Öfters macht sich die Sehnsucht dadurch bemerkbar, dass man in sich ein Sehnen nach mehr verspürt. Man bemüht sich, den Weg mit dem Herrn zu gehen, ein geregeltes Gebetsleben zu führen, sich in der Pfarre, in der Bewegung oder in der Gemeinschaft zu engagieren, besucht einen Gebetskreis, beichtet öfters. Die Messe wird zum wachsenden inneren Bedürfnis. Aber all das reicht nicht. Man merkt: „Mir fehlt etwas!“

Was ist dieses Etwas, das mir fehlt? Könnte es sein, dass diese Frage von einem stillen aber beständigen Anklopfen des Herrn herrührt? Könnte es der Herr sein, der einlädt, ihm durch Keuschheit, Armut und Gehorsams in engerer Weise nachzufolgen?

Diese Sehnsucht ihm auf diese Weise nachzufolgen bedeutet:


Der Gehorsam auf dem Weg zur Freiheit

Das erste Geschenk betrifft die Freiheit. Wer sich Gott durch das Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam ganz schenken will, erkennt, dass seine Freiheit einen unermesslich großen Wert hat. Sie gehört zu den Merkmalen, die uns als Menschen auszeichnen und vom Tier unterscheiden. Der Mensch ist fähig, sich für etwas frei zu entscheiden. Der Gottgeweihte zeigt durch das Gehorsamsversprechen, dass die Freiheit ein großes Gut ist. Gerade deswegen will er sie dem Herrn schenken. Er sagt: Ich bin bereit, dir meine innere Freiheit durch die Einschränkung meiner äußeren Freiheit hinzugeben.

Natürlich verliert der Gottgeweihte seine innere Freiheit nicht – ganz im Gegenteil! Aber er gibt viele äußere Freiheiten auf, auf die ein in der Welt lebender Mensch nicht verzichtet und nicht verzichten sollte. Die selbst auferlegte Einschränkung der äußeren Freiheit soll einen Weg zur inneren Freiheit auftun.

Für mich ist das Gehorsamsgelübde eine der schönsten und tiefsten Entscheidungen meines Lebens. Der Wunsch, einfach das zu tun, was der Herr will, befreit ungemein vom Egoismus und der inneren Versklavung durch meine eigenen Erwartungen oder die Erwartungen anderer. Unsere Regel hat mir geholfen, weniger Sklave meiner Bequemlichkeit zu sein, sondern alles zu geben, um die Menschen immer mehr zum Herrn zu führen. Er hilft mir dabei aufzupassen, dass mein Herz wirklich frei bleibt.

Das Herz ist wie ein Klettverschluss. Wenn man nicht aufpasst, bleibt es an allen möglichen Sachen kleben: An inneren Wünschen und Träumen, an Angstzuständen, die die Zukunft betreffen, an der Meinung anderer, an der Wertschätzung anderer (welche ich mir zu sichern versuche). Kurzum, man wird leicht Sklave der geistigen oder materiellen Dinge, die man zu Götzen macht. Natürlich hilft der äußere Verzicht überhaupt nicht, wenn der innere nicht folgt. Und über die innere Tugend sagt der äußere Verzicht nichts aus. Doch wenn die Entscheidung zur Hingabe der Freiheit durch den Gehorsam aus Liebe zum Herrn und zum Mitmenschen gefallen ist, dann ist es etwas Großes, Schönes und Herrliches.

Gott ist kein Konkurrent der Freiheit. Gott befreit die Freiheit und zeigt ihr die Größe ihrer selbst. Er kann ein Leben ausfüllen. Letztendlich erfüllt NUR ER wirklich.

 

Die Keuschheit: Viel mehr als nur kein Sex & Familie

Das zweite, was der Gottgeweihte dem Herrn schenkt, ist das Gelöbnis der Keuschheit. Es geht um die natürliche und legitime Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, den Wunsch, mit jemandem, den man schätzen und lieben gelernt hat, das Leben zu teilen. Das ist etwas so Schönes und Großartiges, dass der gottgeweihte Mensch sagt: „Herr, wenn du es willst und wenn du mir hilfst, dann will ich dir auch das schenken“.Wer das Keuschheitsversprechen ablegt, tut das nicht, weil es ihm besonders leichtfällt. Ich gebe das, was mir kostbar ist, was mich wirklich etwas kostet: „Herr! Du weißt, wie sehr ich Ehe und Familie schätze! Du weißt, was es mich kostet, das aufzugeben! Aber du rufst und ich will antworten. Weil ich dich liebe, will ich dir auch das von ganzem Herzen geben.“

