Der Sturm

Weit weg ist es noch, das gewaltige Gewitter. Und doch deutlich zu erkennen: eine, zwei … sogar fünf dunkle Trichterwolken drehen sich bedrohlich aus ihm auf die Erde zu. Ich stehe oben auf einer kleinen, aber sehr steilen Anhöhe. Vor mir eine weite Ebene, ähnlich wie ich sie von der Prärie in Kanada kenne. Tornados hatte ich bis jetzt nur einmal live erlebt. Und das hat gereicht. So etwas aber habe ich noch nicht einmal in Filmen gesehen. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich gerade in Sachen Gewitter auf der vorsichtigen Seite stehe. Ein fast traumatisches Erlebnis auf einem Berggipfel in der Schweiz hatte dafür gesorgt. Aber heute kann ich nicht anders. Ich greife in meine Hosentasche und hole mein Handy raus. Das muss man gefilmt haben! Verflixt! Irgendwie funktioniert der Filmmodus nicht. Auch Bilder kann man nicht machen. Vielleicht sollte ich das Handy rebooten. Warum dauert dieser Reboot so lange? Ich schaue wieder auf die Ebene. Die Wirbelwolken sind jetzt noch viel deutlicher zu erkennen. Gerade eine davon wirft sich willkürlich hin und her, wie ein gewaltiger Finger, der nicht genau weiß, was er zunächst ertasten soll. Noch immer funktioniert das Handy nicht. Zwischen mir und dem Unwetter befindet sich jetzt nur noch der vielleicht eineinhalb Kilometer entfernte Nachbarhof. Oh Gott! in einigen Sekunden würde das erste Gebäude aufgrund des Druckunterschieds explodieren … In meiner Vorstellung sehe ich dessen Trümmer von diesem riesigen Staubsauger emporgefegt … Und dann bin ich aufgewacht. Das war vergangenen Mittwoch.

Normalerweise erinnere ich mich nicht an meine Träume. Und nein, ich bin kein großer Fan der Traumdeutung. Und trotzdem ist dieser Traum für mich ein gutes Bild dafür, was es meines Erachtens in den nächsten Wochen und Monaten zu beachten gilt. Alle, die vergangenen Donnerstag (29. Oktober) bei einer Messe waren, werden diesen Gedanken von Paulus gehört haben: „Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn. Zieht die Rüstung Gottes an …“ (Eph 6,10-11) Und im Evangelium (Lk 13,31-35) sprach Jesus über den König Herodes und über Jerusalem, die irgendwie nicht gecheckt hatten, was gerade los war und worum es eigentlich ging. So etwa wie ich mit meinem Handy und den fünf Tornados. Nett. Machen wir eine Videoaufnahme oder wenigstens ein gutes Foto, wie gerade alles verwüstet wird. Statt zu überlegen, wie ich mich und die Leute, die bei mir waren, noch irgendwie retten könnte.

Der Lockdown & seine Gefahren

Ich weiß nicht, wie deine Tornados heißen. Und während des zweiten Lockdowns werden wahrscheinlich einige auf uns zukommen. Aber ich meine nicht so sehr die äußeren, sondern die im Inneren. „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten.“ (Eph 6,12)

Ich vermute mal, dass es während des Lockdowns vor allem die Tornados sein werden, die uns gegen die göttliche Tugend der Hoffnung verfehlen lassen. Äußere Umstände, die an unserer inneren Verfassung nagen. Äußere Umstände, die zuerst die negativen Gefühle, aber dann die noch viel gefährlicheren Gedanken mit sich ziehen. Lebenslügen über uns selbst, über Gott, über unsere Umwelt. Man verliert die Verankerung in Gott. Und das zieht vieles nach sich: Verzweiflung, Frust, Ärger, Wut auf Gott und die Welt, Gereiztheit, Disziplinlosigkeit, Sich-gehen-Lassen, Apathie, mangelnde Sensibilität gegenüber der Not anderer, Suchtverhalten in verschiedenen Formen, Lustbefriedigung, bis hin zum Glaubensverlust. Aber die Wurzel liegt im Herausfallen aus der Hoffnung, aus der Geborgenheit in ihm, aus dem Leben aus seiner Gnade.

