hat die Macht, über sich selbst zu bestimmen, über sich selbst zu verfügen. Das ist es, was seine Freiheit ausmacht. Und die Größe dieser Macht zeigt sich dann, wenn er diese Macht für die Liebe einsetzt, was sich für den Christen in der Hingabe, im Dienst, zeigt. Und das Paradigma dieser Liebe sehen wir am Kreuz hängen. „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat … Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche.“ (Eph 5,25.31-32)

„Ein Fleisch werden“ hat für den Christen die Bedeutung und den Ruf, sich in die sich gänzlich hingebende Liebe am Kreuz einfügen zu lassen und es zu vergegenwärtigen. Gänzlich. Nicht nur ein Teil vom Selbst. Gänzlich. Ohne Bedingungen. Ich nehme dich ganz an. Nicht nur heute. Auch morgen. Nicht nur für drei Jahre. Sondern für immer. Nicht nur den Teil von dir, den ich gerade haben will. Sondern dich, ganz und gar. Auch in deiner Fruchtbarkeit. Auch in deiner Fähigkeit, Vater oder Mutter zu werden. Auch in deinem Alter. Auch, wenn du mal krank bist. Dienst heißt für den Christen Verantwortung. Verantwortung übernehmen wollen für dich. Egoismus flieht vor Verantwortung. Will es nicht. Kann es nicht haben.

Dienst im Bereich der Sexualität heißt für den Christen Vergebung und Barmherzigkeit. Heißt, das Beste für dich wollen, dir helfen die beste Version deiner selbst zu werden, gerade auch dann, wenn du dich nicht würdig fühlst, nicht gut genug. Mein Dienst an dir wird dann Ausdruck dessen sein, dass ich dich liebe, auch wenn du dich unzulänglich, unvollkommen fühlst. Ich werde dir dann zeigen, dass du so viel mehr als deine Fehler und sogar deine Sünden bist. Dienst im Bereich der Sexualität heißt dann aber auch, nicht zufrieden zu sein, zuzuschauen, wie du dein Leben zerstörst, heißt immer wieder mal Grenzen setzen aus Liebe. Dienst im Bereich der Sexualität heißt für den Christen Respekt und Wertschätzung. Deine Freiheit respektieren. Eben nicht mit Adam und Eva den Apfel an sich reißen wollen, sondern warten, um sich beschenken zu lassen. Eben alles andere als Gier.

Dienst im Bereich der Sexualität heißt für den Christen niemals emotionalen Druck auszuüben, um die eigene Macht zu zeigen und dich und deine Bedürfnisse für eigene Zwecke auszunutzen. Es heißt Höchstmaß an Verantwortung im Umgang mit der eigenen Position als Priester oder Lehrer oder Coach oder Therapeut mit denjenigen, die einem anvertraut werden, egal ob minderjährig oder nicht, aber eben ganz besonders mit den Minderjährigen.

Dienst im Bereich des Sexuellen heißt für den Christen ein Bewusstsein schaffen bezüglich der tiefen Verwobenheit von Sexualität mit eigener Identität und den verheerenden Konsequenzen im Leben und Identifikationsprozess eines Menschen, besonders eines Minderjährigen, wenn diese Sexualität nicht im Kontext bedingungsloser Liebe ausgeübt wird. Es heißt für den Christen Staunen und radikale Bejahung der Größe des Geschenks, sexuelle Wesen sein zu dürfen, jenseits jeglicher Verneinung oder manichäischer Verteuflung oder Geringschätzung sexueller Werte. Gerade aus einem tiefen Bewusstsein der Bedeutung von Sexualität als Teilhabe und Vergegenwärtigung des Kreuzgeschehens, diese liebende Hingabe des Herrn an seine Braut, die Kirche. Und wo das geschieht, wird Sexualität ein machtvolles Zeugnis davon, dass es die Liebe wirklich gibt, dass sie keine Utopie ist, dass sie erstrebenswert ist, dass es sich lohnt, den Weg der Liebe zu gehen und dass es eine „höhere Liebe“ geben muss, die unsere tiefsten Sehnsüchte erfüllen kann und wird.

