Metanoia. Ein Eckpfeiler des christlichen Weges besteht aus einem Gedanken, der in uns erst einmal Unmut auslöst. Wenigstens in mir. Vielleicht ist Unmut das falsche Wort. Aber wenn ich das Wort Bekehrung höre, dann bin ich erst mal innerlich in der Defensive. Ich bevorzuge den Ostersonntag vor dem Karfreitag. Emotional wenigstens. Vielleicht bist du schon weiter und schon so synchron mit dem Herrn, dass die Idee von der Bekehrung in dir eher Jubelstimmung auslöst. Bei mir nicht. Da zuckt erst mal etwas in mir zusammen. Ok. Es passt schon irgendwie. Da muss man halt durch. Aber ab 16 Uhr am Aschermittwoch freue ich mich trotzdem schon auf das Frühstück am nächsten Tag.
Wenn Paulus in seinen Briefen von Bekehrung spricht, benutzt er das Wort Metanoia. Ein Wandel des Denkens. Christ zu werden bedarf vor allem erst einmal eines radikalen Wandels unserer Denkmuster. Und das ist eine echte Herausforderung. Denn es geht nicht darum, dass die Bekehrung zum christlichen Glauben uns dazu führen sollte, ein paar unserer Denkschemata anders zu gestalten. Die Herausforderung und die Aufforderung sind viel grundlegender. Es geht um die Bereitschaft und das wirkliche Bemühen, ALLES anders zu sehen. Das will sagen: Das Evangelium leuchtet ein Licht auf die Wirklichkeit, die diese Wirklichkeit in ein anderes Licht stellt. Man freut sich natürlich, wenn man sieht, dass einige Gedankenmuster einer Epoche der Sicht des Evangeliums nicht widersprechen oder ziemlich nahekommen. Aber nicht die Sichtweise der Epoche oder der Gruppe oder meiner politischen Partei ist der Referenzpunkt, sondern das Evangelium. Wo das nicht geschieht, bleibt die Evangelisierung einer Gruppe, eines Individuums, eines Landes, einer kulturellen Gegebenheit sehr oberflächlich.
Ich versuche es noch mal anders dazustellen. Es ist gar nicht so leicht, aus gewissen Denkmustern auszubrechen, weil gewisse Denkweisen einfach als gegeben angesehen werden. Sie werden gar nicht infrage gestellt. Man würde nicht einmal auf die Idee kommen. Nicht, weil sie rational oder irrational sind, sondern einfach, weil sie die gängigen Narrative sind. Ich war gerade in den USA. Welcher Amerikaner würde jemals auf die Idee kommen zu hinterfragen, ob Demokratie die beste Regierungsform für sein Land sein sollte? Welche Partei … das ist eine andere Frage, aber die Demokratie selbst wird nicht infrage gestellt. Oder, wer würde heute ernsthaft sagen, dass Sklaverei eine gute Sache sei? Nicht, weil es dafür keine rationalen Gründe geben würde. Aber die meisten Menschen denken über diese Gründe nicht nach. Sie nehmen sie einfach an.
Jetzt ein anderes Beispiel. Fortschritt. Wie oft höre ich von Christen irgendeine Form von „wir sind doch nicht mehr im Mittelalter!“. Dahinter steht eine narrative Sicht, eine Sicht der Welt, und ich würde sagen, eine Ideologie, dass es einen ständigen Fortschritt der Welt zum Guten gebe. Das heißt, der ständige Fortschritt der technischen Innovation wird über die moralische Entwicklung der Menschheit gelegt. Als müsste genau dasselbe im moralischen Bereich als auch im technischen Bereich passieren. Und diese Narrative werden gar nicht infrage gestellt. Es ist einfach so. Auch, wenn die Geschichte immer wieder genau das Gegenteil gezeigt hat. Die Werte einer Epoche müssen immer wieder von einer Generation bzw. vom Einzelnen neu für sich verinnerlicht werden. Etwas ist nicht gut, einfach nur, weil es neu ist oder weil es dem entspricht, was heute die Mehrheit denkt. Etwas ist nicht moralisch „vollkommener“, einfach nur deswegen, weil wir jetzt im 21. statt im 16. Jahrhundert leben. „Der ist ein Dinosaurier!“, „Der lebt doch im Gestern!“ – das haben auch die Nazis behauptet.
