Bedeutung der Berufung
Jemand, der sich überlegt, sein Leben Gott zu geben, zu schenken, muss das klar vor Augen haben. Paul VI. drückte es so aus:
„Berufung bedeutet heute Verzicht. Es bedeutet Unpopularität, es bedeutet Opfer. Es bedeutet die Präferenz des inneren über das äußere Leben und einer starken und konstanten Vollkommenheit über einer komfortablen und belanglosen Mittelmäßigkeit. Es bedeutet die Fähigkeit, die flehenden Stimmen der Welt der unschuldigen Herzen zu hören, der Leidenden, der ohne Frieden Lebenden, der Trostlosen, derjenigen, die keine Orientierung empfangen, keine Liebe erfahren; und es bedeutet die schmeichelnden, sanften Stimmen der Genuss- und Selbstsucht zum Schweigen zu bringen. Es bedeutet die harte aber gewaltige Mission der Kirche zu begreifen, die sich heute mehr denn je verpflichtet weiß, die Menschen die Wahrheit über ihr Wesen, ihr Lebensziel, ihr Geschick zu lehren, sowie den gläubigen Herzen den unermesslichen und unbeschreiblichen Reichtum der Liebe Christi zu offenbaren. Das bedeutet, junge Männer, jung zu sein, einen klaren Blick und ein großes Herz zu besitzen. Es bedeutet die Nachfolge Christi, seinen Heroismus, seine Heiligkeit, seine Mission der Güte und des Heils als Lebensprogramm anzunehmen. Keine andere Lebensperspektive bietet ein Ideal an, das wahrer, großherziger, menschlicher, heiliger wäre als die demütige und treue Berufung zum Priestertum Christi. Das ist nicht Nachdruck, liebe Söhne. Es ist keine Rhetorik. Und vor allem, es ist keine Suggestion oder eine Lüge, die der Kirche die Kühnheit verleiht, so zu sprechen. Es ist die Kenntnis, die die Kirche von euren Herzen besitzt, von der Gnade, die der Herr in euch hineingesenkt hat. Es ist die Wertschätzung, die sie euch gegenüber empfindet. Es ist die Hoffnung, die sie in eure Jugend und in eure großherzigen Träume setzt.“
Paul VI., Ansprache an Seminaristen und deren Ausbilder, Rom, 4.11.1963
Opfer & Liebe, ein Widerspruch?
Das Opfer ist letztendlich nur aus der Liebe heraus verständlich. Denn wenn man verliebt ist, ist man bereit, alles für die geliebte Person zu tun. Wenn diese Liebe fehlt, dann hat Opfer nicht nur keinen Sinn, sondern ist Wahnsinn. So wie Paulus sagt: „Das Kreuz ist eine Torheit für die Heiden und ein Ärgernis für die Juden“ (vgl. 1 Kor 1,23). Das Kreuz ist ein Wahnsinn für eine Welt, die behaupten will, dass es in der Liebe und im Leben darum geht, dass man selber glücklich und erfüllt wird, dass man sich selbst nicht verliert. Ein Gott, der am Kreuz hängt, sagt aber genau das Gegenteil aus: In der Liebe geht es darum, sich zu verschenken, sich zu verlieren, um den anderen glücklich zu machen.
Das heißt natürlich nicht, dass man das Leiden um des Leidens willen gern haben soll. Nein, ganz und gar nicht! Das Leiden um seiner selbst willen wäre sinnlos. Das Kreuz ohne Christus und ein Kreuz ohne Menschen, die durch das Kreuz zum Heil finden sollen, wäre absurd. Jemand, der sein Leben Gott weiht, soll nicht als trauriger Spielverderber auftreten, als einer, der auf jeder Feier mit langem Gesicht umhergeht! Die aus der Liebe heraus gelebte Berufung verleiht unaussprechliche, tiefe Freude, die nichts und niemand wegzunehmen vermag. Das ist das Paradoxe: Durch das Kreuz kommt man zur Auferstehung. Jeder Versuch, die Seiten der Passion aus dem Evangelium zu reißen, sich nur noch mit der Auferstehung zu beschäftigen, führt zu Traurigkeit und Verdruss am Leben. Wie Benedikt XVI. es ausdrückte: „Wer sich festhält und das Leben an sich reißen will, der lebt am Leben vorbei.“
Die Berufung ist wie ein hoher Berg, den es zu besteigen gilt. Der Bergsteiger weiß, dass es nicht leicht sein wird. Doch gibt es für leidenschaftliche Bergsteiger nichts Schöneres. Das gilt in gleicher Weise für jemanden, der eine Berufung zur Ehe oder zum gottgeweihten Leben verspürt. Wenn ich liebe, gibt es nichts Schöneres und es ist jedes Opfer wert.
Was die Liebe will
Eine letzte Überlegung: Entscheidungsfähigkeit ist ohne Opferbereitschaft undenkbar. Wer versucht, sich alle Möglichkeiten offenzuhalten und sich weigert, sich zu binden, wird nie die Fähigkeit zur Freude in sich entdecken, die entstehen kann, wenn man sich aus Liebe einem anderen schenkt. Natürlich kostet es etwas, denn man beginnt, sich selbst zu geben, aufzureiben – aber nur so findet man sich selbst. Das ist das Gesetz der Liebe:
„Liebe wird nun Sorge um den anderen und für den anderen. Sie will nicht mehr sich selbst – das Versinken in der Trunkenheit des Glücks –, sie will das Gute für den Geliebten: Sie wird Verzicht, sie wird bereit zum Opfer, ja sie will es.“
Benedikt XVI., Deus caritas est, Nummer 6, 25.12.2005
Diese Serie “Wohin? Finde deine Berufung!” entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC mit dem gleichnamigen Titel, mehr auf www.wohinberufung.com/ Foto: Pixabay (Stand: 11.02.2015)