Der Lockdown & die Rüstung

Paulus ist kein Pessimist. Er weiß um die Größe des Menschen in Christus. Er sagt nicht, wir sollen vor der Gefahr fliehen. Im Gegenteil. Er lädt uns ein, „stark durch die Kraft und die Macht des Herrn“ zu werden, uns der Gefahr nicht blauäugig, ohne die „Rüstung Gottes“ zu stellen. Paulus weiß auch um das eigentliche Ringen dieser Welt, das Ringen um unser Herz. Denn wie dort die Schlacht ausgeht, entscheidet über … na ja, so ziemlich über alles andere, was in der Welt vor sich geht. Wer wird dort Herr sein? Und da gilt es zu „wachen und beten“ und darum, seine Rüstung anzuziehen.

In der anfangs erwähnten Lesung (Eph 6,10-20) gibt Paulus einige Vorschläge, wie eine Rüstung aussehen könnte. Da ist zuerst mal das Fundament „Wahrheit und Gerechtigkeit“ (vgl. Eph 6,14). Es geht erstmals um die Grundtreue zu den Basics. Bevor wir über die Seligpreisungen sprechen (und wir sollen über sie sprechen!), reden wir mal von den Zehn Geboten. Sich nicht darum zu bemühen führt sehr schnell zur geistigen Blindheit, man verliert die Orientierung, den inneren Kompass und beginnt das Schwarze Weiß zu nennen – und das Weiße Schwarz. In jeder Sünde ist nämlich immer eine weitere verborgen, und zwar der Mangel an Vertrauen, dass das, was Gott sagt, gut sei – wirklich gut ist – und zwar gut für mich, hier und jetzt. Vertrauen und Hoffnung auf Gott sind Zwillinge. Wenn ich ihm nicht mehr vertraue, dann heißt das ja, keine Hoffnung zu haben, dass er es gut mit mir meint.

Dann schlägt Paulus „die Bereitschaft für das Evangelium zu kämpfen“ (Eph 6,15) vor – keine Kompromisse, sondern ein wirkliches Ringen darum, das Evangelium und alles, wofür es steht, zum höchsten Wert im eigenen Leben zu machen. „Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen.“ (1 Kor 15,19) Hoffnung auf Gott zu setzen heißt ganz praktisch: Treue zum Evangelium. Christen sind nicht berufen, Spiegel der Gesellschaft zu sein, sondern Sauerteig in der Masse, Licht, Salz. Auch wenn es kostet. Es soll kosten. Der Meister hat es uns vorgemacht. Es ist der Preis der Liebe.

Paulus bringt noch weitere Vorschläge, die ich sehr hilfreich finde. Ich möchte nur noch an seinen letzten Vorschlag erinnern, das Gebet: „Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist.“ (Eph 6,18) Denn „viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten“ (Jak 5,16). Wo Gebet echt ist, findet Begegnung mit Gott statt, dort leben wir in Beziehung mit ihm, der uns trägt, mit ihm, der unser aller Fundament und Halt ist. Gebet ist Quelle der Hoffnung. Aber Gebet ist zugleich Verheißung. „Bittet und es wird euch gegeben.“ (Mt 7,7)

In diesem Sinne freue ich mich sehr, dass ich am Sonntag in einem kontemplativen Kloster der Einkleidung einer – zuvor hier im Zentrum Johannes Paul II. aktiven – jungen Frau beiwohnen darf. Diese Klöster lehren uns, was die Welt wirklich bewegt: das eigentlich Wichtige. Was wir gerade in den dunklen Stunden der Geschichte nicht vergessen dürfen. Zuweilen scheinen die Klagelieder recht zu haben: „Du hast dich in Wolken gehüllt, kein Gebet kann sie durchstoßen.“ (Klgl 3,44) Aber der Glaube weiß, dem ist nicht so und siehe da, „Du warst nahe am Tag, da ich dich rief; du sagtest: Fürchte dich nicht!“ (Klgl 3,57). Gebet durchdringt die dunkelste Wolke, löst den furchtbarsten Sturm auf und lässt das Licht der „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20) unsere Welt neu durchfluten. Lasst uns Hoffnungsträger werden!

Hoffnungsträger sein. Das wünsche ich uns allen, Gottes Segen!

P. George Elsbett LC

Foto: Shutterstock/Huntstyle