Ein Flashback von Wahnsinn
Wahnsinn, so lautet das erste Wort unserer jüngsten Kunstausstellung, die am Freitagabend eröffnet wurde. Am Samstag feierte ich dann die Messe in unserer Pfarre St. Othmar, und da hat es mich ordentlich erwischt. Während der Wandlung kam mir ein Flashback vom Freitagabend. Ich hatte mich gerade durch die verschiedenen Werke in der Finsternis der Unterkirche gerungen. Gerungen, weil es nicht gerade einfach war, in dieser düsteren Stimmung das Thema Wahnsinn an sich heranzulassen. Gerade beim Werk von Silvia Bischof merkte ich sofort: Wow, da steckt viel drin, da muss ich später mit mehr Zeit und Muße zurückkommen. 7 menschenhohe Nadeln hängen in einem engen Kreis direkt unter dem in der Oberkirche stehenden Altar der Verkündigung. Der Platz zwischen den Nadeln war genau groß genug, um sich in deren Mitte begeben und aufrecht stehen zu können. „Bei dem Kreuz Jesu stand seine Mutter“ (Joh 19,25). Nadeln. Allein das Betrachten dieser Nadeln kann das Trauma wieder hochkommen lassen. Die Erinnerung an ein Damals, das dann wie das Heute erscheint. Und doch. Ohne Nadeln können manche Wunden nicht geheilt werden, besonders, wenn sie größer sind. Und sie tun weh. Und doch heilen sie. Sieben Nadeln. Sieben Schmerzen. Aber oben ist Verkündigung. Oben kommt der, der selber durchbohrt wurde, sodass wir durch seine Wunden geheilt werden. (vgl. Jes 53,5 & 1 Petr 2,24)
Das musste man erst mal verdauen. Aber dann war ich oben. Dann hörte ich den Kommentar unseres Kurators, der gerade über den göttlichen Wahnsinn sprach. In der Oberkirche, dort, wo wir das zweite Thema dieser Ausstellung „Madness & Mysticism“ (Wahnsinn und Mystik) behandelt haben. Es ging zu einem um die Box, die im Zentrum des Hochaltars stand. Es ging aber auch um das Objekt in einem Ausstellungskasten an der Seite der Kirche, worin das enthalten war, was katholische Christen eine Monstranz nennen. Man erklärte, wie Katholiken sofort in die Knie gehen, wenn dieses Objekt, die Monstranz, auf dem Hochaltar über die dortige Box, den sogenannten Tabernakel, gestellt wird. Inmitten der Monstranz befindet sich eine weiße Scheibe, goldene Strahlen gehen von ihr aus. Als wäre es ein Schnitt aus dem Herzen Gottes. Und die glauben sogar, dass diese Scheibe, ein Stück Brot, nicht nur ein Symbol für das Licht Gottes, das Jesus Christus den Menschen gebracht hat, sondern dass es sogar sein Fleisch und Blut, er selbst ist. Ziemlich wahnsinnige Idee.
Das war mein Flashback. Und jetzt war es Samstagmorgen, tags darauf. Jetzt befand ich mich in dieser Kirche, hielt ich diese Scheibe selbst in den Händen, es war der Moment der Wandlung. „Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt“. (Jes 53,5) „Das ist mein Leib“, (Lk 22,19) „der neue Bund in meinem Blut“. (1 Kor 11,25) Ziemlich verrückt. Und doch. Liebe macht verrückte Dinge. Für die Liebe selbst aber sind sie höchste Weisheit. Und wie würde es dann wohl mit der unendlichen Liebe ausschauen? Würde sie weniger wahnsinnig sein? Das Kreuz, ein Wahnsinn für die Griechen, ein Ärgernis für die Juden, für uns aber Gottes Kraft und Gottes Weisheit (Vgl. 1 Kor 1,24). Es wäre, als hätte mir jemand nach meinem Herzen gegriffen oder vielleicht sogar hineingestochen. Ich will nicht übertreiben. Wenn wir schon von Mystik reden, eine Ekstase war das nicht. Aber ein Moment der Berührung schon. Berührung von einer Wirklichkeit, die so tief sein kann, dass einem erst mal der Atem stockt, dass du eine ganze Seite brauchst zu erklären, was da in einem Augenblick passiert ist.