2. Macht & Dienst: Priesterliche Lebensform, das Zölibat.

Das Zölibat ist nicht intrinsisch mit der priesterlichen Lebensform verwoben. Es geht auch ohne. Und doch sprach schon Jesus Christus von dieser Lebensform „um des Himmelreiches willen“ (Mt 19,12). Im „lateinischen Ritus“ der katholischen Kirche, also in einem der vielen katholischen Riten, wird das Zölibat von den Priestern verlangt. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es viele Jünger im Umkreis Jesu und zu Zeiten des Paulus gab, die nicht ehelos lebten. Also, Ehelosigkeit war nicht die Norm für alle. Das stimmt. Nur. Jesus selbst lebte so. Es wird immer nur eine geringe Anzahl des Gottesvolkes sein, die so lebt, die diesen Ruf in sich spürt, genau in dem Jesus nachzuahmen, Gott etwas zu schenken, das andere Gott nicht übereignen und nicht übereignen sollen. Das ist auch gut so. Und doch, und das werde ich versuchen hier zu erklären, es würde etwas an Kirche fehlen, wenn man dieses prophetische Zeichen in der Treue zum Jesuswort nicht schützen würde.

Man kann diskutieren, in welchem Ausmaß und in welchen Umfang die Kirche es von seinen Priestern einfordern sollte. Aber vielleicht können die Begriffe „Macht & Dienst“ einen Weg weisen.

Der zölibatär Lebende verachtet weder die Ehe noch die Sexualität. Im Gegenteil. Er will gerade das dem Herrn schenken, weil es das Kostbarste ist, was er hat. Sein „Nein“ zur Ehe ist vor allem ein „Ja“ zu Gott. Und paradoxerweise hilft ihm gerade das „Nein“, besser „Ja“ zu sagen. „Was heißt mein ‚ja‘, wenn ich nicht ‚nein‘ sagen kann?“ (Christopher West) Und wenn seine Ehelosigkeit wirklich authentisch „um des Himmelreiches willen“ gelebt wird, dann ist sie auch ein „Ja“ zu den Menschen, denen er dient. Mehr noch. Wenn sie echt ist, dann wird sie gewissermaßen zur Garantie dafür, dass seine Beziehungen zu den ihm anvertrauten Menschen selbstlos bleiben und nicht dem Machtmissbrauch verfallen. Die Ehelosigkeit wird in ihm Ausdruck eines selbstlosen Herzens.

Als prophetisches Zeichen ist das Zölibat ein Dienst. Ein machtvoller Dienst am Evangelium und an der frohen Botschaft und damit ein machtvoller Dienst an den Menschen. Entweder lebt der Priester das nicht oder er ist verrückt, oder… oder was? Oder vielleicht kann er Zeuge dafür sein, dass Gott wirklich ein Leben ganz ausfüllen kann. Dass Gott Wirklichkeit ist. Dass Gott nicht nur irgendwie der Entfernte ist, der letztlich mit dem wirklichen Leben nichts zu tun hat. Authentisch und in der Freude gelebte Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ ist eines der stärksten Zeugnisse für die Auferstehung.

Wenigstens erlebe ich Zölibat so. Ich bin nach über 25 Jahren zölibatärem Leben davon überzeugt, dass gerade dieser Verzicht „um des Himmelreiches willen“ Quelle ist für die tiefe Freude, die ich in der Nachfolge des Herrn verspüren darf. Das ist vielleicht schwer für jemanden nachzuvollziehen, der nicht diese Berufung spürt. Für mich ist es aber so. Ich fühle mich wie frisch verliebt. Und das seit 25 Jahren, und es wird immer intensiver. Das scheint übertrieben. Das scheint vielleicht wie eine fromme Gefühlsduselei. Ist es aber nicht. Ich meine das ganz ernst. Und ich weiß, dass nicht alle Priester das so spüren. Dass viele auch ihre Krisen haben. Und ich sage nicht, dass ich irgendwie besser wäre als sie. Im Gegenteil. Wahrscheinlich weiß der Herr, dass ich es nicht anders aushalten würde. Deswegen beschenkt er mich so. Ich stehe aber hier trotzdem als Zeuge, dass der Verzicht eine Gabe sein kann, die eine Quelle von Freude wird. Mehr noch.

