#Berufungsblog Nr. 9

Eine Frage, die sich jeder stellen sollte, der über eine Berufung nachdenkt ist, „habe ich überhaupt die Eignung zum Priester“? Wenn ein Ziel zu erreichen ist, braucht es ein dafür angemessenes Mittel. Durch das Mittel wird das Ziel erreicht. New York kann von Wien aus nur dann besucht werden, wenn ein Flugzeug, ein Schiff oder eine sehr ausgeprägte Schwimmfähigkeit zur Verfügung steht. Priestersein und auch das Eheleben setzen gewisse Fähigkeiten voraus. In diesem Blockbeitrag wird auf folgende Fragen eingegangen: Was können die Eigenschaften über die Berufung aussagen? Ist man für diesen oder jenen Berufungsweg geeignet? Sind die eigenen Begabungen und Eigenschaften ein Hinweis für die Richtung, die einzuschlagen ist?

Die Eignung – Was sind meine Eigenschaften?

Gleich zu Beginn ist festzuhalten, dass die Frage nach der Eignung keine moralische Bewertung beinhaltet. Persönliche Eigenschaften sind von sich aus nicht gut, aber auch nicht schlecht. Die moralische Bewertung liegt nämlich nicht auf dem Niveau der Eignungen, sondern auf dem Niveau der Entscheidungen. Wozu benutze ich diese Eigenschaft, um Gutes oder Böses zu tun? Die Eigenschaften sind vielmehr gegebene oder erworbene Merkmale einer Persönlichkeit, die eine Perspektive bei der Wahl einer Berufung oder eines Berufes aufzeigen können. Manche Eigenschaften können vorübergehend sein, Veränderungen sind möglich.

Andere Eigenschaften sind von einer viel stabileren Art und lassen kaum oder nur wenig Änderung zu. Das heißt, manche Eigenschaften kann man erwerben, auch wenn man sie noch nicht hat (Klavier spielen, Hilfsbereitschaft) oder auch ablegen (Kritiksucht, Besserwisserei, Urteilshärte). Andere Eigenschaften aber sind eher Teil der Person oder der Persönlichkeitsstruktur und erlauben keine oder nur wenig Änderung (Blindheit, manche Formen der emotionalen Unausgeglichenheit, Legasthenie usw.). Natürlich sind nicht alle Eigenschaften oder deren Mangel ausschlaggebend für die Berufungsfindung. Ob ein Priesteramtskandidat Klavierspieler ist oder nicht, ist dem Verantwortlichen für die Zulassung der Kandidaten eher gleichgültig. Um herauszufinden, ob ein entscheidender Faktor von momentaner Dauer oder struktureller Art ist, kann es hilfreich und manchmal erforderlich sein, Expertenmeinungen einzuholen (Arzt, Psychologe, …). Johannes Paul II. schrieb in einem Brief zur Vorbereitung auf den Weltjugendtag in Köln 2005: „Es ist wichtig, liebe Freunde, die Zeichen zu ergründen, durch die uns Gott ruft und führt.“ Eines der ersten Zeichen, die es zu lesen gilt, sind wir selbst. Daher ist es sinnvoll, sich mit seinen Eigenschaften auseinanderzusetzen – die meisten sind allerdings nur Hinweise. Das heißt, sie können helfen ein Gesamtbild zu schaffen, aber einzelne Eigenschaften oder deren Mangel sollten in der Regel nicht die einzige Grundlage für eine Entscheidung sein.

Körperliche Eigenschaften

Ich erinnere mich an einen Bericht eines Missionars in den Northwest Territories im Norden Kanadas. Er erzählte, wie er im tiefen Winter wochenlang im Freien unterwegs gewesen sei, wie sich der Qualm des Lagerfeuers bei minus 50, 60 oder 70 Grad Celsius unterschiedlich verhalten habe. Das waren harte Leute. Deren Berufung war nicht für jedermann geeignet. Ein von Asthma geplagter Mann sollte nicht versuchen, Fußballspieler in der Bundesliga zu werden. Mein Vater wollte Kampfjetpilot werden. Sein Wunsch scheiterte an seinem Augenleiden. Eine gute Bekannte will bei den Missionaren der Nächstenliebe von Mutter Teresa eintreten. Es ist ihr zweiter Versuch. Sie musste wegen gesundheitlicher Probleme eine Auszeit nehmen. Für mich ist sie ein großes Vorbild der Liebe für den Herrn und den Nächsten. Aber die Zeit wird zeigen, ob das ihr Weg ist oder nicht. Das heißt, wenn Gott für einen Menschen ein Ziel hat, dann muss er ihn mit den dafür notwendigen Mitteln ausstatten. Er muss geeignet genug sein, um das tun zu können, was die Berufung ihm abverlangen wird – und da gehören auch die körperliche Gesundheit beziehungsweise die körperlichen Möglichkeiten dazu, die für das Leben dieser Berufung notwendig sind.

