Nach 10 Jahren pastoralem Wirken in Wien hatte ich 2012 den Eindruck, dass die Präsenz unserer Ordensgemeinschaft in Wien irrelevant war. Ja, es gab hier und dort schöne pastorale Erfahrungen. Aber am Ende des Tages war es uns nicht gelungen, etwas von tragendem Wert aufzubauen. Ich fühlte mich wie ein Tropfen Wasser auf einem heißen Stein. Einem befreundeten Dechant unserer Stadt ging es ähnlich. Er hatte in seiner Pfarre die trostlose Erfahrung gemacht, dass nur ein einziges Kind aus einem Jahrgang zum Erstkommunionunterricht angemeldet war. Wir hatten kaum noch junge Menschen in unseren Kirchen. Man sprach von einem Prozent Kirchenbesuch bei Menschen unter 35. Und trotzdem hatte ich den Eindruck, immer viel zu viel zu tun zu haben.

Mir wurde es irgendwann zu viel. Oder zu wenig. Das konnte nicht so weitergehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Herr das wollte, dass immer weniger Menschen noch einen Draht zu ihm hatten. Damals traf ich eine Entscheidung. Angesichts der enormen Herausforderung würde es kaum einen Unterschied machen, ob ich täglich ein wenig mehr oder weniger Zeit meinen doch viel zu vielen Aufgaben widmen würde. Als Ordensmann hatte ich 3 bis 4 Stunden tägliche Gebetszeit. Ich entschied, die noch um eine zusätzliche tägliche Anbetungszeit zu erweitern. Eine Kleinigkeit eigentlich. Und doch. Rückblickend war das eine meiner besten Entscheidungen. Weil sie mir selbst geholfen hat, einen Mentalitätswandel zu vollziehen. Weil sie mir vor Augen geführt hat, dass nicht ich der „Herr der Ernte“ (Mt 9,38) bin. Dass „wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut.“ (Ps. 127, 1) Die Quellen für fruchtbares Wirken im Weinberg des Herrn liegen in unseren Strategien und Strukturen nicht an erster Stelle, sondern in den tiefen Gewässern der Gnade Gottes.

Johannes Paul II., Gebet und Mission

Johannes Paul II. hat das zwei Wochen vor seinem Tod, am 17. März 2005, in seiner letzten Ansprache an die Jugendlichen von Rom beeindruckend dargestellt: „Müssen wir aber nicht gleichzeitig dem hl. Johannes vom Kreuz recht geben, der zu sagen pflegte: »Jene, die sehr aktiv sind und meinen, mit ihren Moralpredigten und mit ihren äußeren Werken die Welt zu umfassen, sollen sich daran erinnern, dass sie für die Kirche von größerem Nutzen und Gott viel willkommener wären, wenn sie, ohne von dem guten Beispiel zu reden, das sie geben würden, wenigstens die Hälfte der Zeit damit zu verbringen, bei Ihm im Gebet zu verweilen?« Jesus, hilf uns zu begreifen, dass wir für das »Tun« in deiner Kirche, auch in dem so dringlichen Bereich der Neuevangelisierung, zunächst lernen müssen zu »sein«, das heißt, bei dir zu sein in der Anbetung, in deiner angenehmen Gesellschaft. Allein aus einer innigen Gemeinschaft mit dir erwächst die echte, wirksame, wahre apostolische Tätigkeit.“ – Starke Worte eines Papstes, der nicht gerade mit beiden Händen in den Hosentaschen herumgelaufen ist … Er war missionarisch sehr aktiv. Und doch. Er wusste, wie er die Prioritäten zu setzen hatte.

 

Ich freue mich sehr, dass wir dieses Jahr das Thema Gebet als unseren Jahresschwerpunkt gewählt haben. Denn Johannes Hartl hatte so recht, als er sagte; „Gebet ist nicht alles, aber ohne Gebet ist alles nichts.“ Das Gebet muss in der Tat das Fundament sein, auf dem wir alles aufbauen. Missionarische Kirche zu sein heißt zuallererst einmal, eine betende Kirche zu sein. Das ist ein Glaubensakt. Es ist der Glaube, der uns erinnert, dass Jesus vor großen Entscheidungen, wie der Wahl der Jünger oder dem Vollzug des Karfreitags, die ganze Nacht im Gebet verbracht hat. Es ist der Glaube, der uns daran erinnert, dass wir ja nur Mitarbeiter sind, dass Gott es ist, der der zarten Saat das Wachstum verleiht, die er selbst in die Herzen der Menschen sät.

Edith Stein und die entscheidende Wendungen der Weltgeschichte

Die hl. Edith Stein hat uns inmitten der Wirren des 2. Weltkrieges vor Augen geführt, worauf es in der Mission eigentlich ankommt: „Das letztlich Tragende ist das innere Leben; die Bildung geht von innen nach außen. Je tiefer eine Seele mit GOTT verbunden ist, je restloser der Gnade hingegeben, desto stärker wird ihr Einfluss auf die Kirche sein. Umgekehrt: je mehr eine Zeit in die Nacht der Sünde und Gottesferne versunken ist, desto mehr bedarf sie der gottverbundenen Seelen. Und Gott lässt es auch daran nicht fehlen. Aus der dunkelsten Nacht treten die größten Propheten und Heiligengestalten hervor. Aber zum großen Teil bleibt der gestaltende Strom des mystischen Lebens unsichtbar. Sicherlich werden die entscheidenden Wendungen in der Weltgeschichte wesentlich mitbestimmt durch Seelen, von denen kein Geschichtsbuch etwas meldet. Und welchen Seelen wir die entscheidenden Wendungen in unserem persönlichen Leben verdanken, das werden wir auch erst an dem Tag erfahren, an dem alles Verborgene offenbar wird.“ Edith Stein. (Verborgenes Leben und Epiphanie. 6. 1. 1940.)

