Abhängig sein. Das will wahrscheinlich niemand. Freiheit. Das ist es, was man sucht. Besonders in der eigenen Beziehung. Eigentlich ist das auch ein Zeichen dafür, dass die Beziehung auf einem guten Weg ist. Man geht in ihr auf, es wird Raum für das eigene Selbst geschaffen und gewährleistet. Man darf sein. Gegenseitigkeit wird zu einem größeren „Wir“, wo aber jeder einzelne nicht verlorengeht sondern sich beflügelt, befreit, veredelt wiederfindet. Man findet zu sich selbst im Anderen. Sehnsucht entsteht und Leidenschaft wird erweckt. Leidenschaftlich lieben, Leidenschaft für irgendjemand oder wenigstens für irgendetwas empfinden wollen, wer würde das nicht gerne wollen? Und doch. Gerade hierin besteht die Herausforderung. Leidenschaft kann die Mauer des eigenen Egoismus durchbrechen, die Schwerkraft der Selbstbezogenheit überwinden. Von Liebe durchtränkte Leidenschaft kann Ekstase werden. Leidenschaft kann aber auch voll in die Abhängigkeit führen.
Leidenschaft, Abhängigkeit und Gier
In der Bildersprache von Genesis wird Abhängigkeit wie folgt erklärt:
„Darauf sagte die Schlange: Nein, ihr werdet nicht sterben […], vielmehr… werdet (ihr) wie Gott…. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz-“ (Gen 3,4-7)
Garten. Äpfel. Schlangen. Intimsphäre zwischen Mann und Frau. Deutlich genug, um zu verstehen, um was es geht. Die Sängerin Rihanna nutzt in ihrem „Birthday Cake“ nicht das Wort „Frucht“ oder „Apfel“ sondern, eben, „Geburtstagskuchen“, aber die Idee ist eigentlich sehr ähnlich: Man will nicht warten, um sich beschenken zu lassen und obwohl noch nicht Geburtstag ist, will man den Kuchen jetzt essen, egal wie es dem anderen dabei ergeht. Mehr noch, er möchte es ihr sogar „auf die schlimmste Weise geben, auf die schlimmste Weise“, denn er „kann nicht warten“, denn er „will den Kuchen, Kuchen, Kuchen.“
Ein Aspekt der Abhängigkeit besteht darin, danach zu verlangen, die Frucht zu sich zu nehmen, zu essen, zu konsumieren, an sich zu reißen, unabhängig davon, ob sie geschenkt wird oder nicht. Die Initiative des „Ergreifens“ liegt bei demjenigen, der ergreift (ob erlaubt oder nicht, ist ihm vielleicht nicht egal, aber auf jeden Fall nicht genügend relevant). Er entscheidet, was jetzt gut oder nicht gut ist, das darf ihm niemand sagen, auch Gott nicht. Die Versuchung besteht zuerst in der „Augenweide“, aber das reicht nicht. Die von Gier durchtränkte Leidenschaft will mehr. Man muss in den „Apfel“ hineinbeißen oder eben den Cake abschlecken. Ob es ihr passt, ob es ihr „Geburtstag“ ist oder auch nicht, spielt im Moment keine Rolle. Man will den Kuchen jetzt, nicht erst morgen. Man kann nicht warten. Nicht einmal die eigenen „Geburtstagskerzen“ darf sie ausblasen. Krass. Aber es geht eben nicht um sie, sondern um ihren Körper, den „Apfel“ von Genesis eben. Sie können auch fast gar nicht anders mehr. Eine Abhängigkeit von der eigenen Gier ist entstanden.
Die von ihrer gierigen Abhängigkeit getriebenen Adam und Eva vergessen den größeren Kontext, vergessen das Ganze, sehen nur noch den Apfel und werden dadurch blind. Genesis sagt zwar, dass ihnen dabei die „Augen aufgehen“ – aber sie gehen auf, um ihre Nacktheit als ein Problem zu entdecken. Wo Nacktheit vorher Quelle der Freude und des gegenseitigen Erkennens war, mussten sie sich jetzt beide voreinander und vor Gott verstecken, sie heften Feigenblätter zusammen und bauen Mauern auf. Sie werden blind für die wahre Bedeutung der Nacktheit ihres eigenen Körpers, dessen sie sich jetzt zu schämen beginnen.