Wo Zölibat ernsthaft gelebt wird, dort erzieht sie zum Dienst: Ich bin da für dich, nicht weil ich etwas von dir will, sondern einfach so, einfach, weil ich dir helfen will, einfach, weil ich versuchen möchte, wie der Meister dir mein Leben zu schenken. Das heißt natürlich nicht, dass nur der Priester Vertrauen erwecken kann. Das wäre ja absurd. Und leider gibt es genügend Beispiele, wo er genau das nicht tut, sogar das Gegenteil erweckt. Aber das ist ja genau der Punkt: Missbrauch durch einen Priester ist deshalb so verletzend, weil er eine solche Vertrauensperson gewesen ist. Viele Menschen bringen uns Priestern ein erstaunliches Maß an Vertrauen entgegen, das uns in eine Machtposition hineinstellt, die ein Höchstmaß an Verantwortung verlangt. Und zwar deswegen, weil diese „Macht“ immer ein Dienst zu bleiben hat.

Ein aufrichtig gelebtes Zölibat wird den Priester immer wieder erinnern, dass er im Dienst steht, dass er Füße zu waschen hat, dass die Gläubigen nicht „seine“ sind, sondern dem Herrn gehören, dass er nicht selbst der „Herr“ ist, sondern „nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht“ (vgl. Joh 1, 23-27 und 2 Kor 5,20). Es wird ihn erinnern, dass seine Rolle darin besteht, die Menschen nicht an sich zu binden, sondern zum eigentlichen „Bräutigam“ zu führen und dass er mit Johannes immer wieder neu zu sagen lernen muss: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der dabeisteht und ihn hört, freut sich über die Stimme des Bräutigams… Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden.“ (Joh 3,29-30) Das Zölibat wird den Priester immer wieder neu dazu erziehen, dass es auch so bleibt. Dort, wo es gelebt wird, ist Zölibat Hinweis auf eine andere Welt, eine Welt, nach der der Mensch sich sehnt, denn „unsere Herzen sind ruhelos, bis sie ruhen in dir“ (Augustinus). Zölibat ist nicht Unterdrückung, sondern Ausdruck der Gabe des eigenen Selbst. Wo das gelebt ist, wird es dem Priester immer wieder neu helfen, das Herrschen-Wollen abzulegen und der „Sklave und Diener aller“ (vgl. Mk 10, 43-44) zu werden.

3. Macht & Dienst: die Gewaltenteilung

Alle Macht in der Kirche ist sakramental. Das ist ein Grundgedanke des II. Vatikanums. Das heißt, durch die Taufe hat jeder Christ Anteil an der Vollmacht des Herrn, als Priester, Prophet und König. Die Bischöfe erhalten Kraft Ihrer Weihe eine besondere Vollmacht und „An Gottes Stelle stehen sie der Herde vor, deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung.“ (II. Vatikanum, LG 20) Die Priester üben ihre Vollmacht am meisten „in der eucharistischen Feier oder Versammlung aus, wobei sie in der Person Christi handeln und sein Mysterium verkünden, die Gebete der Gläubigen mit dem Opfer ihres Hauptes vereinigen und das einzige Opfer des Neuen Bundes, das Opfer Christi nämlich, der sich ein für allemal dem Vater als unbefleckte Gabe dargebracht hat, im Messopfer bis zur Wiederkunft des Herrn (vgl. 1 Kor 11,26) vergegenwärtigen und zuwenden“ (LG 28). Macht hat in der Kirche Dienst zu sein. Was vom Bischof gesagt wird, kann man gewissermaßen von jedem Gläubigen sagen: „Der Bischof, der vom Hausvater gesandt ist, seine Familie zu lenken, soll sich das Beispiel des guten Hirten vor Augen halten, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (vgl. Mt 20,28; Mk 10,45) und sein Leben für seine Schafe hinzugeben (vgl. Joh 10,11).“ (LG 27)

Ich glaube, wir brauchen hier echte Umkehr. Für mich als Priester und Gemeindeleiter ist das eine der größten Lektionen der letzten Jahre. Ich bin nicht in der Gemeinde, sodass die Leute meine Projekte durchführen oder das tun, was ich will. Ich bin da, ihnen zu helfen, das zu entdecken, was Gott ihnen ins Herz gelegt hat, um sie dann zu befähigen, das zu verwirklichen. Möglichst aus dem Weg bleiben, sodass Gott sein Werk in ihnen vollziehen kann. Ich bin aber auch nicht einfach als Dienstleister in der Gemeinde. Als wäre meine Aufgabe darauf zu achten, dass möglichst viele Kinder bei uns in der Jungschar sind, dass ich Taufen spende und Hochzeiten feiere. Nicht: Hier teile ich aus und dort empfängt ihr Gläubigen Konsumenten mäßig meine Weisheit und mein pastorales Tun. Konsumdenken untergräbt jegliche authentische kirchliche Reform. Nein. Wir bilden eine Gemeinschaft im Herrn, die sich gegenseitig inspiriert und hilft, Jünger des Herrn zu werden. Die Rolle der Leitung ist Dienst, nicht Dienstleistung. Sie soll die Charismen zur Entfaltung bringen. Sie soll den Menschen helfen, die beste Version ihrer selbst zu werden. Sie soll die Gläubigen darin unterstützen, Kraft ihrer Taufe volljährige Christen zu werden. Sie soll dazu inspirieren, Mitverantwortung für die Mission der Kirche zu übernehmen. Sie soll die Gläubigen unterstützen, ihr Priester-, Prophet- und Königsein auszuüben.