Die zwischenmenschliche Liebe in ihrer höchsten Form, der Vereinigung in der Ehe, wird von Johannes Paul II. in seiner „Theologie des Leibes“ sogar als Ursakrament bezeichnet, da der Mensch vor allem in dieser Gemeinschaft der Liebe zum Abbild Gottes wird und es der erste Ort ist, wo die Liebe Gottes der Welt vermittelt wird.

So stellt sich in dieser Dimension ein erstes, sozusagen ein Ur-Sakrament dar, das als Zeichen  das unsichtbare, von Ewigkeit in Gott verborgene Geheimnis in wirksamer Weise der sichtbaren Welt übermitteln will. Und dieses Geheimnis ist das Geheimnis der Wahrheit und der Liebe, das Geheimnis des göttlichen Lebens, an dem der Mensch wirklich teilnimmt.
-Johannes Paul II., 20. Februar 1980

Die körperliche Vereinigung ist von ungemein großem Wert und die Ausübung der Sexualität kann etwas Wunderschönes sein. Der „um des Himmelreiches willen“ zölibatär lebende Mensch will aber dieses kostbare Geschenk dem Herrn zurückschenken. Er macht dies nicht, weil er seine Sexualität unterdrücken will und noch weniger, weil er sie geringschätzt oder verachtet. Sein Verzicht auf die Ausübung seiner Sexualität wird viel mehr zum Ausdruck seiner Liebe.

Wenn der Berufene den Zölibat als Ausdruck seiner Liebe immer tiefer zu leben versucht, wird er zu einem Zeichen des Himmels. Denn entweder ist er wahnsinnig, oder da ist doch etwas dran an diesem Himmel, wenn er dafür bereit ist, etwas so Großes aufzugeben. Er wird außerdem zu einem lebendigen Zeichen der Gegenwart Gottes in unserer Welt. Er wird Zeichen einer Liebe, die sich nicht selbst sucht, sondern einfach nur gibt. Nicht, dass in der Liebe lebende Ehepaare das nicht tun würden. Aber ein in Freude und Hingabe zölibatär lebender Mensch stellt dieses Sich-nicht-selbst-Suchen Gottes, welches er in seiner Berufung aus einer anderen, tieferen Perspektive nachahmt, deutlicher heraus. In seiner Hingabe an den Nächsten sucht er nichts für sich. Er will nichts von ihm oder ihr. Er gibt einfach. Wo das echt ist, entsteht ein beeindruckendes Zeugnis.

Vergesst niemals, dass die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen bedeutet, ein ganz der Liebe gewidmetes Leben zu ergreifen
– Benedikt XVI., 19. Juli 2008

 

Die Armut: Ein bewusster Verzicht & Geschenk an Gott

Das Dritte, was der Gottgeweihte durch das Armutsversprechen Gott schenkt, ist der legitime Wunsch nach Besitz und Eigentum. Der gottgeweihte Mensch sagt zum Herrn durch den Verzicht: „Herr, diese Möglichkeit etwas zu besitzen, ist etwas so Schönes, etwas so Wunderbares, dass ich es dir auch schenken will.“ Er verzichtet auf manches, was an sich gut ist, aber nicht unbedingt von ihm gebraucht wird. Er verzichtet auch dann, wenn er es gerne haben würde und es sich leisten könnte.

Die Art und Weise, wie die Armut in der Praxis gelebt wird, variiert von Orden zu Orden, von Gemeinschaft zu Gemeinschaft, aber der Grundgedanke ist gleich. Man will arm sein und arm leben. Wie auch bei den anderen beiden Gelübden (des Gehorsams und der Keuschheit) geht es auch hier nicht in erster Linie um einen Verzicht, sondern um die bewusste Entscheidung, auch äußerlich mehr so zu leben wie Jesus Christus selbst. Es geht ihm darum, mit möglichst wenig innerem und äußerem Gepäck in dieser Welt zu leben, um sich ganz dem Dienst am Herrn zur Verfügung stellen zu können.

