Vor kurzem las ich folgendes Zitat: „Offenbarung kommt nicht von außen. Sie steckt im Menschen drin. Sich selbst finden, indem man Gott findet, und Gott finden, indem man sich selbst findet, das ist der Entfaltungsgedanke der Religion. Im eigenen Herzen erschließen sich die Brunnen der Tiefe. Es ist alles ein Wachstum von innen heraus, das der Vollendung zustrebt.“
Alfred Delp, ein Jesuit, der von den Nazis geköpft wurde, stellt die soeben zitierte Stelle aus einem Nazi geprägten Monatsheft („Deutscher Glaube“), in einer seiner Schriften vor. Delp wollte aufweisen, wie abgrundtief der Graben zwischen obigem Zitat und dem christlichen Glauben ist. Ich weiß aber nicht, wie viele Christen heute beim Hören dieses Zitats, nicht eher mit dem Kopf zustimmend nicken würden, als darin das Abgrundtiefe einer neuheidnischen Religion zu vermerken. „Finde dich selbst. Alles Potential steckt schon in dir, du musst es nur entdecken. Glaub an dich und alles wird dir möglich sein. Werde die beste Version deiner selbst. Verwirkliche dich selbst und dein Potential.“ Ich zucke immer ein wenig zusammen, wenn ich solche Worte höre, besonders wenn sie aus dem Mund eines Christen kommen. Auch unsere, im Zentrum so oft gebrachte Idee: „Wir wollen Menschen helfen, die beste Version seiner/ihrer selbst zu werden“ muss sehr gut in ihrem Gottesbezug verstanden werden, um nicht in selbsterlösende atheistische Spiritualität zu verfallen.
Delp wollte mit dem Zitat darauf hinweisen, wie tief die Bekehrung aus einer Neuheidnischen Selbstbezogenheit für den Christ sein muss, wenn er österlich, wahrhaft als mit Christus auferstandener Mensch leben will. Und das heißt Ausbruch aus dem ich. Erstmals Ausbruch nach Oben, zu Gott hin, sich von ihm empfangen. Dann Ausbruch zum du und zur Gemeinschaft. Aber beide Ausbrüche fallen uns ungemein schwer, uns modernen Christen, die so vom Vergöttlichen des „Ichs“ geprägt sind.
„Diese Bereitschaft zum Dienen, zur Hingabe (an das Übereinzelne) ist eigentlich eine Eigenschaft, ja noch mehr, ein Gesetz allen Seins.“ (Delp) Und doch, setzt sich der „alte Mensch“ der Sünde und der Selbstbezogenheit diesem Urplan Gottes diametral entgegen. Delp deutet darauf hin, dass diese innere Bereitschaft gar nicht so leicht ist. Und er sagt, es sei heute (also in Deutschland im Klima der 30er Jahre) doppelt schwierig. Und dies deswegen, weil sogar bei der Zusammenkunft von Menschen in Gruppierungen, Gemeinschaften usw. nicht ein Größeres gesucht wird, sondern die Gruppe als Mittel gesehen wird, um nur wieder die Eigeninteressen zu verwirklichen. Genau dasselbe kann uns aber als Gemeinde geschehen, fast unbewusst. Wir könnten zusammenkommen, nicht um uns gemeinsam in den Dienst zu stellen und unser Leben hinzugeben („Der Menschensohn ist gekommen, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern, um zu dienen, und um sein Leben hinzugeben“ (Mk 10,45)), nicht um uns in den Dienst des Größeren zu stellen, sondern weil die Gemeinschaft hilft, die eigenen Interessen zu verfolgen.
Die Agape, die christliche Liebe, ist genau das Gegenprogramm. Jesus versucht die Emmausjünger aus ihrer selbstbezogenen Traurigkeit herauszuholen. Er will sie aus der Flucht von der Angst um sich selbst zurückholen, sodass wir sie im Evangelium von diesem Sonntag mutig wieder in Jerusalem vorfinden können. Die Apostel treten mit erstaunlicher Freimut im Tempel auf, weil sie von einer Liebe belebt sind, die nicht sich selbst sucht. Und sie haben keine Angst ihre Landsleute zu challengen, sie aus ihrer Komfortzone herauszuholen, in der sie sich verpanzert hatten, um sie zu Bekehrung aufzurufen: „Ihr habt den Urheber des Lebens getötet, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt.“ (Apg 3,15) Kurz darauf landen sie im Gefängnis. Aber die Zahl der Jünger stieg auf 5000. Aber die in ihnen brennende, sich verschenkende und bereitschaftswillige Agape-Liebe bringt Frucht.
„Agape – die Seele missionarischer Gemeinschaft“ – so lautet die neue Predigtserie, die an diesem Wochenende im Zentrum startet. In der gesamten Osterzeit, also bis Pfingsten, werden uns bei den Sonntagslesungen die Berichte aus der Apostelgeschichte, die von den Lesungen aus den Briefen des Johannes und den Evangelien ergänzt werden, beschäftigen. Ich erhoffe mir, dass wir in dieser Osterzeit in einer Haltung der Offenheit für die Gabe der göttlichen Liebe, die uns mit voller Wucht zu Pfingsten geschenkt wird, stehen können.
Ich würde gerne mit einem Gebet schließen: Herr Jesus Christus. Schenke mir Agape. Wahre Liebe, deine Liebe. Eine Liebe, die mich bereitwerden lässt, mich nicht nur in unsere Kirchenbänke hinzusetzen, sondern auch aus ihnen heraus aufzustehen. Mich bereit zu erklären: hier bin ich, sende mich. Wo du willst. Lass deine Liebe mich so durchdringen, dass sie mich drängt zur Bereitschaft und zur Hingabe und zum Dienst. Hilf mir aus aller Vereinsamung und Selbstbezogenheit auszuwandern. Schenke mir eine echte Agape für die Menschen. Und schenke mir das Licht zu erkennen, welche Türen der Bereitschaft meines Lebens, unseres Lebens als Familie oder unseres Lebens als Gemeinde und Gemeinschaft aufzumachen sind, und schenke uns deine bereitwillige und mutige Liebe, diese Türen, diese Tür auch wirklich aufzumachen und zu durchzuschreiten. Amen.
Gottes Segen!
P.George