Wir werden Spuren in dieser Stadt und darüber hinaus hinterlassen, wenn es nicht unsere Spuren sind, sondern seine. Die des Herrn. Wir können entzünden, wenn wir selbst entzündet sind. Wir können einer dürstenden Welt Wasser austeilen, wenn wir selbst Quellen für dieses göttliche Wasser geworden sind. Dieser Ort wird ein Ort werden, wo Menschen Gott begegnen dürfen, wenn wir ihm täglich begegnen. Wenn wir eine tiefe Beziehung mit ihm leben. Wenn wir Menschen eines tiefen inneren Lebens sind. Wenn wir uns vom Herrn immer mehr verwandeln lassen. Wenn er Herr in unserem Leben sein darf. Wenn die Beziehung mit dem Herrn, wenn das Gebet die Priorität #1 in unserem Leben ist. Und wenn dieses Gebet keine ängstliche Flucht vor unserer Verantwortung für unsere Mitmenschen ist, sondern Kraftquelle unserer Hingabe wird. Wenn es das ist, was unserem Tun vorausgeht, es begleitet und nachher bekräftigt.

Gebetskultur als Entscheidungskriterium im Zentrum Johannes Paul II.

Das Gebet als das Fundament von allem zu machen, ist der Beweggrund für viele Entscheidungen, die im Zentrum getroffen werden. Da ist zum einen 24/7. Am liebsten nicht nur einmal im Monat, sondern irgendwann 24/365. Das ist der Grund für die Stunden über Stunden, die unser Pastoralteam in die geistliche Begleitung von Einzelnen investiert. Aus dem Bewusstsein heraus, dass das Wichtigste, was wir tun können, in dem besteht, andere Menschen in ihrer Beziehung mit dem Herrn zu unterstützen, ihnen zu helfen, tiefe Beter zu werden, Menschen, die immer mehr sagen können: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20). Das ist der Grund, warum wir zum Beginn eines jeden Treffens, Meetings, Events, einer jeden Besprechung, was auch immer, mit einem Gebet starten. Und nicht mal schnell-schnell, sodass wir gleich zum Eigentlichen kommen können, sondern sich ruhig die Zeit nehmen, hinzuhören, den Geist Gottes anzurufen, einen Raum zu eröffnen, wo Eindrücke entstehen können, Dank aussprechen, um Erleuchtung und Kraft zu bitten. Das ist auch der Grund, warum wir ruhig den Mut haben sollen, eine Teambesprechung oder eine Gruppenstunde zu unterbrechen, kurz oder auch etwas länger, um Licht, Klarheit oder einen Geist der Einheit zu erflehen, wenn wir merken, dass zum Beispiel gerade ein Unfriede im Raum ist. Das ist der Grund, warum wir dazu befähigen wollen, füreinander zu beten, wenn wir merken, dass sich jemand gerade in einer schwierigen Situation befindet. Das ist der Grund, warum es so wichtig für uns ist, dass Menschen lernen, was es heißt, mit Gott zu kommunizieren und eine Beziehung mit ihm aufzubauen und zu vertiefen.

Für mich war eine der schönsten und stärksten Erfahrungen der jüngsten Zeit der Weg, wie wir als Leitungsteam gemeinsam mit dem Zentrumsrat zu einer ganz wichtigen Entscheidung vordringen konnten. Drei Stunden lang haben wir in der Kapelle die Heilige Schrift gelesen, um Licht und Erleuchtung gebeten, hingehört, Eindrücke ausgetauscht … und obwohl wir zu Beginn sehr unterschiedliche Meinungen hatten, fiel die Abschlusswahl einheitlich, ohne abweichende Stimme aus. Ein kleines Wunder der Gnade. Wir können Gott nicht zum Eingreifen zwingen. Aber wir können sein Eingreifen verhindern, indem er gar keinen Raum erhält, wo er das tun könnte. Weil wir so busy sind, selbst Lösungen zu schaffen, dass wir seine Stimme gar nicht hören können.

Es ist interessant, dass die Atmosphäre, die durch den Geist des Gebets geschaffen wird, genau das ist, was viele ansprechen, wenn sie das Zentrum Johannes Paul II. besuchen. Gerade heute bekam ich wieder die Rückmeldung eines Besuchers, dass man hier etwas ganz Besonderes spüre, eine geistige Kraft, die er hoffentlich wenigstens teilweise mit nach Hause nehmen dürfe. Ich glaube, wir dürfen wirklich dankbar sein für das, was der Herr hier tut, WEIL wir darum bemüht sind, SEINEM Wirken einen Raum zu eröffnen … und nicht versuchen, alles selbst zu bewerkstelligen. Wir erwarten, dass er auftaucht, dass er eingreift, dass er tut. Danke für dieses euer Zeugnis. Und doch. Ich glaube, es ist uns allen ein Anliegen, nicht stehenzubleiben. Dem Herrn noch näherzukommen. Seiner Einladung folgend jeglichen Aktivismus zu vermeiden, der darin besteht, dem eigenen Tun eine zu große Rolle einzuräumen und sich mit einem mittelmäßigen Gebetsleben zufriedenzugeben.

Vielleicht kann die bevorstehende Fastenzeit eine Gelegenheit sein, um unser Gebetsleben neu vor den Herrn zu bringen und ihn zu fragen, wo er mich einlädt zu wachsen, wie ich hier tiefergehen kann. Das Gebet ist nicht alles, aber ohne Gebet ist alles nichts. Lasst uns das nicht vergessen.

Gottes Segen,

P. George LC