Seelische Eigenschaften

Auch hier gilt: Jemand ist seelisch oder körperlichen geeignet, wenn er fähig ist, das auszuüben, was diese Berufung von ihm verlangen wird. Da es hier auch um Aspekte geht, die nicht sofort ersichtlich sind, ist dieser Bereich viel schwieriger zu beurteilen als jener

der physischen Gesundheit. Auch muss unterschieden werden, ob es um ein momentanes oder strukturelles, dauerhaftes Verhalten geht. In Bezug auf eine geistliche Berufung geht es hier um folgende sechs Eigenschaften:

  1. Unterscheidungsfähigkeit. Wenn jemand überlegt,Priester zu werden, braucht er die Fähigkeit, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem unterscheiden zu können. Das ist eine Eigenschaft, die beispielsweise in der Seelenführung und geistigen Begleitung unverzichtbar ist.
  1. Ein lebendiger Glaube. Er steht im Gegensatz zu einem überdimensionalen Rationalismus, einer Tendenz, alles nur mit der Vernunft zu sehen, was es dem Glauben durch andauernd auftretende Zweifel sehr schwer macht. Damit sind nicht Fragen gemeint, mit denen sich jeder einmal konfrontiert weiß, wie zum Beispiel die Frage nach dem Leid, sondern eine strukturell veranlagte Psyche, die alles in Frage stellt. Eine solche Person wird in der Regelnicht die richtige sein, um einem Orden beizutreten, der sich vor allem der Ausbildung von Katecheten widmet.
  1. Ein funktionierender Wille. Ein gut funktionierender Wille hat gelernt zu entscheiden und versucht, sich auf das Gute auszurichten. Ein nicht funktionierender Wille drückt sich in einer Entscheidungsunfähigkeit aus. Die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, macht die Nachfolge der Berufung zum gottgeweihten Leben, aber auch zur Ehe schwierig, da die notwendige Tiefe und Tragweite der dafür notwendigen Entscheidung nicht gesichert sind.
  1. Ein funktionierendes Gewissen. Das Gewissen ist die Urteilskraft des Menschen, die ihn dazu befähigt, den moralischen Wert einer Handlung vor, während und nach dieser Handlung zu beurteilen. Das Gewissen lädt einen beispielsweise, ehe man über andere herzieht, ein: „Tu das nicht!“ Während man es tut, besteht es darauf: „Das sollst du nicht tun!“ Und danach spricht es selbst das Urteil:„Das hättest du nicht tun sollen!“ Bevor jemand über eine Berufung entscheiden kann, muss er in der Lage sein, die moralische Urteilskraft des Gewissens richtig zu nutzen. Er muss fähig sein, Entscheidungen nach seinem Gewissen zu treffen und diese getroffenen Entscheidungen beurteilen zu können, das heißt, Gutes als gut und Schlechtes als schlecht identifizieren zu können. Je fähiger man ist, das im Kleinen zu tun, umso mehr wird man es in einer großen Entscheidung können. Das Gewissen kann man bilden, aber auch durch wiederholtes Handeln gegen die eigene Urteilskraft verformen. Ich erinnere mich an jemanden, der mir versicherte: „Wirklich, ich fühle mich nicht schlecht dabei!“ Ich fragte: „Und wie hast du dich beim ersten oder zweiten Mal dabei gefühlt?“ Worauf es bei ihm Klick machte, Gott sei Dank! Wie kann man den großen Traum träumen, sein Leben in Liebe einem Menschen schenken, wenn man im Alltag dauernd gegen diese Liebe im Kleinen verstößt, durch harte Worte, Vernachlässigen der eigenen Pflichten, vorschnelles Urteilen, Unehrlichkeit und andere Lieblosigkeiten und vor allem, wenn einem das nicht bewusst ist?

Diese Serie “Wohin? Finde deine Berufung!” stammt aus seinem Buch mit dem gleichnamigen Titel, mehr auf www.wohinberufung.com/ Bild: Pixabay (Stand 28.01.2015)