Ein sensationeller Kurswechsel

Eine Sensation. Davon hat „Die Presse“ in Wien letzten Freitag berichtet. Aber auf Seite acht und daher ist sie von den meisten Lesern wahrscheinlich gar nicht bemerkt worden. Von welcher Sensation war denn eigentlich die Rede?  Es geht in dem Bericht um einen radikalen Kurswechsel einer Regierung, die uns Europäer sehr zum Nachdenken bringen sollte.

„Einsicht in eigene Fehler ist im internationalen Politikgeschäft nicht allzu oft zu vermerken. Gelegentlich manifestiert sich diese in maßvollen Korrekturen des Regierungkurses, aber eine Vollbremsung samt Kehrtwende, wie sie Rafael Correa nun hingelegt hat, ist eine ziemliche Seltenheit.“ So die Presse – Meldung. Es ging um die „Nationale Strategie zur Familienplanung und der Vermeidung von Schwangerschaften von Minderjährigen“ des mittelamerikanischen Landes Ecuador. Der dortige Präsident Rafael Correa hat nach fünf Jahren zugegeben, dass die bisherige Politik, die hauptsächlich auf medizinischer Prävention beruhte, kläglich gescheitert ist: „noch immer wird jedes fünfte Kind von einer Mutter geboren, die jünger als 18 ist“. Und das trotz der weiten Verbreitung von Automaten, die gratis Präservative ausspucken und eine große Nachfrage erzeugten. Trotz telefonischer Hotlines, die Jugendlichen die Möglichkeit gaben „über Dinge zu sprechen, die in den vielfach katholisch geprägten Elternhäusern nicht in den Mund genommen werden.“ Correa sagt jetzt, die bisherige Strategie „basierte auf reinstem und hohlstem Hedonismus – Lust um der Lust willen“ und betont: „Werte, wir müssen über Werte sprechen… [bis jetzt haben viele] Schlaumeier gesagt: ‚Ich bin frei und genieße meine Sexualität‘. Wenn das so ist, könnte auch mein Hund Sigismund behaupten, er sei frei, denn er hat Spaß am Sex.“

„Die Presse“ berichtet von den Maßnahmen, die Ecuador jetzt ergreifen möchte, um einen Kurswechsel herbeizuführen. Hier ist der ganze Artikel zu lesen. Ich möchte aber vor allem auf Folgendes hinweisen: Wie es scheint, hat man in Ecuador erkannt, dass das schrankenlose Ausleben von Sex zu Freiheitsverlust führt und dadurch letztlich eine Gesellschaft der ewigen Unreifen (und dadurch Manipulierbaren) hervorbringt.

Freiheitsverlust und die Unreifen

Freiheit setzt voraus, dass es einen äußeren Maßstab gibt, der nicht einfach mit den eigenen Gefühlen, Trieben usw. gleichzusetzen ist. Freiheit setzt das Erkennen von Werten voraus, die man nicht selbst bestimmt, sondern vorfindet, also objektive Maßstäbe, gegen die man sich zwar entscheiden kann, aber nur um den Preis, auch die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen. Nennen wir das Kind einfach beim Namen: Freiheit setzt Wahrheit voraus, die man nicht selbst erfunden, sondern vorgefunden hat. Wenn dem nicht so wäre, dann wäre jedes Gerede von Freiheit bloß leeres Gerede. Ohne Wahrheit ist Freiheit fiktiv, man müsste dann ja überhaupt keine Wahl treffen, sondern es ginge nur darum, Reizen nachzugeben. Dass man vielleicht zwischen zwei Reizen wählen kann, bedingt noch keine Freiheit, denn das Kriterium, welchem Reiz man folgt, kann nicht der Reiz selbst sein. Die Freiheit der Wahl bringt übrigens sofort Verantwortung mit sich. Der Nachbarhund muss sich nicht über unangenehme Konsequenzen den Kopf zerbrechen, wenn er unerwünscht die eigene Lassie geschwängert hat, weil er eben nicht frei ist, sondern nur seinen Trieben folgt und deswegen auch keine Verantwortung trägt. Von Vergewaltigung kann hier nie die Rede sein. Mit der Species Mensch verhält sich das aber ganz anders. Gerade weil er frei ist, hat der Mensch eine Verantwortung für sein Tun. Wo Liebe, da Freiheit. Wo Freiheit, da Verantwortung. Daher: wo Liebe, da Verantwortung. Der Egoismus flieht sie.

