Hier werden fünf Aspekte näher betrachtet: merkwürdige Frömmigkeit, Ausgeglichenheit, krampfhafte Suche nach dem Außergewöhnlichen, intellektueller Stolz und die Bereitschaft zum Opfer.
Ausgeglichenheit
Ich war vor einiger Zeit bei einer Gebetsgruppe. Ich sollte dort ein Zeugnis geben. Alle hatten sicherlich die beste Absicht. Von 19.30 bis 24 Uhr wurde ein Rosenkranz nach dem anderen gebetet. Endlich war Zeit für das Zeugnis. Gott sei Dank waren davor noch Kaffee und Kuchen serviert worden. Auch Kinder unter zehn Jahren waren dabei, nicht nur bei Kaffee und Kuchen. Natürlich spricht nichts gegen das Rosenkranzgebet. Aber ich glaube, wenn diese Kinder 14 oder 15 Jahre alt sind, werden sie denken, ihre Eltern seien verrückt. Verrückt waren sie nicht, aber es fehlte eine gesunde Ausgeglichenheit. Sogar die hl. Theresia von Avila, die Reformerin der Karmelitinnen, hat ihren Schwestern nicht erlaubt, bei der Betrachtung eine gewisse Zeit zu überschreiten. Die Karmeliter beten mehr oder weniger den ganzen Tag über, aber mit Maß und Ziel. Es gibt eine Betrachtung, dann eine Pause, Erholung, dann Essen, Arbeit, das Stundengebet, dann wieder eine Betrachtung, ausgeglichen – und nicht alles auf einmal. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass man das Gebet als eine Art Magie betrachtet. Der Unterschied zwischen Gebet und Magie ist der, dass man sich bei der Magie der Gottheit – oder bei der schwarzen Magie des Teufels – gewissermaßen bedient und diese durch gewisse Formeln, die gesprochen werden, quasi auffordert, bestimmte Dinge zu tun. Beim Gebet zu Gott ist das ganz und gar nicht der Fall. Beim Gebet bitten wir, flehen wir, rufen wir um Hilfe. Aber es ist nicht so, dass Gott A, B oder C zu schenken hat, weil ich drei Rosenkränze hintereinander gebetet habe. Gott ist immer frei in seiner Gabe und frei in seinem Schenken. Man kann ihn nicht zwingen. Wer sein Leben Gott schenken will, sollte es nicht tun, weil er von Gott dafür etwas erwartet oder meint, dass dieser Schritt ihm besondere Rechte vor Gott verschafft.
Merkwürdige Frömmigkeit.
Stellen Sie sich beispielsweise jemanden vor, der eine besondere Zuneigung oder Beziehung zur hl. Philomena hat. Er betet also fünfmal am Tag eine Stunde lang einen Philomena-Rosenkranz und drängt andere dazu, das auch zu tun. Gleichzeitig vergisst er, dass andere Dinge wichtiger wären, wie zum Beispiel die Eucharistiefeier oder das Sakrament der Versöhnung. Ich denke da an eine Mutter. Sie war weltweit von einem Marienerscheinungsort zum anderen gepilgert. Sie kannte gleichzeitig die Botschaften von zehn solcher Orte auswendig. Leider vernachlässigte sie aber dadurch ihre Verpflichtungen zu Hause – dafür hatte sie keine Zeit mehr. Ihre Töchter dachten, sie sei ausgerastet. Das Schlimmste war, dass man sie nicht davon überzeugen konnte, dass sie etwas falsch machte. In ihrer Welt war alles in Ordnung. Nichts gegen die hl. Philomena und auch nichts gegen eine Philomena-Verehrung – es geht um die Ausgeglichenheit und um die richtige Wertung. Extreme, merkwürdige Frömmigkeitsübungen, die Fixierung auf nur eine Art des Gebetes und das Abwerten anderer Formen sind Anzeichen eines ungesunden geistlichen Lebens. Außerdem ist es meist der Fall, dass solche Personen sehr an der eigenen Meinung hängen und sich in geringem Maß hinterfragen lassen. Letztendlich ist das das größte Problem.