Leidenschaft und Ekstase
Am Anfang war die Nacktheit von Adam und Eva für beide kein Problem. Die Nacktheit war die Atmosphäre ihrer gegenseitigen Hingabe. Sie konnten „nackt“ sein, ohne Masken oder Vorbehalte ihre Beziehung leben. Sie konnten leidenschaftlich sein, ohne dass diese Leidenschaft in Begierde degenerierte und sich in Abhängigkeit wandelte. Im Gegenteil, die Leidenschaft war der Stoff, aus dem die Liebe aufgebaut wurde. Die Ausrichtung der Leidenschaft ist ja nicht mit einer Konsumorientierung gleichzusetzen. Leidenschaft „hat nicht den Genuss um seiner selbst willen als ihr Ziel. Es ist einfach eine natürliche Ausrichtung.“ (Johannes Paul II.) Die Frage ist einfach, wie mit dieser Ausrichtung umgegangen wird, wie man sie gestaltet, welchen Inhalt man ihr gibt. Die Ausrichtung kann für den Egoismus, aber auch für die Liebe verwendet werden.
Am „Anfang“ gab es keinen Widerspruch zwischen dem Eros (leidenschaftliche, verlangende Liebe) und Agape (sich schenkende Liebe). Denn der Eros wurde in die Agape integriert. Wie Benedikt XVI. erinnerte, „Ja, Liebe ist, Ekstase’, aber Ekstase nicht im Sinn des rauschhaften Augenblicks, sondern Ekstase als ständiger Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung.“ Liebe ist kein masochistisches Tun, keine Selbstkasteiung, Selbstaufgabe. Liebe ist leidenschaftlich, aber Leidenschaft für den anderen. Liebe kann Ekstase werden (das, wodurch der Liebende aus sich selbst heraustritt, „um eine vollere Existenz in einem anderen zu finden“, um wieder mit Johannes Paul II. zu sprechen), aber im Moment, in dem die „Ekstase“ um ihrer selbst willen gesucht wird und nicht mehr der andere im Vordergrund der Leidenschaft steht, sterben die Liebe und die Ekstase. Der um seiner selbst willen gesuchte „rauschhafte Augenblick“ verfällt im Nichts.
„Wenn Eros zunächst vor allem verlangend, aufsteigend ist — Faszination durch die große Verheißung des Glücks —, so wird er im Zugehen auf den anderen immer weniger nach sich selber fragen, immer mehr das Glück des anderen wollen, immer mehr sich um ihn sorgen, sich schenken, für ihn da sein wollen. Das Moment der Agape tritt in ihn ein, andernfalls verfällt er und verliert auch sein eigenes Wesen.“ […] In Gott sind Eros und Agape eins, sein Eros für den Menschen ist Agape. Sein leidenschaftliches Verlangen ist es, sich den Menschen zu geben, „Der Eros Gottes für den Menschen ist […] zugleich ganz und gar Agape.“
Benedikt XVI., Deus Caritas est, 10.
Das leidenschaftliche Verlangen, „Eros“, findet seinen Sinn und Zweck, wenn es auf Ganzheitlichkeit, auf den ganzen Menschen ausgerichtet ist. Der gereinigte und erhobene Eros ist durchtränkt von Agape und findet so seinen eigentlichen Sinn. Ein von Agape durchdrungener Eros findet sich erweitert und beflügelt und bestärkt wieder. Die zur Abhängigkeit führende Gier lässt den Eros abstumpfen, macht ihn schwächer, braucht immer mehr und mehr Reize, um ihn zu erwecken. Verlangen hingegen, welches sich mit Agape verbündet und eins mit ihr wird, stärkt den Eros und die damit verbundene Erfahrung von sexuellen Werten.
Die Feigenblätter von Genesis sind Zeichen der Gier: Die Frau, der Mann muss sich vor dem anderen verstecken. Adam wird eine Gefahr für Eva, Eva für Adam, sie schützen sich voreinander, vor dem Begehrenden, der möglicherweise den Rausch des Augenblicks suchen wird, aber den anderen dabei immer mehr vergisst. Angst breitet sich aus, weil das leidenschaftliche Verlangen, vorher ein Zeichen des Ehrens und der Intensität der Liebe, jetzt doch Gefahr läuft, nur eine Hülle für lechzende Gier zu sein. Und doch bleibt die Sehnsucht des Anfangs, nach einer Nacktheit „ohne Scham“, nach einem Begehren, das sich immer mehr in ein Verlangen nach Hingabe verwandeln lässt; Verlangen, das immer mehr Ekstase wird, solange nicht die Ekstase, sondern der andere im Zentrum bleibt.
Dieser leidenschaftlichen Sehnsucht nachzugehen, sich nicht mit weniger zufrieden zugeben, das wünsche ich mir, das wünsche ich euch.
Dieser Beitrag gibt einige Ideen aus dem 6. Kapitel meines Buches „God, Sex & Soul“ ergänzt und überarbeitet wieder.
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