Wir redeten in den vergangenen Jahren viel von „Macht“ in der Kirche. Nur, wenn der Priester seine Aufgabe als Möglichkeit sieht, sich selbst zu verwirklichen, wenn er Bestätigung im Beifall der Gläubigen sucht, wenn er seine für den Dienst vorgesehene Vollmacht ausnutzt, um Menschen herumzukommandieren oder auf sie herunterschaut, wenn er seine geistige Vollmacht missbraucht, indem er das Vertrauen der Gläubigen als Mittel einsetzt, um das von den Menschen zu erhalten, was er will, tja, dann haben wir ein Problem. Der Priester ist nicht da zum Herrschen, sondern um die Gaben in der Gemeinde freizusetzen und sich wie der Meister in den Dienst dieser Gemeinde zu stellen, vor allem, indem er sie im Gebet trägt und Eucharistie feiert, vor allem das tut, was nur er als Priester tun kann. Es gibt noch zu viele Orte, wo der Priester einfach alles selbst entscheidet. Als hätten die Gläubigen keine Ahnung. Es gibt noch so viele Orte, wo der Priester alles kontrollieren will und dadurch jegliches Wachstum nach innen (Gebet, Gemeinschaft, Dienste, Jüngerschaft) oder nach außen (Mission) verhindert. Du kannst Kontrolle haben – oder die Gläubigen freisetzen. Du kannst Kontrolle bewahren – oder eine gesunde wachsende Gemeinde werden. Beides geht nicht.

Aber das gilt auch andersherum. Wenn man „Laienrechte“ einfordert, um an der „Macht“ der kirchlichen Amtsträger teilzuhaben, dann läuft auch irgendetwas schief. Wenn der Laie „auch mal über die anderen herrschen“ will, dann disqualifiziert er sich von einer Leitungsposition genauso wie der Priester, der dasselbe tut. Es geht um Teilhabe an der dienenden Vollmacht des Herrn, nicht um politische und allzu menschliche Kategorien von Macht und Herrschertum. Evangelium ist Letzteres nicht. Ich bin sehr dankbar für das „4. Gelübde“ unserer Ordensgemeinschaft, vor Gott schwören zu dürfen, niemals für sich oder für andere eine Leitungsrolle in der Gemeinschaft zu suchen oder anzustreben. Es gibt in manchen Sprachen ein Sprichwort: „Der beste Leiter ist derjenige, der es nicht sein will“ – so abwegig ist das gar nicht.

4. Macht & Dienst: die Rolle der Frau in der Kirche

Ich erhoffe mir vom Synodalen Weg ein echtes „Hinhören auf dem Geist“. Ich hoffe, dass es nicht nur um die „petrinische Dimension“ der Kirche geht, um Leitung und Vollmacht, sondern auch um die „marianische Dimension“ (Hans Urs von Balthasar), dass ihr „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38) Raum und Zeit in den Sälen der Synode erhält. Ich erhoffe mir eine Verfügbarkeit dem Herrn gegenüber, der übrigens eventuell auch durch mein Gegenüber spricht, dessen Meinung ich vielleicht überhaupt nicht teile. Dieses „Hinhören“ ist so wichtig, gerade wenn wir miteinander diskutieren. Und das trifft auf das Thema „Rolle der Frau in der Kirche“ zu, aber überhaupt auf das Zusammenspiel von Amtsträger und Laien, von Frauen und Männern, von Jung und Alt, von verheirateten und Zölibatär-Lebenden, von Ordens- und Diözesanstrukturen, von internationalen Gemeinschaften und Ortskirche.