Vom Wahnsinn Gottes angesteckt
Aber darum bin ich ein wenig stolz auf diese junge Menschen, die sich hier im Zentrum Johannes Paul II. engagieren. Denn sie haben sich von diesem Wahnsinn Gottes anstecken lassen. Sein Geist beginnt in ihnen heftig zu wehen (vgl. Joh 3,8 & Apg 2,1). Viele von ihnen wollen und sehnen sich danach, dass dieser Geist der „Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2 Tim 1,7) immer mehr entfacht wird. Sie sind Menschen, die Schwächen und Sünden und Fehler haben wie wir alle. Und da möchte ich sie ermutigen sich zu erinnern: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“. (2 Kor 12,10) Oft genug haben wir gemeinsam über ein Wort des hl. Johannes Paul II. nachgedacht: Die Schwäche des Menschen, das ist nicht das letzte Wort über den Menschen. Sie wissen um ihre unfassbar große Berufung als Menschen, das Ziel aller christlichen Mystik: die Vereinigung mit keinem Geringeren als Gott selbst – eine Vereinigung, die uns aber zugleich in die Leidenschaft Gottes für die Welt hineinziehen will und hineinzieht, „damit auch wir zu Mitarbeitern für die Wahrheit werden“ (3 Joh 8), eine Wahrheit, die Jesus Christus heißt, den Menschen befreit und Garant seiner Würde ist. Sie wissen um diese Würde, „denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, sodass ihr euch immer noch fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, indem wir rufen: Abba, Vater!“ (Röm 8,15). Sie begreifen immer mehr, dass sie nicht nichts sind, sondern unendlich von Gott Geliebte, der sie dazu bestimmt hat, sein Wort immer stärker in diese Welt hineinzurufen. Sie fühlen sich berufen, vom Geist Ergriffene zu sein, Ergriffene, die aus der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus leben. Ob es „KunstGlaube“ oder „Looking Good“ heißt, „Young Professionals Ministry“ oder „iAdore“, ob „Theologie vom Fass“ oder „Kleingruppen Ministry“, ob bei „Alpha“ oder „Für Immer“ oder „Liebe Leben“ oder „Music Ministry“ oder „Medical Missions“ oder der Einsatz beim Umbau jetzt im Sommer, sodass wir den nächsten Schritt gehen und gemeinsam am 15 und 16. Oktober die Neueröffnung feiern können: Ich bin stolz auf sie, sie sind für mich Inspiration und es ist ein Geschenk und eine Ehre, mit solchen Menschen gemeinsam im Weinberg des Herrn zusammenzuarbeiten, gemeinsam zu beten und das Leben teilen zu dürfen. „Also, meine lieben Brüder, nach denen ich mich sehne, meine Freude und meine Krone, steht fest in dem Herrn, ihr Lieben“ (Phil 4,1).
Ach ja…
Ich hoffe, das hört sich jetzt nicht alles zu überschwänglich oder schwärmerisch an. Das soll es nicht sein. Aber ich wollte euch an dem teilhaben lassen, was mich gerade bewegt und zugleich Zeugnis gibt von der Kraft, die entstehen kann, wenn sich Menschen vom Geist entfachen lassen. Sich von ihm entfachen lassen, feststehen bleiben im Herrn – das wünsche ich Euch allen!
Dieser Blogbeitrag gibt die Einleitung unseres 15. tägigen Regnum Christi Newsletters überarbeitet und leicht abgeändert wieder.
Titelbild: WordSwag/pixabay