„Im Alten und Neuen Testament gibt es zahlreiche Berufungsgeschichten. Sie sind der Niederschlag der unerhörten Erfahrung, dass ein Mensch in seiner Lebenswelt von Gott angesprochen, herausgerufen und auf einen Weg gestellt wird.“ Benedikt XVI.
Was hat uns Gott über die Berufung zu sagen? Was sagt uns sein Wort, die Bibel? In der Bibel kann man zahlreiche Berufungsgeschichten finden. Allein das Wort erwählt erscheint 114-mal in der Heiligen Schrift, das Wort Berufung 66-mal. Aber es ist immer Gott, der ruft, der Mensch, der antwortet: nicht umgekehrt. Die Berufung erfindet nicht der Berufene, sondern sie geht von Gott aus. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16). Die Initiative für die Berufung liegt immer bei Gott. Dieser aber respektiert zugleich die Freiheit des Menschen. Gott ruft aus der konkreten Lebenssituation heraus, in der sich der Mensch befindet, um einen konkreten Weg zu gehen, um einen Auftrag, eine Mission in der Welt und für die Mitmenschen zu erfüllen. Und doch: Gottes Ruf ist und bleibt eine Einladung. Sie ist keine Zwangsjacke.
Abraham wurde im hohen Alter von 75 Jahren von Gott zu einer besonderen Mission berufen. Er sollte sein Land verlassen und in das Land der Verheißung ziehen. „Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.“ (Gen 12,1-2)
Bei Mose ist es nicht anders. Gott ruft ihm aus dem brennenden Dornbusch zu. Er hatte in diesem Moment alles andere vor, als Gottes große Pläne zu verwirklichen. Er hatte sein Leben nach seinen Plänen und seinem Gutdünken eingerichtet. Er war verheiratet. Er hatte eine gute Arbeit. Er war mit seinem Leben zufrieden, wie es war. Und dann wagte Gott es, ihm in die Quere zu kommen, einen Auftrag zu geben, der sein Leben radikal verändern würde: „Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus! Mose antwortete Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte? Gott aber sagte: Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt.“ (Ex 3,10-12) Oder David! Für die jüdische Denkweise war der Stamm Benjamin der unwichtigste, denn Benjamin war der jüngste seiner Brüder. David gehörte zu diesem unwichtigsten aller Stämme. Aber nicht nur das. David selbst war der jüngste Sohn seines Vaters. Der Reihe nach hatte Samuel seine älteren Brüder kennengelernt, aber an keinem fand der Herr Gefallen, sondern nur an ihm. Gott beruft nicht nach menschlichen Maßstäben. David wird berufen, Gesalbter Gottes zu sein, König des Volkes Israel (vgl. 1 Sam 16,11) und zugleich dabei die helfende Gegenwart Gottes zu spüren: „Sag also jetzt meinem Knecht David: So spricht der Herr der Heere: Ich habe dich von der Weide und von der Herde weggeholt, damit du Fürst über mein Volk Israel wirst, und ich bin überall mit dir gewesen, wohin du auch gegangen bist. Ich habe alle deine Feinde vor deinen Augen vernichtet, und ich will dir einen großen Namen machen, der dem Namen der Großen auf der Erde gleich ist.“ (2 Sam 7,8-9) Mit den Propheten war es auch nicht sehr viel anders. Gott ruft, wen er will, wann er will, wie er will. Dem Propheten Jeremia zum Beispiel nutzt die Ausrede des geringen Alters nicht: „Das Wort des Herrn erging an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt. Da sagte ich: Ach, mein Gott und Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung. Aber der Herr erwiderte mir: Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir um dich zu retten – Spruch des Herrn.“ (Jer 1,4-8)
Diese Art und Weise Gottes zu berufen, findet man im Neuen Testament genauso wie im Alten. Die Jünger Jesu werden aus verschiedenen Lebenssituationen herausgerufen, um dem Herrn nachzufolgen. Man denke da zum Beispiel an Petrus, der durch die Begegnung mit Jesus beim wunderbaren Fischfang alles verließ, um dann Menschenfischer zu werden. „Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder. Denn er und alle seine Begleiter waren erstaunt und erschrocken, weil sie so viele Fische gefangen hatten; ebenso ging es Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten. Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach.“ (Lk 5,8-11) Im Evangelium ruft Jesus Christus oft Menschen, diese antworten aber nicht immer auf seine Einladung. Denken wir zum Beispiel an den reichen jungen Mann, der traurig wegging, nachdem er die Aufforderung hörte, alles zu verkaufen und Jesus nachzufolgen (vgl. Mk 10,17-22). Oder an die drei Männer, die er zur Nachfolge einlädt, die aber verschiedene Ausreden finden: „Als sie auf ihrem Weg weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ (Lk 9,57-62) Eine Evangeliumstelle weist auf einen wichtigen Aspekt des Rufes hin, in dem sie die freie Wahl Gottes unterstreicht: „Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm“ (Mk 3,13). Auf Griechisch heißt es nicht die er erwählt hatte, sondern die er wollte.2 Gott ruft, wen er will, er muss nicht rufen. Freiheit ist beim Thema Berufung großgeschrieben: Auch die Gerufenen sind frei zu folgen, sind aber nicht dazu gezwungen: „Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,66-68)
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Im nächsten Blogbeitrag werde ich versuchen diese Einblicke zum Thema Berufung in der Hl. Schrift, durch kirchliche Dokumente und Einsichten einiger Päpste zu vervollständigen.
George Elsbett LC
Mehr Info zu P. George Elsbett: http://about.me/gelsbett / In diesem Blog schreibt P. George zum Thema Berufung. Diese Serie „Wohin? Finde deine Berufung!“ entstammt seinem Buch, das denselben Titel trägt: http://www.wohinberufung.com/
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