Hier die Fortsetzung des letzten #Berufungsblog über das Betrachten meiner eigenen Vergangenheit
Die gewonnenen Ansichten und Überzeugungen aus der Vergangenheit tiefer betrachten
Wenn ich mir mein Leben wie ein Feld vorstelle, auf dem die Frucht heranwächst, kann ich sagen, dass meine Berufung auf zwei Äckern wuchs, die durch meine Vergangenheit und Prägungen bearbeitet worden waren. Den ersten Acker habe ich Die Zeit genannt. Durch viele Todesfälle, die sich um mich herum ergaben, wurde mir stärker bewusst, dass nur etwas mit Ewigkeitswert von bleibenden Wert war. Der zweite Acker hieß Die persönliche Liebe zu Jesus Christus. Denn ich hatte so viele liebevolle Menschen um mich herum, die von einer Liebe zu Jesus Christus ergriffen waren, dass in mir immer mehr der Wunsch heranwuchs, auch eine solche Beziehung zu leben. Gott war für mich nicht ein weit entfernter Gott, sondern jemand, der mir ganz nahe stand, den ich ganz persönlich kannte, zu dem ich sprechen konnte, der einen Namen hatte, ein Gesicht: Jesus Christus. Aber der springende Punkt ist: Das war geschichtlich bedingt. Das ist nicht auf meinem – Entschuldigung für den Ausdruck – Mist gewachsen. Das habe ich viele Jahre lang nicht verstanden. Und doch: Durch meine Lebensgeschichte begann Gott zu mir zu sprechen. Gott spricht tatsächlich durch Gegebenheiten und Lebensumstände. Man muss nur seine inneren Sinne, Augen und Ohren spitzen, um diese wahrzunehmen.
Nicht vergessen: Den eigenen Lebenslauf in der Gegenwart weiterschreiben
Wenn man über seinen Lebenslauf in der Berufungsfindung nachdenkt, sollten Gegenwart und Zukunft nicht vergessen werden. Es geht einerseits um die Möglichkeit, unsere Zukunft durch unsere Gegenwart zu prägen, andererseits darum, dass die Berufung eine dynamische Wirklichkeit ist, die nicht erst dann zum Tragen kommt, wenn wir angekommen sind und sie endlich gefunden haben. Sie kann uns schon heute tragen und leiten, das heißt, ehe wir angekommen sind. Durch die Gegenwart beeinflussen wir die Zukunft. Wenn ich noch nicht weiß, wo mein Leben hinführen soll, ist heute der beste Augenblick, um mich darauf vorzubereiten. Ein junger Mann, der ein echtes christliches Leben zu führen versucht, der den Herrn regelmäßig im Gebet, in der Heiligen Schrift, in der Anbetung aufsucht, der sich darum bemüht, dem Heiligen Geist in seinem Gewissen Raum zu geben, der die Nächstenliebe praktiziert, ist auf dem besten Weg, die Berufung zu entdecken. Ein Weg der Tugendübung erhellt die Pfade, der Egoismus benebelt oder verbaut sogar den Weg.
Stellen wir uns einen jungen Mann vor, der durch viele kleine Entscheidungen in seinem Leben letztlich alle möglichen Erfahrungen im Bereich der Sexualität gemacht hat. Er hat nicht nur täglich Pornographie konsumiert, sondern war jahrelang auch noch von harten Drogen abhängig. Er hat sogar die Bank an der Straßenecke ausgeraubt. Dann hatte er ein Bekehrungserlebnis und klopft nun an die Tür des Priesterseminars und bittet um Einlass. Sein Leben vor der Bekehrung ist Teil seines Lebenslaufes. Diese Vergangenheit prägt ihn auch heute, auch wenn Gott ihm alles vergeben hat. Die Prägungen bleiben, die Neigungen sind noch da. Auch könnte es gut sein, dass seine Psyche wegen des Drogenkonsums Schaden erlitten hat oder dass er Flashbacks bekommt. Natürlich kann auch er heilig werden, und er kann heute damit anfangen. Aber bevor er den Weg zum Priestertum oder in die Ehe antreten kann, muss er einiges aufarbeiten. Manchmal muss der Herr sogar ein richtiges Wunder wirken, damit jemand mit einer solchen Vergangenheit nicht nur an die Tür des Priesterseminars klopft, sondern sie auch wirklich durchschreitet.
