Von Anna Schinnerl

 

Die Karwoche bildet klar den Mittel- und Höhepunkt des christlichen Glaubens.

Als gute Katholiken streben wir danach, diese Heilige Woche besonders innig, heilig und tief zu begehen. Fastenvorsätze werden wieder aufgenommen, die Gebetszeiten verstärkt und eine Beichtmöglichkeit wird gesucht. „Wir versuchen die Karwoche besonders perfekt zu gestalten.

Und immer mehr wird mir bewusst, ich bin nicht perfekt.

Dieses besondere Streben nach Perfektion lässt mich direkt schmerzhaft spüren, in wie vielen Bereichen ich täglich nicht genüge, nicht genug leiste. Aber Leistung ist nie das richtige Wort, wenn wir von Jesus und seinem ultimativen Opfer am Kreuz sprechen.

(https://www.youtube.com/watch?v=mqwWEYaflDc – „Fear is no more”, Anna Schinnerl)

Dieses Jahr scheint aber einen nicht unwichtigen Paradigmenwechsel zu beinhalten.

Diese Tage, Wochen, Jahre der Unruhe, des Aus-unserem-Alltag-herausgerissen-Seins lässt uns bereits tief in das Geheimnis der Karwoche eintauchen. Die letzten Jahre war meine Karwoche ein ständiges Gewinnen und Verlieren im spirituellen Leben. Eine gute Osterbeichte und das Nicht-Durchhalten meiner Fastenvorsätze am Karfreitag zum Beispiel.

Es ist eine Berg- und Talfahrt. Auch für den Herrn. Erst wird er mit Jubel und Begeisterung in Jerusalem begrüßt – und keine Woche später wird er verraten, verhaftet, gefoltert und gekreuzigt.

Es ist ein emotionales Chaos, die ganze Woche hindurch.

Vielleicht können wir durch diese letzte Zeit auch die Geschehnisse der Karwoche auf einmal besser verstehen. Unschuldige Leben genommen, Menschen ohne Zuhause. Menschen, die zuschauen, Grausiges sehen und ertragen müssen. Krieg, der auf einmal zum Alltag wird. Armut und eine Macht, welche unüberwindbar groß wirkt. Wo habe ich mich zuletzt machtlos gefühlt, einer Situation ausgeliefert?

(https://open.spotify.com/track/7ggkwEnXQWcFuShgQqndCB?si=JyNbbyBjRlG-DNFqt97aFA „Patiently”, Anna Schinnerl)

Vielleicht verstehen wir die letzten Tage Jesu besser als je zuvor, weil wir uns hilflos fühlen, ausgeliefert einem unsichtbaren oder sichtbaren Feind. Vielleicht wollten wir gewisse Situationen einfach ignorieren, so tun, als hätten wir nichts mit ihnen zu tun, weil es einfacher ist, als sich ihnen zu stellen. Wir mussten Entscheidungen treffen, die schwer waren. Wir haben gemerkt, dass es Spaltungen in Freundeskreisen und Familien gibt. Auch in Jesu Familie gab es auf einmal Spaltung, er wurde verraten, nicht nur von Judas Iskariot, nein, auch von Petrus, dem Fels seiner Kirche. (vgl. Mt 16,18) Verrat zu erfahren tut weh. Welchen Schmerz habe ich in der letzten Zeit erfahren oder jemanden zugefügt?

Vielleicht sind wir so viel näher an den Geschehnissen der Karwoche, weil uns mitten in Europa ein Krieg überrollt. Wir reichen wie Veronika am Kreuzweg eine kleine Gabe von dem, was wir geben können, wir weinen mit den Frauen, die Jesus begegnen, wir sind vielleicht wie Simon von Cyrene auch manchmal gezwungen, ein gewisses Kreuz auf uns zu nehmen, auch wenn wir dieses Kreuz nicht unbedingt haben wollen. Wie habe ich in letzter Zeit ein Opfer gebracht oder es vermisst zu tun?

Vielleicht scheinen uns die Akteure auf dem Kreuzweg auf einmal ein wenig vertrauter. Sie erzählen die Geschichte von uns allen, die wir unterschiedliche Positionen einnehmen.

Ich selbst finde mich in vielen dieser Personen wieder, von Pilatus, der den Herrn verurteilt, bis zu unserer lieben Gottesmutter, die unter dem Kreuz steht und ihren Sohn betrauert.

In wem sehe ich mich in dieser Karwoche?

(https://www.youtube.com/watch?v=uAfp8vg4Jz8 – „Even unto death”, Audrey Assad)

Die Tage und Schilderungen der Karwoche in der Bibel so zu betrachten, hilft mir, die hellen und auch dunkleren Seiten meiner Selbst herauszufinden und durch neue Augen zu sehen.

Meine eigene Unzulänglichkeit berührt mich und schafft Raum für den Herrn. Ich darf meine Fehler von ihm auffüllen, mich berühren lassen von seiner Liebe und seiner Vergebung. Er stellt keine Forderungen an mich und uns. Der Herr, der in dieser Woche für uns leidet und für uns am Kreuz sterben wird, der für uns auferstehen wird, liebt.

Ich möchte diese Liebe aufs Neue und immer tiefer kennenlernen. Das höchste Opfer, für uns am Kreuz erlitten, betrachten und in Liebe annehmen.

Und so kann eine chaotische, traurige Karwoche, in der ich nie genug geben und leisten kann, zu einer Zeit werden, in welcher ich dem Herrn ganz neu danke sagen darf. Danke, dass du mich lehrst, dich zu lieben! Danke, dass ich dein Kind sein darf! Danke für deine unendliche Liebe zu mir!

(https://www.youtube.com/watch?v=BxYxzqM6mfA – „All for Love (Gethsemane)“, Worship Central)