Vor ein paar Jahren habe ich einen jungen Mann kennengelernt, der mich sehr beeindruckt hat. Er hatte alle Fähigkeiten, um eventuell ein hervorragender Priester zu werden. Auch seine Vergangenheit/Geschichte deutete in diese Richtung. Es schien klar, was der Herr mit ihm vorhatte. Alles deutete auf eine geistliche Berufung hin. Aber es fehlte das Wichtigste: Der Ruf, der sich in der Sehnsucht niederschlägt. Er spürte keine Sehnsucht, diesen Weg einzuschlagen. Nicht, weil er nicht großzügig gewesen wäre, nicht, weil die Bereitschaft diesen Weg zu gehen nicht vorhanden gewesen wäre. Die wirkliche Sehnsucht – nicht bloß die Offenheit dafür – fehlte. Er hatte keine Berufung. Heute ist er ein guter Ehemann!

Eine Flamme, die sich weigert zu erlöschen

Nun stellt sich die Frage, wie man diese Sehnsucht erfahren kann. Erinnern wir uns kurz an das, was vorher festgehalten wurde: Der Ruf und die Sehnsucht stammen nicht aus einem selbst. Sie werden vom Heiligen Geist geschenkt. Natürliche Veranlagungen wie der Wunsch nach Zweisamkeit, Gemeinschaft, Partnerschaft bleiben bestehen. Die Sehnsucht gibt aber etwas Zusätzliches, eine Art Funken oder Licht, das einen in die andere Richtung zieht. Diese Sehnsucht kann sich der emotionalen, instinktiven, ja sogar rationalen Sehnsucht oder Wünsche entgegenstellen.

Man kann die Sehnsucht nach der Berufung mit einer kleinen Flamme vergleichen, die nicht ausgeht. Diese kleine Flamme brennt im Herzen eines Menschen wie ein Gedanke, der immer wieder kommt, kurz aufleuchtet und nie verlischt. Da ist etwas, das einen zu dieser Lebensform hinzieht. Da ist dieser Wunsch, dem Herrn etwas mehr zu geben, weil all das, was man bisher geschenkt hatte, einen nicht mehr befriedigt, obwohl man ein gutes Leben lebt.

Auch ich hatte meinen Kampf, bevor ich in den Orden eingetreten bin. Ich hatte ein Mädchen kennengelernt, das toll reiten konnte – noch dazu ohne Sattel. Und das war für jemanden wie mich, der auf einer Ranch aufgewachsen ist, sehr faszinierend. Abgesehen davon war es einfach ein tolles Mädchen. In der Zeit konnte ich mich mit der Berufungsidee nicht mehr so recht anfreunden. Trotzdem war die Sehnsucht nach der Berufung wie eben diese kleine Flamme in mir. Ich versuchte vergeblich in die andere Richtung zu schauen, die Flamme auszulöschen, sie auszublasen. Doch immer wieder flammte sie auf. Ich wünschte, dass es nicht so wäre, aber diese Idee tauchte wieder auf und ging nicht weg. Ich merkte innerlich, dass ich Frieden im Herzen bekäme, wenn ich dem Wunsch nachginge, hatte aber Angst.

Woher kommt diese Sehnsucht & wie wird sie ausgelöst?

 Die Sehnsucht wird durch eine tiefe Prägung des Hl. Geistes verursacht. Bei Prägung meine ich natürlich nicht etwas durch die Sinne wahrnehmbares. Es wird unserer Herzoberfläche keine sichtbare Form eingestanzt, wie das bei einer Münze geschieht. Bei einer Herzensprägung handelt es sich vielmehr um ein entscheidendes Einwirken, das Verhaltensweisen beeinflusst. In diesem Sinner spricht man davon, wie ein bestimmtes Ereignis oder mehrere Ereignisse, jemand für das Leben tief geprägt, das heißt, beeinflusst haben. Der Vergleich zu der Prägung einer Münze bleibt insofern aufrecht, dass die Prägung von einer Münze nicht so leicht auszulöschen ist, es wird gewissermaßen zum Teil der Identität dieser Münze. So ist es mit der starken Einwirkung oder Prägung des Hl. Geiste durch das Geschenk der Berufung: Sie beeinflusst Verhaltensweisen, sie kann man nicht so leicht auslöschen und wird empfunden als Teil der eigenen Identität: Man kann nicht wirklich anders leben.[i]

Die Prägung wird aber leider oft von einem selbst, von den eigenen Wünschen und Träumen zugeschüttet. Es braucht daher oft einen Anlass, eine Art Auslöser oder zündende Erfahrung, um diese Prägung freizulegen, um die Entdeckung dieser Prägung zu ermöglichen. Dieser Auslöser kann sehr unterschiedlich sein. Manchmal ist es etwas scheinbar Unwesentliches, fast unbemerkbar, manchmal ist es eine starke, aufrüttelnde Erfahrung.

Von dem Freund, der alles besaß und dem doch etwas fehlte

Ich hatte einen Freund, der zehn Jahre in einer Firma beschäftigt und beruflich sehr erfolgreich war. Er hatte ein richtig gutes Gehalt, ein tolles Auto, eine fesche Freundin und eine Arbeit, bei der er viel lernte und seine Fähigkeiten entfalten konnte. Trotzdem war er unruhig. Dieses „Das kann doch nicht alles sein!“ ließ ihn nicht los. Er suchte mehr. Er war kein schlechter Christ, er ging sogar regelmäßig zur Messe, betete, aber das reichte ihm alles nicht. Und das veranlasste ihn, sich auf die Suche nach dem Mehr zu machen. Für ihn wurde das Nicht-loslassen-Können seiner Sehnsucht nach mehr zum Auslöser der Berufung.

