Ich fand die drei Vorlesungen, die Johannes Hartl am 15. und 16. Dezember im Stift Heiligenkreuz zum Thema Spiritualität gehalten hat, sehr bereichernd. Auch gerade im Blick auf die Vision des Zentrums Johannes Paul II.: Fernstehende Menschen für Jesus und den Glauben zu begeistern, sie zur missionarischen Jüngerschaft befähigen. Die essenzielle Frage für die Kirche, gemäß Johannes Hartl, lautet heute: Wie erreichen wir Menschen, die nicht glauben, für den Glauben? Viele Fragen, die wir in der Kirche stellen, haben nur dann Sinn, wenn es überhaupt noch Menschen gibt, die glauben. Das aus den Augen zu verlieren ist wie über die Tischdeckenfarben im Restaurant der Titanic zu diskutieren. Wenn in meinem  Restaurant Salmonelleninfektionen ausgebrochen sind, dann sind ziemlich alle anderen Fragen egal, solange ich dieses Problem nicht geklärt habe. Die Frage „wie Menschen für den Glauben gewinnen?“ ist die Frage des Eisbergs.

 

Um auf diese Frage zu antworten, lädt Johannes Hartl ein, erst mal zu schauen, was denn im Bereich von Spiritualität heute gelebt wird. Er schaut auf die die Rede von Paulus am Areopag in Athen, besonders auf
1. seine Haltung und seinen Versuch, eine Brücke zu den Zuhörern zu bauen, bzw. diese zu suchen,
2. das Gute anzuerkennen, was da ist,
3. zu unterscheiden, was nicht mit dem christlichen Glauben übereinstimmt und was sehr wohl dienlich sein kann.

 

Johannes Hartl spricht von 9 Thesen der Spiritualität im säkularen Mainstream und findet für jede These 4 positive Aspekte und 3 negative. Ohne in die Details seiner positiven und negativen Aspekte einzusteigen, wäre es eine interessante Übung zu überlegen, was an folgenden Thesen christlich positiv ist und was nicht.

Authentizität: Mein Ich-Kern hat stark mit Gefühlen zu tun und ich bin authentisch, wenn ich das auslebe, was ich im Inneren fühle …
Körperlichkeit: Der Körper eröffnet Zugang zu einer Wahrheit, die nicht rein rational ist.
Praxisnähe: Spiritualität ist mehr etwas, das man aktiv tut, als nur eine Lehre …
Gesundheit. Ziel spirituellen Wachstums ist ganzheitliches Heilwerden.
Psychologie: Emotionales Heilwerden und spirituelles Wachstum sind ineinander verflochten und kaum trennbar.
Nicht exklusiv: Es gibt viele Wege, die sich alle komplementär ergänzen können.
Erfahrungsnähe: das Echte kann man auch spüren. Wenn ich es nicht erfahren kann, dann ist es nicht für mich relevant.
„Wissenschaftlichkeit“: Man versucht spirituelle Erkenntnisse wissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich zu begründen.
Akzeptanz: Es gibt einen Grundkonsens: Achtsamkeit für den anderen, im Letzten ist alles Liebe – und wenn man das anerkennt, wird es sich manifestieren.

Im letzten Vortrag spricht er von 11 Ansätzen, die uns helfen können, um Wege zu finden, Menschen, die „spirituell“ offen sind, für den Glauben zu erreichen:

  1. Die Frage verstehen, bevor man eine Antwort liefert.
  2. Nicht pauschalisieren und verurteilen.
  3. Den Areopag zu kennen.
  4. Inmitten des Glaubens sprachfähig zu werden. Manchmal können wir über Randthemen ganz gut reden, aber dann über die wichtigen Fragen: Wer ist Jesus? Wie geht Gebet? Gibt es Gott? …