Fünf Jahre hat es gebraucht, um Ecuador zur Einsicht zu bringen, dass gratis Präservative Menschen dazu ermutigen, Sex von Verantwortung zu trennen. Das führt letztlich zu unreifen Menschen, die stets nach ihren momentanen Reizen leben und dadurch immer unfreier werden, denn Konsequenzen für das eigene Tun gibt es ja nicht.

Wege der Freiheit, auch für Europa?

In jedem Bereich unseres Lebens ist uns klar, dass Gesetzmäßigkeiten nicht einschränken, sondern befreien. Wer die Regeln der Schwerkraft nicht respektiert, wird die Konsequenzen tragen müssen, wer nicht zugibt, dass sein Motor gewissen Gesetzmäßigkeiten folgt, wird bald keine Freiheit mehr haben, überhaupt Auto zu fahren. Wer nicht aufstehen will, um zur Arbeit zu gehen, wird bald auch kein Geld mehr auf seinem Konto haben. Wer nicht zugibt, dass eine Überdosis an Alkohol oder auch an McDonalds keine gute Idee ist, wird bald erfahren, dass seine Freiheit sehr eingeschränkt oder sogar zerstört ist, weil er möglicherweise sogar daran stirbt. In jedem Bereich des menschlichen Tuns ist uns also klar, dass Verantwortung  ein Weg zur Freiheit ist, aber beim Thema Sex ist das offenbar anders. Wir ändern einfach die Bedeutung des Wortes „Verantwortung“ und können auf Basis dieser neuen Definition alles rechtfertigen, was wir tun wollen. Mit „wollen“ ist allerdings nicht gemeint, eine freie Entscheidung zu treffen, sondern den eigenen Trieben und Gefühlen uneingeschränkt zu folgen. Dann aber haben wir die Lektion von Ecuador nicht gelernt.

Natürlich geht es nicht darum, lauter unverständliche und sinnlose Regeln aufzustellen, die von allen strikt einzuhalten sind. Das wäre genau derselbe Fehler und würde ebenfalls zum Verlust von Freiheit führen. Da waren wir schon einmal und dorthin wollen wir nicht zurück. Es geht vielmehr um eine Erziehung zur Verantwortung. Dazu könnten wir anfangen, über Werte in Zusammenhang mit Sexualität zu reden und Sex nicht mehr als große Ausnahme des menschlichen Tuns zu betrachten. Wir sollten beginnen, uns ernsthaft zu fragen, wie denn ein verantwortlicher Umgang mit Sex ausschauen könnte. Damit wären wir dann ziemlich schnell bei der Frage nach Sinn und Zweck von Sexualität und Sexualorganen und danach, ob und inwiefern das beim Mensch in Anbetracht seiner Freiheit anders ausschauen könnte als bei einem Tier. Dann könnten wir vielleicht über den Unterschied zwischen Gefühlen, Trieben und freien Entscheidungen sprechen oder über den Unterschied zwischen Liebe und Emotion. Schließlich könnten wir auch einmal alle unterschiedlichen Meinungen auf den Tisch legen und betrachten. Auch das, was die Kirche zu diesem Thema sagt – mit derselben respektvollen Offenheit,  mit der man sich jede andere Meinung auf dem Smörgåsbord der heutigen Ideenwelt anhören würde. Dann könnten wir vielleicht hören, was die Kirche wirklich zu diesem Thema sagt. Und vielleicht könnten wir sogar von der Theologie des Leibes zu reden beginnen?

Europa, wie wäre es mit einem Gesinnungswandel, der vielleicht zu einem Richtungswechsel führen könnte?

 

Titelbild: ©redkoala/fotolia.com