Verfügbarkeit und Hinhören vorausgesetzt – ein fruchtbarer Dialog könnte zum Beispiel der sein, dass man über die Frage spricht, inwiefern man die Feier der Eucharistie, Verkündigung und Leitungsvollmacht aufteilen kann und darf. Dass die Leitung einer Gemeinde und Priesterweihe nicht notgebunden sakramental zusammenhängen müssen, liegt auf der Hand. Sonst wäre jeder Priester Kraft seiner Weihe Pfarrer. Dem ist aber nicht so.

Weitergedacht: Nicht jeder genialer Prediger kann auch gut leiten und andersherum. Es ist zuweilen sehr schwer, jemanden zu finden, der beides wirklich gut kann. Und nicht jeder Leiter ist ein guter Prediger. Schon zu Zeiten von Benedikt XVI. wurde es unterstrichen, dass die Homilie Aufgabe des Priesters sei, Teil der Liturgie ist, aber sogar hier darf es Ausnahmen geben. Außerdem gibt es andere Gelegenheiten, wo ein Laie sehr wohl auch Inhalte vermitteln kann, vielleicht sogar viel besser als der Priester. Oder die Gemeindeleitung. Ich wäre sehr vorsichtig, voreilig zu behaupten, dass alle, die sich für eine Leitung seitens der Laien – sei das ein Mann oder eine Frau – aussprechen, RevoluzzerInnen sind, die die „Kirche zerstören wollen“.

Ja, der Bischof hat die Fülle der Vollmacht Kraft des Sakramentes. Er stellt die Fülle der Teilnahme an der Vollmacht Christi als Priester, König, und Propheten dar. Und doch. Wir müssen aufpassen, unsere feudalen Konzepte von „Königtum“ nicht auf die Kirche zu wälzen. Nicht der Feudalstaat aus dem Mittelalter ist Vorbild dessen, was Kirche sein sollte. Das Paradigma für das, was es heißt König und überhaupt Mensch zu sein, wird nicht auf Christus aufgepfropft, um dann zu prüfen, ob er die Erwartungen der Menschen erfüllt, sondern andersherum. Er zeigt uns, was Königtum, aber auch was Menschsein heißt. Ja, ein „König“ oder Regierungsleiter und Leiter aller Art, könnte sich ein Beispiel nehmen an dem, der unser aller Diener ist und sich zum Sklaven aller gemacht hat.

Ja, Jesus hat die Kirche auf die Apostel aufgebaut. Und ihre Nachfolger sind Träger der Fülle der Vollmacht des Meisters. Ihnen steht eine besondere Aufgabe des Ordnens der Gaben und Charismen zu. Aber das gesamte Gottesvolk hat auch auf seine Weise Teil an dieser Vollmacht, Kraft der Taufe. Ja, nur der Priester kann „in der Person Christi handeln“ (LG 28), um die Wandlungsworte zu sprechen, um Lossprechung in der Beichte zu erteilen. Außerdem hat er eine besondere Verpflichtung der Verkündigung des Wortes gegenüber. Aber sich um die Verwaltung kümmern? Wirtschaftliche Prozesse im Gang setzen? Die Mitarbeiter des Kindergartens führen? Sich mit dem Orgelausschuss treffen? Alle Dienste der Gemeinde zu ordnen? Muss er wirklich alle diese Leitungsvollmachten ausüben?

Zwei Beispiele:

Das erste ist aus der eigenen Gemeinschaft. Wir stehen als Orden in einer Föderation mit der Apostolatsbewegung Regnum Christi. Gerade heute sprach ich mit einem Mitbruder aus Santiago de Chile. Dort gibt es unter anderem sechs Schulen – drei davon für Straßenkinder und Kinder aus armen Verhältnissen, eine Universität mit 8.000 Studenten, mehrere Jugendzentren, ein Einkehrtag-Zentrum. Unsere Arbeit in dieser Stadt teilt sich in zwei Regionen, „Lokaldirektor“ in beiden Regionen sind Laien und Frauen. Das heißt konkret, dass der Priester in seiner pastoralen Tätigkeit einem Laien untersteht. Und das ist vom Prinzip her kein Problem und meistens in der Praxis auch nicht. Vielleicht immer wieder mal kompliziert und herausfordernd, weil der Priester auch noch einen eigenen Ordensoberen hat oder sogar selbst Oberer ist, aber ein Problem ist das nicht. Im Gegenteil, es kann eine extreme Bereicherung sein. Es geht hier nicht um die Leitung einer Gemeinde, aber doch um Leitung einer kirchlichen Wirklichkeit, die in diesem Fall sogar viel größer als eine Gemeinde ist.