Diese ersten vier Ansätze erklären, warum wir einladen, dass alle im Zentrum wenigstens einmal einen Alpha Kurs durchlaufen (am 18. Jänner ist übrigens Start für die nächste Runde). Alpha versucht ein Ort zu sein, wo Fernstehende ihre Fragen stellen können und wo Christen lernen können, diese Fragen wirklich zu verstehen, auch erst mal stehen zu lassen, Brücken für den Dialog zu suchen und rund um wesentliche Aspekte des Glaubens sprachfähig zu werden. Außerdem steht Christus ganz klar im Zentrum, was der fünfte Punkt von Johannes Hartl ist:

  1. Vieles in der „spirituellen“ Szene ist im Letzten egozentrisch und lässt vereinsamen. Es geht um eine Beziehung mit jemand, der mich erlöst hat. Deswegen steht übrigens „Eucharistie“ so im Zentrum des Zentrums JPII. Es geht um Jesus selbst, dem wir in der Anbetung, aber vor allem in den Messen am Wochenende begegnen. Das tut er, indem er uns sein Wort in den Lesungen reicht, diese in der Predigt ausgelegt werden, und sich selbst dann in der Eucharistie schenkt. Wir versuchen das gesamte Geschehen des Zentrums um dieses „Zentrum“, das er selbst ist, aufzubauen.
  2. Eine Zielgruppe auswählen. Man kann nicht alles machen. Für uns im Zentrum haben wir unsere Zielgruppe „Lukas“ genannt. Er ist zwischen 18 und 40 (nicht, dass wir nicht andere Zielgruppen bedienen, aber wir versuchen, erst mal ihn zu erreichen, in der Hoffnung, dass er dann auch seine Familie bzw. Freundin/Freunde bringt), offen für spirituelle Angebote (auch wenn die nicht unbedingt christlich sind), sucht persönliches Wachstum, wurde irgendwann mal getauft, ist aber nicht unbedingt praktizierend oder offizieller Teil der katholischen Kirche. Er ist Qualität gewohnt, bildungsnahe, will etwas in der Welt bewegen. Sucht Authentizität, aber nicht nur rationale Antworten, sondern auch Erfahrungen. Sucht Beispiele von Menschen, die emotional ausgeglichen und ganzheitlich leben. Ist offen für Ansätze, die ihm praktisch und nicht nur theoretisch weiterhelfen.
  3. Herzlich und klar werbend. Viele Informationen, zum Beispiel auf kirchlichen Webseiten, setzen voraus, dass sie von Nicht-Gläubigen niemals angesehen werden und sprechen eine Sprache, die diese nicht verstehen, und über Themen, die sie nicht interessieren. Darum versuchen wir, unsere Instagram-, YouTube- und Webseite-Auftritte eher an Außenstehenden auszurichten. Sicherlich kann das noch besser werden.
  4. Emotional gesund
  5. Authentisch geistliches Leben.

Die letzten beiden Punkte haben mit dem Jüngerschaftsweg zu tun. Eigentlich sollte alles, was wir im Zentrum tun, darauf ausgerichtet sein, ganzheitlich Jesus nachzufolgen. Das ist auch der Grund, warum wir auch das Heilungsgebet anbieten und die Regnum Christi-„Blessed“-Heilungsexerzitien nach Wien holen wollen. Aber dieser Bereich ist für mich persönlich Grund für die eigene Gewissenserforschung. Lebe ich Nachfolge – und die ganzheitlich?

  1. Befreiter Umgang mit der eigenen Körperlichkeit. Einer der Gründe, warum wir in der Vergangenheit viel zum Thema „Theologie des Leibes“ gemacht haben und ich ein Buch zum Thema geschrieben habe … vielleicht sollten wir das wieder aufgreifen.
  2. Intensiver Gebetseinsatz. Theoretisch wollen wir das. Aber ich glaube: Hier ist noch viel Luft nach oben. Vor allem, um unsere missionarischen Veranstaltungen noch stärker im Gebet und Fasten zu begleiten.

 

Die Hartl-Vorträge kannst du hier anhören: Teil 1. Teil 2. Teil 3.

 

God bless!

P. George LC