Bis jetzt wurde in diesem Blog immer wieder auf den „Anfang“ hingewiesen. Aus der Perspektive der „Theologie des Leibes“ wird der Anfang nicht nur im Blick auf einen historischen Anfang des Menschengeschlechts verstanden, sondern als paradigmatische Umschreibung eines Zustands, auf den jede menschliche Sehnsucht hindeutet. Drei weitere solche urmenschliche Zustände oder Ordnungen werden von der „Theologie des Leibes“ aufgegriffen. Zwei dieser Zustände spiegeln die Erfahrung des geschichtlichen Menschen wieder (der Körper nach dem Sündenfall oder der Körper und die Begierde, der erlöste Körper) und einer dieser Zustände ist eine Verheißung des Zukünftigen: der Körper im Leben danach. Alle vier Zustände (Anfang, Begierde, Erlösung, das Ende) haben eine paradigmatische Bedeutung. Die mittleren beiden Zustände der Begierde und der Erlösung stehen jedem Menschen als direkter Erfahrungswert offen. Der Anfang und das „Leben danach“ können anhand der mittleren Erfahrungen, wenn auch nicht direkt erfahren, so doch aufgespürt und erahnt werden.

1. Anfangszustand

Die Sehnsucht nach einer Beziehung, in der Freiheit herrscht und Masken fallengelassen werden können, erinnert an den ursprünglichen Plan Gottes, an den „Anfang“.

2. Zustand der Begierde

Die Erfahrung der eigenen Begierde und die der anderen lässt erkennen: Da läuft etwas schief, so soll es nicht sein, da haben wir etwas verbaut.

Wenn wir über uns und über unsere Geschichte aufrichtig nachdenken, müssen wir sagen, dass mit diesem Bericht (vom Essen des Apfels in Genesis) nicht nur die Geschichte des Anfangs sondern die Geschichte aller Zeiten beschrieben wird und dass wir alle einen Tropfen des Giftes von jener Denkweise in uns tragen, wie sie in den Bildern aus dem Buch Genesis veranschaulicht wird. Diesen Gifttropfen nennen wir Erbsünde.

  • Benedikt XVI.

Da der Körper nicht völlig mit der eigenen Sehnsucht des „Anfangs“ im Einklang zu stehen scheint („Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will“ – Röm 7:19), entwickelt sich eine ambivalente Beziehung zum eigenen Körper und zum Körper der anderen. Da sich Leidenschaften, Gefühle und Emotionen oft genug nicht in Harmonie mit der Vernunft und dem Willen befinden, kann ein Zwiespalt entstehen, der dann entweder: „Körper gut, Geist schlecht“ oder „Geist gut, Körper schlecht“ heißt. Der Körper wird sogar immer mehr als Objekt gesehen, unabhängig von dem eigenen „Ich“, nicht „Ich bin mein Körper“, sondern „Ich habe einen Körper“ tritt in den Vordergrund des eigenen Empfindens. In solch einer Gedankenwelt wird der Wert des Körpers in Funktion seines Nutzens bemessen, das Bewusstsein für den Wert, den er an und für sich besitzt, geht verloren.

3. Erlösungstat

Und doch: Gott selbst hätte die Würde des Körpers nicht mehr unterstreichen können als durch seine körperliche Hingabe am Kreuz. Durch diese körperliche Hingabe erlöst Gott den Menschen: durch eine innere Kraft, die seinen Willen stärkt, seine Freiheit befreit, seinen Verstand erleuchtet, kann der Mensch trotz aller Gebrechlichkeit beginnen, einen Weg zu gehen, bei dem der Zwiespalt immer mehr aufgehoben wird, wo Körper und Geist immer mehr in Einklang stehen, wo er merkt, dass Christus seine eigene Freiheit immer mehr zu ihrer eigentlichen Größe hin befreit. Er kann beginnen, diesen Weg zu beschreiten.

4. Himmel, here we come!

Und zugleich merkt er: Ja, auf dem Weg schreitet er voran, aber er ist noch nicht am Ziel. Und doch, seine eigene Begrenztheit und seine Schwäche geben ihm zugleich Hoffnung: Es muss eine definitive Ordnung geben, in der endgültig der Gleichklang wiederhergestellt wird, wo die Ordnung des „Anfangs“, die sich durch seine Sehnsüchte erahnen lässt, definitive Wirklichkeit wird, wo der Körper seine definitive Bedeutung erhält. In der Ordnung des Himmels findet sich der Mensch selbst definitiv wieder, er wird in seiner Einzigartigkeit bestätigt (Offb. 14:1): Der Mensch trägt jetzt seinen Namen. Sein Name – Gottes Name – ist nicht der Feind, sondern der Garant für die eigne
Einzigartigkeit, für die eigene „Einsamkeit“ – ich bin gut und ich bin, wer ich bin, gerade WEGEN meiner Beziehung zu Ihm. Gemeinschaft mit Gott zerstört nicht, sondern beflügelt seine Freiheit. Nur in dieser Beziehung erfährt der Mensch, wer er in seiner Einzigartigkeit wirklich ist, nur in der Verleihung seines Namens, nur in dem Sich-Schenken Gottes an den Menschen, durch diese radikale Hingabe Gottes an ihn: „Du bist mir so viel wert, dass ich
mich mit dir identifiziere, dass man das, was man dir antut, mir selbst angetan hat“, erfährt der Mensch seinen eigenen unendlichen Wert.

In der körperlichen Hingabe seines Gottes am Kreuz, entdeckt der Mensch den Wert seines eigenen Körpers. Der Mensch hat einen unendlichen Wert, weil er Gegenstand einer unendlichen Liebe ist. In der Gemeinschaft mit Gott erkennt der Mensch sich definitiv, weil er definitiv erkennen wird, was er für Gott wert ist. Der Körper ist nicht mehr Quelle der Scham, sondern das, was seine Hingabe in Freiheit ermöglicht. Der Mensch erfährt definitiv die Größe der bräutlichen Bedeutung seines eigenen Körpers.

 

Siehe den 1. Teil dieses Beitrages hier!

Titelfoto: Fotolia_94300325_XS