Krampfhafte Suche nach dem Außergewöhnlichen
-zum Beispiel nach Visionen oder gewissen außergewöhnlichen Charismen-
Jene, die echte Visionen haben, oder deren Beziehung zu Gott durch andere außergewöhnliche Gaben gekennzeichnet ist, sind zutiefst demütige Menschen Und bleiben es auch angesichts der empfangenen Gabe. Es wird eine gewisse Diskretion gewahrt. Der Empfänger dieser Gaben sieht klar, dass die Vision oder das besondere Charisma nicht das Wesen seines Glaubens ausmacht. Charismen sind Mittel, um zum Wesentlichen zu gelangen: Den Herrn mit ganzer Kraft und ganzem Herzen zu lieben und andere in diese Liebe zu ziehen. Die Liebe und die Beziehung zu Gott sind das Wesentliche – und nicht das Charisma. Das soll keine Geringschätzung der Charismen sein, sie sind wichtig, Geschenke des Herrn – und als solche sollten sie auch geachtet werden. Sie dürfen aber nicht um ihrer selbst willen gesucht werden, noch weniger, um die eigene Eitelkeit zu bestärken. Vielmehr dienen sie der Kirche und ihren Gliedern, um im Glauben zu wachsen.
Intellektueller Stolz.
Der Berufung nachzufolgen erfordert Demut: Anerkennen, dass man nicht das Kriterium aller Dinge ist, dass man nicht sofort alles reformieren und ändern kann, dass man nicht das Zentrum der Welt ist, dass man sich auch irren kann. Das harmonische Gemeinschaftsleben, der Gehorsam dem Bischof oder dem Ordensoberen gegenüber, das Zusammenarbeiten mit Mitbrüdern oder Mitschwestern ist mit Stolz schwer vereinbar. Natürlich kann jeder in der Demut wachsen. Wer sein Leben dem Herrn geweiht hat, ist nicht vollkommen. Gemeint ist also hier eher dieser Hang, alles zu kritisieren, alles zu hinterfragen, immer Recht haben zu wollen, niemals zurückstecken zu können. Bevor so jemand den Weg der Berufung gehen kann, muss er zeigen, dass Änderung möglich ist.
Bereitschaft zum Opfer
Schon das Wort Opfer kann negative Reaktionen hervorrufen. Wo es nur um Wellness geht, wird Opfer unverständlich. Dennoch ist das Opfer von tragender Bedeutung für beide Berufungen, sei es für die Ehe oder für jemanden, der sein Leben Gott weihen will. Warum das Opfer? Einfach deswegen, weil es keine Liebe ohne Opfer gibt, wie Benedikt XVI. in seiner Predigt zur Eröffnung des Paulusjahres am 28. Juni 2008 erklärte. Er zitierte damals Paulus, der am Ende seines Lebens angelangt im Gefängnis an Timotheus schreibt: „Leide mit mir für das Evangelium. Gott gibt dazu die Kraft“ (Tim 1,8). Woraufhin der Heilige Vater sich in das Thema vertiefte und sagte: „Die Aufgabe der Verkündigung und der Ruf zum Leiden um Christi Willen sind untrennbar miteinander verbunden.“ Da hofft man fast, man hätte Benedikt XVI. nicht richtig verstanden. Aber er geht noch weiter: „Der Ruf, Lehrer der Heiden zu sein, ist zugleich und von innen her ein Ruf in Gemeinschaft mit Christus, der uns durch seine Passion erlöst hat, zu leiden. In einer Welt, in der die Falschheit mächtig ist, bezahlt man für die Wahrheit mit Leiden. Derjenige, der versucht, dem Leiden aus dem Weg zu gehen, versucht das Leben selbst zu meiden. Er kann weder ein Diener der Wahrheit noch ein Diener des Glaubens sein.“ Darauf folgt ein starkes Wort:
„Es gibt keine Liebe ohne das Leiden […] Wo es nichts gibt, wofür es sich zu leiden lohnt, verliert sogar das Leben selbst seinen Wert.“
Diese Serie “Wohin? Finde deine Berufung!” entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC mit dem gleichnamigen Titel, mehr auf www.wohinberufung.com/ Foto: Pixabay (Stand: 11.02.2015)