Das zweite Beispiel ist die geplante Strukturreform der Diözese Linz. Ob sie genauso kommt, ist noch offen. Die einen sind besorgt und äußern ihre Bedenken, die anderen sind begeistert. Mir geht es nicht um eine Bewertung, die steht mir aus der Ferne auch gar nicht zu. Ich möchte über die Grundidee reflektieren. Die fast 500 Pfarren sollen in rund 40 große Pfarren zusammengefasst werden. Innerhalb dieser Großpfarren werden dann die früheren „Pfarren“ zu „Pfarrgemeinden“. Der Pfarrvorstand dieser großen Pfarren setzt sich dann aus dem Pfarrer und zwei weiteren Vorständen, dem Pastoralvorstand und Verwaltungsvorstand zusammen.

Viele ehemalige Pfarrer werden frei für den eigentlichen priesterlichen und sakramentalen Dienst. Die größere Struktur ermöglicht die Besetzung der neuen Pfarrgemeinde-Leitung mit Menschen, die vielleicht diesen Dienst besser erfüllen als der ehemalige Pfarrer, der vielleicht ein guter Hirte, aber nicht unbedingt ein guter Leiter ist. Muss das zu einem Desaster führen? Es kommt ganz auf die Personen drauf an. Die Besetzung einer Pfarre mit einem unfähigen Pfarrer kann genauso zum Desaster führen. Jetzt habe ich halt mehr Möglichkeiten. Ein Beispiel, wo das ziemlich gut funktioniert, ist bei mir zu Hause in Kanada. Und zwar im Missionsgebiet Yukon und nördliches British Columbia. Ein Gebiet so groß wie Deutschland, Österreich und Schweiz zusammen, mit knapp 15 Priestern und einem Bischof, wo viele Gemeinden von Laien geleitet werden, weil es keine Priester gibt oder die nur ein- oder zweimal im Jahr dort auftauchen können.

Wir brauchen die Priester. Bitte nicht falsch verstehen: Eine Strukturreform, die sie abschaffen will, ist nicht mehr Kirche. Aber ich glaube auch, dass es gefährlich ist, an Kirchenbildern festzuhalten, die nicht dem Wesen der Kirche entsprechen. Priesterinnen sind theologisch und glaubenstechnisch nicht möglich, Gemeindeleiterinnen hingegen doch. Ersteres hat mit dem Sakrament der Weihe zu tun, das zweite mit der Leitungsgewalt, die vom Bischof übertragen wird.

Gott ist ein Künstler, der es liebt, mit Wirklichkeiten zu schreiben, wofür wir Worte brauchen. Wasser. Wein. Brot. Öl. Die sakramentalen Zeichen triefen vor tieferen Bedeutungen. Und wenn der Mann, Christus als neuer Adam und Bräutigam, sich am Kreuz seiner Braut, der neuen Eva, der Kirche, repräsentiert durch Maria am Fuß des Kreuzes, schenkt (Eph 4), dann ist das aber nicht nur mehr Symbolik, sondern Wirklichkeit. Manche würden die Archetypen von Carl Gustav Jung nicht als Phantasmen, sondern als tiefste Wirklichkeit überhaupt einstufen. Es ist interessant, dass manch Schüler von ihm, wie zum Beispiel ein Jordan Peterson (wie immer man auch zu ihm steht oder was immer auch man von ihm hält), die großen „Stories“, die großen Geschichten der Welt, die sich über Jahrtausende erhalten haben oder in der einen oder anderen Form immer wieder auftauchen, in ihren Grundelementen als die Wirklichkeit schlechthin verstehen würden. Ferner wäre das Untergraben der Grundelemente dieser Geschichten im wirklichen Leben  Rezept für Chaos und Desaster.