Für Jahrhunderte hatten wir einen Zustand, wo viele der Grundannahmen der Gesellschaft christlich gewesen sind. Das heißt nicht, dass Menschen auch christlich gelebt haben. Aber wenn Bernhard von Clairvaux oder Theresa von Avila oder Vinzenz von Paul zur Bekehrung aufgerufen haben, dann fand diese Bekehrung oft einen für uns heute fast unverständlichen Widerhall. Ganze Städte, ganze Regionen und große Massen von Menschen haben sich „bekehrt“. Diese Verkündigung war auch so effektiv, weil diese Menschen viele Grundannahmen mit diesen Heiligen schon teilten, auch, wenn sie diese nicht lebten oder aus dem Tiefschlaf hervorgerufen werden mussten. Das ist aber heute grundsätzlich anders.
Im frühen Christentum mussten die von Paulus bekehrten Heiden von Grund auf lernen, erst mal anders zu denken. Über alles. Und daher kann man vielleicht auch verstehen, warum die Katechumenen, das heißt, die Kandidaten zur Taufe, in der Frühkirche auf einen so langen Weg geführt wurden, bevor sie getauft wurden. Sie mussten lernen, ganz neu zu denken. Sie mussten sich in einer neuen Weltanschauung einüben, die in der damaligen Gesellschaft zutiefst anders war. Den alten Menschen ablegen und den neuen Menschen anziehen. Die Taufe hat durch das dreimalige Untertauchen daran erinnert, wie grundlegend die Bekehrung gewesen ist – und sein musste: ein wirkliches Sterben mit Christus, um mit ihm aufzuerstehen.
Die Fastenzeit steht vor der Tür. Und ich möchte dich und mich einladen, dass wir diese Fastenzeit nicht oberflächlich begehen. Sondern den Herrn bitten, dass er uns helfe zu sehen, wo in unserem Leben das Evangelium von unseren neuheidnischen Denkmustern geprägt ist, wo in mir es Bereiche gibt, wo das Evangelium noch wenig oder gar nicht seine Prägung hinterlassen hat dürfen. Wo ich von Denkmustern durchdrungen bin, „weil es halt so ist“, die aber mit dem Evangelium eigentlich nichts zu tun haben.
Wie aber das angehen? Das Erste, das mir einfällt, sind geistige Exerzitien. Unten ein paar Vorschläge, wie und wo. Öfters sind Dinge so verborgen und so verwoben mit dem eigenen Selbstbild und Selbstverständnis, dass es doch eine längere Zeit der Prüfung und des Gebets bedarf, diese überhaupt zu erkennen. Eine weitere Hilfestellung kann die geistliche Begleitung sein. Es ist nicht immer leicht, einen geistlichen Begleiter oder eine Begleiterin zu finden, die oder der eine gute Übereinstimmung zwischen Glaubensbildung, geistige Tiefe, tiefes Verständnis von Christsein heute und Ausgeglichenheit mit sich bringt. Aber es lohnt sich, sich auf die Suche zu machen, ohne in einen Perfektionismus zu fallen. Eine weitere Hilfestellung, vielleicht auch gerade in der Fastenzeit: den Katechismus der katholischen Kirche zu entdecken oder wieder neu zu entdecken. Sich vielleicht auch gerade mit Themen auseinanderzusetzen, die mir besonders schwerfallen. Aber der Katechismus ist schon mal eine gute Einführung in eine christliche Sicht der Welt. Gewisse Aspekte, gerade auch der christlichen Moral, kann man gar nicht verstehen, wenn man nicht zuerst eine ganzheitliche christliche Sicht der Welt hat. Wenn man unsere Weltanschauung in ihren großen Zügen nicht versteht, dann macht auch die Moral überhaupt keinen Sinn. Schließlich möchte ich die tägliche Gewissenserforschung empfehlen. Bei der Gewissenserforschung geht es vor allem darum zu sehen, wie Gott in unserem Leben wirkt, und gerade auch die tieferen Motivationen und Beweggründe hinter unserem Tun zu entdecken, zu sehen, wo und wie er mein Leben wirklich prägt und wie nicht. Für alle, die Englisch sprechen, kann ich hier das Buch von Timothy Gallagher, „The Examen Prayer“, sehr empfehlen.
Metanoia. Möge der Herr uns helfen, neu zu sehen, neu zu denken. Viel Segen jetzt auch in der bevorstehenden Fastenzeit!
P. George LC
PS Ein Auslöser für diese Gedanken war ein Aufsatz von Monsignor James P. Shea „From Christentdom to Apostolic Mission“ – ein SEHR zu empfehlendes Schreiben.