 

Wo führt mich die Sehnsucht hin? – Das „Wie“ ist entscheidend

Durch die Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams schenkt der Gottgeweihte Gott etwas, was der Ehepartner in dieser Art und Weise nicht schenkt. Das bedeutet zweierlei:

Erstens kann der Gottgeweihte erst glücklich sein, wenn er auf Gottes Einladung hin, „alles zu verkaufen“ (vgl. Lk 18,22) mit großer Freigebigkeit antwortet. Im Vordergrund wird für ihn dann nicht so sehr der Verzicht stehen, als vielmehr das, oder besser der, den er erwählt hat. Ein Vergleich: Ein Mann, der heiratet, behauptet damit nicht, dass alle Unverheirateten schlecht oder dass alle anderen Frauen minderwertig wären. Er behauptet schlicht und einfach, dass jemand sein Herz erobert hat. Jemand, der für ihn ein Geschenk geworden ist, für den es sich lohnt, alle anderen Möglichkeiten aufzugeben. Und genau das macht der Gottgeweihte mit Gott. Der Herr hat sein Herz geraubt und es lohnt sich, alles andere für ihn aufzugeben.

Zweitens sind Priester und Nonnen keine besseren Menschen. Ich begegne oft Ehepaaren und Familien, die mir im „Wettstreit der Liebe“ (vgl. 1 Kor 14,1), der Christusnachfolge, weit voraus sind. In den vergangenen Jahren habe ich oft großartige Laien kennenlernen dürfen, die für mich echte Heilige sind, leuchtende Beispiele der Jüngerschaft. Beide Wege sind wirkliche Berufungen, weil sowohl die Ehe als auch das gottgeweihte Leben einen persönlichen Plan des Herrn voraussetzen. Einen Plan, der in seiner ewigen Liebe begründet ist.

Der Gedanke eines Mitbruders aus den USA hat mir geholfen zu verstehen, was ich hier zu erklären versuche: Man würde wahrscheinlich sagen, dass eine Tasse aus Porzellan besser sei als eine aus Kunststoff.[i] Doch die richtige Antwort wäre: Es kommt darauf an, was man vorhat. Wenn ich eine vornehme Party zu organisieren habe und dabei Kaffee und Kuchen auftische, dann ist dafür die Porzellantasse besser. Wenn ich aber einen Berg besteige, werde ich den Plastikbecher mitnehmen. Wertende Vergleiche helfen hier wenig. Wichtig ist herauszufinden, was der eigene Weg sein soll.

Was einem dem Herrn näher bringt oder nicht, ist also nicht die Berufung an sich, sondern wie man seine Berufung lebt, wie man auf diesen Ruf antwortet. Und das hängt von jedem Einzelnen ab.

Christus hat nicht gesagt, dass nur einige ihr Kreuz auf sich nehmen sollen, sondern jeder, der sein Jünger sein will, muss das Kreuz auf sich nehmen, wir alle […]. Und er sagt auch nicht, dass nur einige ihr Licht vor den Menschen leuchten lassen sollen, sondern wir alle sollen unser Licht leuchten lassen.  Er sagt nicht, dass nur eine reduzierte Anzahl von Priestern und Ordensleuten Gott mit ganzem Herzen, ganzer Seele und aller Kraft lieben sollen, sondern es trifft auf uns alle zu. Christus ruft alle zu sich. Christus ruft alle, sein Kreuz zu tragen und Zeugnis zu geben. Jeder Berufene, egal wer das auch sein mag, kann versuchen den, Weg zum Herrn zu gehen. Es gibt aber keinen leichten Weg im Christentum. Die Ehe ist ein genauso schmaler Weg wie das gottgeweihte Leben.[ii]

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[i] Anthony Bannon LC, Peter on the Shore, Hamden, CT, 1996, S. 122.

[ii] ebd.

 

Dieser Beitrag ist aus einer Serie von Blogbeiträgen über das Thema „Sehnsucht und Berufung“ und entstammt dem Buch von P. George Elsbett LC “Wohin? Finde deine Berufung!”. Das Buch kann man beim Verlag Catholic Media bestellen.
Zum Vorrausgehenden Artikel: Kann ich eine Berufung haben wenn ich heiraten will?

Titelbild: Wordswag