Das soll nicht pessimistisch stimmen. Es gibt nichts, keinen Abgrund, keine Vergangenheit, aus der einen der Herr nicht herausholen kann. Kein Vergehen ist zu groß, dass er es nicht vergeben könnte. Denn er erlaubt das Böse nur, um etwas Besseres daraus zu machen. Ich kenne einen ehemaligen Drogenabhängigen, der heute wunderbar mit drogenabhängigen Jugendlichen arbeitet. Das kann er deswegen, weil er damals selbst im Drogensumpf steckte. www.loveismore.de hilft heute Tausenden von Pornographiesüchtigen, weil der Gründer selbst pornosüchtig war.
Das bedeutet nicht, dass nur Ohnehin-schon-Heilige eine Berufung haben. Im Gegenteil, wer sagt, er sei ohne Sünde, ist ein Lügner (vgl. 1 Joh 8,9). Wie Benedikt XVI. 2011 in Freiburg zu den Jugendlichen sagte: „Jesus schaut nicht darauf, wie oft wir fallen, sondern wie oft wir aufstehen.“ Auch der Heilige ist ein Sünder. Und oft kann gerade die Begegnung der eigenen Sündhaftigkeit mit der Liebe Gottes der Anlass für die Entdeckung der Berufung sein. Doch wir sollten uns dessen bewusst sein, dass uns die Vergangenheit geprägt hat und weiter prägen wird. Es ist nicht egal, wie wir leben, und auch heute prägt jede noch so kleine oder große Entscheidung unsere Zukunft. Wie wir leben, hat nicht nur uns, unseren Lebenslauf und unsere Berufung geprägt. Sondern die Geschichte, die wir jeden Tag mit unserem Leben weiterschreiben, prägt unsere Zukunft. Denn die Berufung ist dynamisch. Das will heißen: Sie ist für heute gegeben. Heute bittet uns der Herr ihm zu folgen, nicht erst morgen, wenn wir endlich herausgefunden haben, was er eigentlich will. „Herr, ich bitte dich nicht, dass du mir den ganzen Weg zeigst, aber bitte leite meinen nächsten Schritt.“
Der folgende Fall soll das verdeutlichen. Ich kenne einen jungen Mann, der seit Jahren um seine Berufung ringt. Er tritt einer Gemeinschaft bei, um Ordensbruder zu werden. Aber er ist sich noch nicht sicher, ob das der richtige Platz für ihn ist. Nach einer Weile meint er, eine Priesterberufung zu verspüren. Inzwischen aber befindet er sich in einer großen Trockenheit im Gebet. Was soll er tun? – Vor allem sollte er es vermeiden, der Frustration zu erliegen, seine Berufung immer noch nicht gefunden zu haben. Die Berufung beginnt nicht erst mit der
Priesterweihe. Sie ist damit auch noch nicht zu Ende. Er kann seine Berufung heute leben, auch wenn er noch nicht sicher ist, wo diese ihn hinführen wird. Vielleicht wird sie zum Priestertum führen oder auch nicht. Wichtig ist es zu versuchen, den Weg, den man als richtig erkannt hat, heute zu gehen. Mehr noch: Man darf die Berufung nicht auf dieses ferne Morgen verschieben, auf den Tag, an dem endlich Klarheit über das Wohin und das Wie herrscht. Man kann nur heute das Beste geben. Das ist die beste und einzige Weise, seinen Berufungsweg zu gehen.
Diese Serie “Wohin? Finde deine Berufung!” entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC mit dem gleichnamigen Titel, mehr auf www.wohinberufung.com/ Foto: Pixabay (Stand: 04.03.2015)