Im Evangelium finden wir das vielsagende Beispiel vom reichen jungen Mann (Mk 10,17-27). Er kommt zu Jesus, fällt ihm zu Füßen und fragt: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?“ Und Jesus schaut ihn an und sagt: „Ja, du kennst doch die Gebote.“ Darauf erwiderte er: „All das habe ich getan, seit meiner Jugend. Was fehlt mir noch?“

Donnerwetter! Das beeindruckt! Ich weiß nicht, wie viele sagen können, dass sie alle Gebote von ihrer Jugend an gehalten haben. Ich sicherlich nicht – aber der Jüngling sagt es. Er war also kein schlechter Jude. Aber er hatte diesen Jesus predigen hören, und in seinem Herzen wurde etwas ausgelöst, was er selbst nicht recht einzuschätzen wusste. Dieses Unbekannte jedoch drängte ihn, Jesus aufzusuchen und zu fragen: „Herr, was fehlt mir noch? Was muss ich noch tun? Ich habe alles getan, von dem ich weiß, dass ich es tun soll. Was fehlt mir noch?“ Die Begegnung mit dem Herrn löste die Sehnsucht aus.

Sehnsucht was willst Du von mir und wie kann ich Dir nachgehen?

Ja, einverstanden, die Sehnsucht nach mehr ist keine 100-prozentige Garantie, dass die Klosterpforte ruft. Oft genug ist die Sehnsucht nach mehr einfach ein Aufruf zu einem vertieften Leben des Evangeliums, eine Einladung den Weg der Heiligkeit entschiedener zu gehen. Das sollte auch immer die erste Antwort auf diese Sehnsucht und ihr erster Prüfstein sein: Indem man sein Leben mehr nach dem Evangelium und einem heiligmäßigeren Leben ausrichtet – dort, wo man steht. Hat man aber versucht, diesen Weg entschiedener zu gehen und die Sehnsucht lässt nicht nach oder wird sogar größer, dann beginnt man zu erahnen: Hier steht etwas Größeres an. Dann muss man sich und den Herrn im Gebet beginnen zu fragen, was er da wohl genau mit unserer Sehnsucht im Herzen beabsichtigt.

Wie oft steht man vor der Entscheidung rechts oder links zu gehen! Man weiß nicht genau, was man machen soll, man ist innerlich aufgeregt, im Unklaren. Gott aber ist ein Gott des Friedens. Wenn man keinen Frieden empfindet, wenn man innerlich im Dunkeln ist, dann sollte man in diesem Augenblick keine schwerwiegende Entscheidung treffen, wenn man warten kann. Manchmal ist der Grund für den Unfrieden nicht, dass Gott keinen Frieden schenken will, sondern dass man nicht den Mut hat, einen Schritt vorwärts zu gehen. Denn tief drinnen weiß man ganz genau, wohin man gehen sollte und dass man Frieden hätte, wenn man den Weg einschlagen würde. Es fehlt an Großzügigkeit, nicht an Klarheit.

Die Sehnsucht, von der hier die Rede ist, wird nicht bloß als ein einfaches Gefühl empfunden, mehr als eine innere Fixierung auf etwas. Es geht tiefer. Denken wir an das Beispiel des Pharisäers und des Zöllners im Evangelium. Der Pharisäer, der vorne im Tempel steht und sagt: „Herr, ich lobe und preise dich, denn ich bin so wunderbar. Danke, dass es mich gibt. Ich faste dreimal die Woche und mache dies und jenes…“ (vgl. Lk 18,10-14). Unterdessen steht der Zöllner ganz hinten. Er hat noch nicht einmal den Mut, seine Augen zum Himmel zu erheben. Der Pharisäer da vorne war sich in Sachen Religion todsicher, er war der Experte in religiösen Dingen. Er war vor allem aber fixiert auf seine Selbstgerechtigkeit. Fixierung, Selbstgerechtigkeit, Expertentum – das ist hier nicht mit Sehnsucht gemeint. Die Sehnsucht geht tiefer als eine Fixierung, die von mir selbst ausgeht. In dem Maß, in dem der Berufene sich intensiv und wahrhaftig auf die Suche nach dem Plan Gottes macht, intensiv diesen Plan ins Gebet hineinnimmt, ehrlich den Herrn fragt und bittet: „Nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt 26,39)[ii] In dem Maß wird er beginnen die durch den Ruf Gottes ausgelöste Sehnsucht zu entdecken.

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[i] Sie Endnote Nr. 34.: M. T.  Coombs, F. K. Nemeck, Discerning Vocations…., e. 120

 

[ii] Vgl. mit Mt 16,23: „Du hast das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“

 

Dieser Beitrag ist aus einer Serie von Blogbeiträgen über das Thema „Sehnsucht und Berufung“ und entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC “Wohin? Findedeine Berufung!”. Das Buch kann man beim Verlag Catholic Media bestellen.
Zum Vorrausgehenden Artikel: Armut, Keuschheit, Gehorsam & die Sehnsucht nach Mehr

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