Der Christ würde diesen Gedanken von Jung und auch von Peterson vor allem in Bezug auf Jesus Christus bejahen. Denn „ALLES ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“ (Kol 1,16). Der Christ würde die Jesusgeschichte als die Geschichte aller Geschichten betrachten, die Geschichte, die nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern auf die hin die gesamte Wirklichkeit ausgerichtet und geschaffen ist. Das Weihesakrament ist Ermöglichung der Übertragung dieser Geschichte durch die Zeit hindurch. Der Priester steht im Namen von Jesus Christus körperlich da als Mann und er vergegenwärtigt in seinem Namen die Kreuzeshingabe in der Zeit: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ (Lk 22,19)

Die Kirche ist überzeugt, dass ein Rütteln an diesem göttlichen Kunstwerk verantwortungslos und gefährlich ist. Unendlich viel gefährlicher als das Rütteln an den Grundelementen einer archetypischen Geschichte wie zum Beispiel der Kampf gegen einen Drachen, der für das Ausbrechen in das Unbewusste und noch nicht Erforschte steht, welches die notwendige Entwicklung der Freiheit und Verantwortung eines Menschen verlangt. Es bedarf eines Höchstmaß an Arroganz oder Ignoranz zu glauben, man „könne die Grundstruktur der Wirklichkeit verdrehen und nicht den Preis dafür zahlen.“ (Jordan Peterson) Aber nicht weil Gott ein Tyrann ist, der unser Leben miserabel machen will, uns Dinge vorenthält, die uns zustehen. Sondern, weil er ein Vater ist, der uns liebt uns helfen will, Leben und Sinn zu finden.

Warum das Sakrament der Weihe mit Männern verbunden ist, darüber könnte man ganze Bände füllen und sie sind auch gefüllt worden. Ich wollte hier nur einen Grund unter den vielen nennen, die man nennen könnte und damit unterstreichen, dass es überhaupt Gründe gibt. Das alles hat aber auch gar nichts mit Willkür oder gar Hass gegenüber Frauen oder Diskriminierung zu tun. Muttersein ist auch keine Diskriminierung von Männern. Es geht um die Nicht-Manipulierbarkeit der Wirklichkeit und die Treue zum Jesuswort.

Anderseits möchte ich hier unterstreichen, dass man aufpassen muss, nicht gleich den Weltuntergang vorauszusehen, weil Laien – Männer und Frauen –in der Kirche Verantwortungsbereiche zu übernehmen beginnen, die vor 50 Jahren ausschließlich von Priestern besetzt wurden.

Die Vollmacht in der Kirche hat ihre letzte Quelle in Christus selbst. Aber man kann diese Teilnahme an der einen Vollmacht des Herrn in zwei Ausdrucksweisen unterscheiden. Da ist zum einem die Weihevollmacht. Sie wird durch die Weihe konferiert und hat als direktes Ziel vor allem die Heiligung und das Heil des Volkes Gottes mittels der Feier der Sakramente und der Sakramentalien.

Da ist zum anderem die Jurisdiktionsvollmacht. Im Kirchenrecht wird Leitungsgewalt und Jurisdiktionsgewalt gleichgesetzt (CIC 129). Es geht um die Vollmacht zur Leitung der Mitglieder der Kirche (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung). Am Letzteren können auch die Laien nach Maßgabe des Rechtes mitwirken. Diese Bereiche sind momentan noch relativ klein, aber vom Prinzip her kann der Rechtsgeber (Papst, Bischöfe) diese Bereiche ausweiten. Und darüber zu reflektieren ist keine Sünde, sondern meines Erachtens zunehmend sinnvoll. Wichtig dabei bleibt dies: Es geht bei jeglicher Vollmacht immer um Dienst. Weihevollmacht ist nicht dazu da, um eine unberührbare Kaste zu schaffen, die für sich selbst lebt und von sich von den Menschen beweihräuchern lässt. Leitungsvollmacht ebenso. Es geht bei beiden um dienende Leiterschaft, egal ob Priester oder Laie, Mann oder Frau. Und das bedarf einer gesunden Dosis an Demut, Charakter, Aufrichtigkeit und Liebe für den Herrn und für die Mitmenschen.

Abschlussgedanken

„Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ Ich hoffe doch sehr, dass sich alle am Synodalen Weg Involvierten, dass wir alle uns das zu Herzen nehmen. Ich hoffe sehr, dass wir im Gespräch bleiben, miteinander um die Wahrheit, die ER ist, ringen und uns gegenseitig ermahnen, ermutigen und inspirieren. Ich hoffe sehr, dass wir mit Maria ein offenes Herz bewahren, von ihr lernen unterscheiden zu können, „was der Geist den Gemeinden sagt.“ (Offb 2,7) Dass wir mit den Aposteln um sie herum versammelt, im gemeinsamen Gebet das Kommen eines neuen Pfingsten erwarten dürfen. Maria, Mutter der Kirche, bitte für uns!

P. George Elsbett LC

 

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